Dementi

Es ist verblüffend, mit welcher Hartnäckigkeit selbst unversöhnliche Islamisten im Westen häufig zu moderaten Dialogpartnern verklärt werden. Ein kurzer Blick zurück: Als vor fünf Jahren der damalige iranische Präsident Ahmadinejad seinen Vertrauten Esfandiar Rahim Mashaie zu seinem Stellvertreter machen wollte, wurde das im Westen von nicht wenigen Analysten mit Verzückung aufgenommen.

Weil Mashaie gegenüber Israel und den USA sehr wohlwollende Töne angeschlagen und sein Land einen Freund der Israelis genannt haben soll, habe sich Ahmadinejad mit dessen Ernennung gegen die Hardliner des eigenen Regimes positioniert, schrieb damals eine deutsche Zeitung, während der Direktor eines Berliner Thinktanks von einer nicht zu unterschätzenden Signalwirkung sprach.

Sollte es möglich sein, dass die Regierung Ahmadinejad, aller sonstigen Rhetorik zum Trotze, sich mit der Existenz Israels insgeheim abgefunden hatte? Immerhin hatte Ahmadinejad seinem Stellvertreter Rückendeckung gegeben, als dieser sich heftigen Attacken im Parlament ausgesetzt sah. Doch schon kurze Zeit später trat Mashaie an die Öffentlichkeit und dementierte.

Alles sei ein Missverständnis, beteuerte er in einem Interview mit der Zeitung “Kargozaran”, tatsächlich habe er nur Sympathie für die Menschen ausdrücken wollen, die unter israelischer Besatzungsherrschaft lebten. Israel bezeichnete er als eine “Krebsgeschwulst”, deren Verschwinden unumgängliche Voraussetzung für einen Frieden im Nahen Osten sei. Maschai befand sich damit ganz auf der Linie seines Präsidenten, in dessen Äusserungen im Westen immer wieder gute Absichten hineingelesen wurden.

Natürlich kann man nicht ausschliessen, dass auch Extremist einmal moderate Töne anschlägt und sich ein Saulus zum Paulus wandelt. Das erklärt allerdings nicht die Gutgläubigkeit, mit der Äusserungen, die Anlass zu Skepsis sind, leichtfertig für bare Münze genommen werden. Tatsächlich ist der Islamischen Republik der Hass auf den jüdischen Staat ins Fundament gegossen, und ebenso den militanten Organisationen Hamas und Hisbollah.

Gerade von der Hisbollah haben westliche Analysten immer wieder einmal behauptet, dass man sie nur parlamentarisieren müsse, damit sie ihre Militanz aufgebe und eine konstruktive Rolle im Nahen Osten einnehme. Von namhaften Vertretern der Organisation wurde das jedoch dementiert. Darum sind die von Israel besetzten Shebaa-Farmen im Süden des Libanon auch nur ein Vorwand, warum die Hisbollah sich bis an die Zähne aufrüstet.

So hatte Ali Ammar, Abgeordnete der Hisbollah im libanesischen Parlament, keinen Zweifel daran gelassen, was sich ändern werde, sollte Israel sich von den Shebaa-Farmen zurückziehen: Gar nichts. Die Waffen der Hisbollah, verkündete er, sind Waffen, “die bleiben, bleiben, bleiben.” Die in westlichen Medien umlaufende Behauptung, dass die Hisbollah nur solange unter Waffen stehe, wie sie ihr Ziel einer vollständigen Befreiung des Südlibanon noch nicht erreicht habe, dementierte Ammar ohne Wenn und Aber.

Auch andere hochrangige Vertreter der Hisbollah hatten stets deutlich gemacht, dass eine Entwaffnung ihrer Organisation gar nicht zur Debatte steht. Die Fürsprecher der Hisbollah im Westen hindert das jedoch nicht daran, dieser eine angebliche Flexibilität und einen vermeintlichen Pragmatismus zu attestieren. Der Parlamentsabgeordnete Muhammad Raad, ebenfalls Hisbollah-Funktionär, erklärte in aller Öffentlichkeit, dass die Hisbollah niemals ihre Waffen niederlegen werde.

Nicht nur unter den Nahostspezialisten ist diese Haltung häufig anzutreffen. Auch in den zahlreichen Dialogveranstaltungen, die seit langem Konjunktur haben, zeigt sich ein übermächtiger Wunsch nach Verständigung, demgegenüber die nüchterne Analyse dessen, was im Nahen Osten geschieht, zusehends ins Hintertreffen gerät. In Wahrheit jedoch gründet die Hoffnung, mit Islamisten einen Dialog führen zu können, zumeist auf Projektionen von westlicher Seite.

Das zeigt auch das Beispiel der Hamas. Im Jahre  2006 war die Nachricht um die Welt gegangen, dass die Hamas im sog. “Gefangenendokument” einer Zwei-Staaten-Lösung für Palästina zugestimmt habe. Hier hätte man schon skeptisch sein müssen. Denn im Dokument selbst ist nur davon die Rede, dass der Schwerpunkt des “Widerstands” fortan auf den besetzten Gebiete liegen solle. Von einer Zwei-Staaten-Lösung und damit impliziten Anerkennung Israel war keine Rede. Doch genau das wurde im Westen kolportiert.

Die Hamas dementierte eine mögliche Anerkennung Israels. Mahmud az-Zahar, hochrangiges Mitglied der Organisation, hatte vor seiner Ernennung zum Aussenminister öffentlich seinen Traum geäussert, dass nach Gaza auch Haifa und Jaffa aus der Hand der “zionistischen Besatzer” würden. Nach seiner Ernennung zum Minister sprach er von seinem Traum, sich “eine grosse Karte an die Wand meines Hauses in Gaza zu hängen, auf der es kein Israel gibt.” Unumwunden gab er zu, dass es Ziel seines Kampfes sei, einen islamischen Staat zu schaffen, der ganz Palästina umfasse. Wohlgemerkt, dies war alles noch vor dem israelischen Einmarsch im Gazastreifen 2006.

Wie der Iraner Rahim Mashaie blieb sich Mahmud az-Zahar auch als Minister treu. Die Parlamentarisierung der Hamas keineswegs zu ihrer Pazfizierung geführt. Wie alle islamistischen Gruppierungen bilden Militanz und der Hass auf Israel reinen Selbstzweck. Da der im Westen so häufig anzutreffende Glaube an das Gute im Extremisten jedoch unerschütterlich ist, sehen diese sich immer wieder gezwungen, ihr ungewollt positives Image gegenüber westlichen Medien zu dementieren.

Dies war auch der Fall, als vor Jahren die Meldung verbreitet wurde, Ahmadinejad habe bei einem Besuch in Saudi-Arabien zugesagt, die Friedensinitiative des Arabischen Gipfels in Beirut 2002 zu unterstützen. Die iranische Regierung reagierte mit einem deutlichen Dementi. Die Meldung stellte sich schliesslich als Irrtum einer saudischen Nachrichtenagentur heraus. Entsprechende Meldungen sollten folglich erst eingehend überprüft werden, bevor man sie verbreitet.

Das führt zu der Frage, warum es überhaupt zu diesen Missverständnissen kommt. Die tiefere Ursache dieser Einstellung liegt offensichtlich in einem westlichen Paternalismus und Unwillen, in Muslimen etwas anderes zu sehen als die ewigen Opfer westlicher Arroganz. Damit werden die Vertreter eines dschihadistischen Islamverständnisses allerdings zu Stimmen der Unterdrückung aufgewertet.

Dialogveranstaltungen haben Konjunktur, seitdem das Schlagwort vom “kritischen Dialog” erstmals 1992 in die politische Debatte geworfen wurde. Damals war mit diesem Begriff ein neuer politischer Kurs der EU gegenüber dem Iran etikettiert worden. In den Schlussfolgerungen des Europäische Rates am 12. Dezember 1992 in Edinburgh heisst es: “Angesichts der Bedeutung Irans in der Region bekräftigt der Europäische Rat seinen Standpunkt, dass ein Dialog mit der iranischen Regierung geführt werden sollte.” Ausdrücklich festgestellt wurde, dass dieser Dialog ein “kritischer” zu sein habe.

Damit war schon das ganze Wesen des kritischen Dialogs umrissen: Er ist ein Weg ohne Ziel, darauf angelegt, allen Beteiligten ein gutes Gefühl zu vermitteln. Darum gehen ihre Befürworter auch gerne auf Äquidistanz zu den Konfliktparteien im Nahen Osten. Und darum halten sie eine israelische Atomwaffe für ebenso bedrohlich wie eine iranische. “Man kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben”, empörte sich Linke-Politiker Oskar Lafontaine seinerzeit während einer Haushaltsdebatte im Bundestag.

Äquidistanz beruht jedoch auf einer Täuschung, weswegen es bei ihr nicht bleibt. Sie ist lediglich der erste Schritt, um die Kausalkette umzukehren. Dann heisst es: Der Iran rüstet auf, weil er sich von Israel bedroht sieht. Der Aggressor wird zum vermeintlichen Opfer. Vergessen werden die Opfer des iranischen Regimes im eigenen Land. Der amerikanische (zur Linken gehörige) Journalist Danny Postel wurde von den iranischen Intellektuellen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, mit denen er der nach eigenen Angaben hunderte von Gesprächen geführt hat, immer wieder gefragt, warum die amerikanische Linke so gleichgültig gegenüber dem Kampf der iranischen Bevölkerung sei.

Dieser Kampf geht weiter, auch wenn die iranische Bevölkerung vorläufig zermürbt scheint. Skepsis ist also angebracht, wenn – wie jüngst geschehen – die Nachricht verbreitet wird, Irans neuer Präsident Hassan Rouhani habe über “Twitter” den Juden Irans und der Welt Grüsse zum Neujahrsfest Rosh Hashana ausgerichtet. Rouhanis Büro hat die Existenz eines “Twitter-Accounts” jedenfalls sofort dementiert und deutlich gemacht, dass offizielle Verlautbarungen nur über das Büro erfolgten.

Dessen ungeachtet glaubt ein deutscher Kommentator zu wissen, dass Rouhani nicht nur der Urheber der Neujahrsgrüsse, sondern eine “grundsätzliche atmosphärische Veränderung” im Iran zu beobachten sei.  Zudem habe Rouhani die Rückendeckung des Revolutionsführers Khamenei und damit erheblichen Spielraum. Einmal abgesehen davon, dass nicht ganz einsichtig ist, warum Rouhani trotz Unterstützung von oberster Stelle vor “Hardlinern im Lande” zurückstecken sollte, ist allerdings zweifelhaft, ob Khamenei an einem versöhnlichen Kurs überhaupt gelegen ist.

Khamenei nämlich, der dieser Tage in einer Rede dazu aufrief, die Spaltung in der Islamischen Welt zu überwinden, da sie nur dem “usurpatorischen zionistischen Regime” nütze, bleibt sich aussenpolitisch treu. Die Feinde des Islam, so Khamenei, hätten takfirische (d.h. anti-schiitischer) Gruppen und pseudo-islamische Medien in die Welt gesetzt, um die Zwietracht unter den Muslimen weiter anzufachen. Hinter den “Kriegsdrohungen der USA” gegen Syrien, so erklärte er, stünde nichts weiter als die Interessen der “Zionisten und Grosskapitalisten”.

Das sind in der Tat ganz neue Töne, die da aus Teheran kommen und gewiss untrügliche Anzeichen einer “atmosphärischen Veränderung”. Aber alle Dementis können den Glauben so vieler westlicher Kommentatoren an das Gute in den Diktaturen des Nahen Osten nicht erschüttern.

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