Mohammed und der Feminismus

[Aus dem Archiv.]

War Mohammed ein Feminist? Nicht wenige Reformer in der Islamischen Welt sagen Ja. Immerhin hat der Prophet des Islam die Stellung der Frau in der Gesellschaft verbessert. Und war er ein Sozialist? Auch diese Frage beantworten viele positiv. Ein Demokrat? Ja, sicher, meinen andere.

Intellektuelle in der Islamische Welt tendieren durchweg dazu, ihre Weltanschauung, sei sie progressiv oder reaktionär, sei sie salafitisch oder säkularistisch, sei sie feministisch, sozialistisch oder kosmopolitisch, mit dem Koran und Mohammad zu begründen. Jeder Diskurs über die Moderne gerät so zu einem Diskurs über den “wahren Islam”.

Das Problem dabei ist nicht, dass diese Begründungen allesamt nicht schlüssig wären. Das Problem ist vielmehr, dass eine Ableitung demokratischer oder feministischer Überzeugungen aus der Religion kontraproduktiv sein muss. Sie repräsentieren dann keine selbständigen Werte mehr, sondern werden erst legitim durch die Gnade einer heiligen Schrift – deren Interpretation immer auch anders ausfallen kann.

Grundsätzliche (und zu begrüssende) Kritik am ganzen Unternehmen einer Reform des Islam kommt nun von unerwarteter Seite in der “Berliner Zeitung”:

Es werden dabei heutige Anliegen und Sichtweisen auf den Propheten rückprojiziert. Muslime, die auf diese Weise einen reformierten, offenen, lebendigen Islam für die Gegenwart begründen wollen, tun damit im Prinzip das Gleiche wie ihre Gegner, die engherzige, buchstabengetreue und oft auch autoritäre Varianten des Islam propagieren. Beide Seiten versuchen so, ihre eigenen Ansichten zu legitimieren.

Das Problem ist die Schriftgläubigkeit. Es ist das eine, den Propheten Mohammed als Vorbild zu nehmen für das eigene Leben im 21. Jahrhundert. Das machen die Christen, die Jesus als ihr Rollenvorbild sehen, auch nicht anders. Aber gläubige Muslime sind der Überzeugung, dass der Koran Gottes Wort sei und deswegen stehen sie vor einem Problem: Die Heilige Schrift wurde in einer bestimmten historischen Situation offenbart, und es stehen, wie auch in der Bibel, Dinge darin, die wissenschaftlich widerlegt oder aus der Gender-Perspektive problematisch sind – und die sich mit Interpretation allein nur schwer auflösen lassen.

Exakt. Gesellschaftlicher Fortschritt findet seine Voraussetzung nicht in einer Reformtheologie. Wie andere Religionen auch, so ist der Islam ebensowenig ein Hindernis für gesellschaftlichen Fortschritt, wie er eine Quelle für dessen Begründung sein kann.

Die Letztbegründung einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft kann nur in der Einsicht liegen, dass es erstrebenswerter ist, menschliches Potential in Frieden und Wohlstand zu investieren als in deren Verhinderung im Namen höherer Werte. Dort, wo die Religion diesem Ziel nicht entgegensteht, wird sie eine Zukunft haben.

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