Die neue Regierung fängt schlechter an als die alte aufgehört hat

Merz, Dobrindt und Frei sind keine errnstzunehmenden Politiker, sondern vollendete Populisten und Opportunisten, die angetreten sind, ihre Wähler hinter das Licht zu führen – das alles nur, weil man törichterweise glaubt, indem man die Rhetorik der AfD übernimmt, diese schwächen zu können.

Late Bombardment Government Castle“/ CC0 1.0

Der „Welt“-Redakteur Robin Alexander hat vor einiger Zeit nachgezeichnet, wie die Union dazu kam, ein Sondervermögen, also zusätzliche Schulden, aufzunehmen, nachdem sie dies zuvor vehement abgelehnt hatte. Denn die Idee zu einem Sondervermögen stammte ursprünglich nicht aus den eigenen Reihen , sondern kam vom vormaligen Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) und damit vom politischen Gegner.

Daher entschied die Union sich, ganz im Stil der AfD, Habeck im Wahlkampf als „schlechtesten Wirtschaftsminister der Geschichte“ vorzuführen und nach der Wahl als jemanden zu verspotten, der fortan „Kinderbücher von der Oppositionsbank schreiben“ könne. Denn die Merz-CDU hat die Grünen nicht einfach als Wettbewerber im Meinungsstreit behandelt, sondern, ganz im Stile der AfD, als Unglück für das Land.

Während aber die AfD auf die von ihr so verhassten Altparteien rhetorisch eindreschen kann, weil sie auf absehbare Zeit mit keiner von ihnen eine Kolation eingehen wird, ist das bei der Union anders. Ihr Personal, vor allem Merz, Dobrindt und Frei, hätte wissen müssen, dass nach der Wahl die Zeit der Koalitionsgespräche anbricht und man deshalb nicht allzu leichtfertig das Spitzenpersonal anderer Parteien verspotten sollte.

Einfach mal machen – was kann schon passieren?

So kam, was kommen musste: Um eine Mehrheit zu erlangen, war immer schon klar, dass nur die SPD oder die Grünen als Koalitionspartner infrage kommen und als sich eine schwarz-rote Kolation Mehrheit abzeichnete, war bei der Union gleich aller Widerstand gegen das Sondervermögen gebrochen – man brauchte dafür aber ausgerechnet die Stimmen auch der Grünen.

Das ist schon ein ziemlich unwürdiges Theater, aber es kommt noch schlimmer. Denn der exorbitante Schuldenberg, den anzuhäufen die Regierung sich nun genehmigt hat, hätte eigentlich verhindern sollen, dass man am Sozialsystem spart oder die Steuern erhöht. Nun sagt Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU), dass man zusätzlich am Sozialsystem sparen müsse, gleich so, als ob das ganze Sondervermögen gar nicht existiere.

SPD-Chef Lars Klingbeil zieht nach und will nun auch Steuererhöhungen nicht ausschliessen, was bedeutet, dass die Wählerinnen und Wähler alle drei Kröten schlucken sollen: Schuldenberg PLUS Sozialkürzungen PLUS Steuererhöhungen. Das ist sicherlich eine brillante Strategie, der AfD das Wasser abzugraben, und würde vielleicht in einem Paralleluniversum funktionieren.

Aber ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert: Obgleich die Zahl der Asylanträge im Sinken begriffen ist, will die neue CDU-geführte Regierung unter Kanzler Merz nun auf die Pauke hauen und die Grenzen mit massiver Polizeipräsenz gegen Asylbegehrende sichern sowie eine „umfassende Rückkehroffensive“ einleiten. Schon in der Wortwahl klingt das in der AfD beliebte Schlagwort von der „Remigration“ an.

Dazu beruft man sich auf Art 72 der AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), um – wie ursprünglich geplant – eine „nationale Notlage “ auszurufen: Dieser Begriff war vor der Wahl von Merz in der Bundespressekonferenz gebraucht worden und auch Thorsten Frei hatte im Interview mit dem „Südkurier“ von einer „Notlage“ gesprochen. Jetzt aber, nach der Wahl, dementiert die neue Regierung Meldungen, wonach man sich auf eine „Notlage“ berufe.

Dobrindts schockierende Inkompetenz

Gleichwohl will die neue Regierung die nationalen Grenzen gegen irreguäre Zuwanderung verstärken und rechtfertigt dies mit dem besagten Art. 72 AEUV. Man will also nur das Schlagwort von der „Notlage“ nicht mehr verwenden, das offenbar dem Wahlkampf geschuldet war. Die Wählerinnen und Wähler werden es schon nicht merken.

Hinzu kommt, dass die Politik der Grenzabschottung auf rechtlich zweifelhaftem Fundament steht, doch Innenminister Dobrindt, der schon als Verkehrsminister durch eine schockierende Inkompetenz bestach und darin nur von seinem Nachfolger Andreas Scheuer übertroffen wurde, will einmal mehr glauben, dass er das europäische Recht auf seiner Seite hat, auch wenn er damals schon falsch lag.

Normalerweise werden Politiker wie Dobrindt, die zuhause krachend gescheitert sind, aber noch über ein starkes Netzwerk in ihrer Partei verfügen, nach Brüssel weggelobt. Aber heutzutage ist alles anders, denn man will schliesslich beweisen, dass man genauso populistisch sein kann wie die AfD und da braucht man Leute, die eine grosse Klappe haben, mit der Faust auf den Tisch hauen können und einfach mal machen.

Und „machen“ heisst: die untauglichen Rezepte der AfD zur Grenzsicherung zu übernehmen und damit ein hübsches Chaos anzurichten, sodass man sich fragt, was noch alles in die Hose gehen wird, wenn die frisch ins Amt gekommene Bundesregierung so schon anfängt. Dabei wird es nicht gelingen, die AfD klein zu machen, indem man sie kopiert.

Der Aufstieg der AfD verdankt sich nicht einem allgemeinen „Rechtsruck“, wie viele glauben (oder gar einer „Rechtsradi-kalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft“, wie ein Sozialwissenschaftler schrieb, ohne irgendeine Studie als Beleg nennen zu können), sondern einer zweifachen Tatsache: Zum einen haben die bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP schon lange keinen rechten Flügel mehr, sodass deren Anhänger in der AfD ein neues Zuhause gefunden haben.

Wähler zurückgewinnen, die vorher keine waren?

Zum zweiten hat die AfD es geschafft, an die 1,8 Mio Nichtwähler zu mobilisieren – Menschen also, die zuvor schon eine Neigung zu rechtspopulistischen und -radikalen Positionen hatten, denen die NPD aber zu dumpf und zu plump war, um ihnen wählbar zu erscheinen. Beide Gruppen verachten die „Altparteien“, zu denen sie sich in Totalopposition begeben haben.

Das bedeutet aber auch, dass das Wählerpotential der AfD bald erschöpft sein dürfte. Die Union sollte diese nicht nachahmen, sondern dem Populismus abschwören und endlich Politik für die Mitte machen. Da dies voraussichtlich nicht geschehen wird, bleibt jetzt schon zu hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode Merz, Dobrindt und Frei keine Rolle mehr spielen werden.

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