Iran: Was bringt ein Regimewechsel?

Viele wollen es nicht glauben: Dass ein Iran nach dem Ende der Mullahherrschaft stabiler und friedfertiger sein könnte. Der ernüchternde Zustand des Nachbarlandes Irak nach dem Sturz von dessen langjährgien Diktator Saddam Hussein oder der Blick auf Afghanistan, das heute unter der Herrschaft der Taliban steht, scheinen den Gegnern eines Regimewechsels recht zu geben.

Ahmad Kasrawis Standardwerk „Geschichte der iranischen Konstitution“

Dabei wollen die Iraner das Regime gar nicht haben, Bis heute werden die protestierenden Iraner nach jeder Welle verhaftet, gefoltert und manche von ihnen hingerichtet. Diejenigen, die freigelassen werden, flüchten sich in den Westen, wo eine wachsende iranische Diaspora für sie bürgt und sich um ihre Integration kümmert. Iran ist wie ein Dampfkessel, der beständig Dampf ablässt, um nicht in die Luft zu fliegen.

Dennoch war in den vergangenen Jahrzehnten in deutschen Medien immer wieder der Einwand zu vernehmen, die protestierenden Iraner, die alle zwei bis drei Jahre in Massen gegen das islamische Regime auf die Strassen gehen, seien lediglich Angehörige einer städtischen Elite und folglich nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Es sei vor allem die konservative Landbevölkerung, die die Machtbasis für die islamische Republik stelle.

Die Landbevölkerung ist keineswegs die Machtbasis der Mullahs

Doch dies ist ein Mythos. Neben dem Klerus mit seinen Familien und den Bazaris bildet vor allem die entwurzelte Unterschicht in den Städten die insgesamt sehr kleine Machtbasis des Regimes, das ohne allmächtigen Unterdrücksapparat schon längst Geschichte wäre. Das hat eine Parallele im Russland der Bolschewisten wie auch im Deutschland der Nationalsozialisten, wie Hannah Arendt gezeigt hat.

Zwar tendiert überall auf der Welt die Landbevölkerung zu konservativeren Ansichten als in der Stadt. Allerdings befindet sich die Landbevölkerung in stabilen sozialen Verhältnissen, die eine Neigung zu extremen politischen Vorstellungen im Zaum halten. Die iranische Landbevölkerung mag religiös sein, aber sie hängt einem Volksglauben an, der mit einer totalitären und messianischen Theokratie nicht viel anzufangen weiss.

„Viele, besonders linke Kräfte, hegten damals Illusionen über den Charakter der Revolution, hoben den nationalen Charakter der Bewegung hervor und glaubten, ihr religiöser Anstrich sei vor allem der islamischen Tradition unseres Landes geschuldet“ schrieb der iranische Journalist Mostafa Danesch bereits vor mehr als zwanzig Jahren über die Anfänge der Islamischen Republik und ihre Versteher im Westen.

Leichte Beute für den Propagandaapparat der Mullahs

Und noch immer fressen Journalisten und vermeintliche „Iran-Experten“ die Köder, die das Mullahregime auswirft. Einer, der seit langem fröhlich am Angelhaken der Regimelobby zappelt, ist der „Zeit“-Journalist Jörg Lau. Er glaubt, ein forcierter Regimewechsel könne Iran in den Abgrund führer, als ob das Land nicht schon längst am Abgrund läge oder ein Regimewechsel durch gewaltlose Proteste herbeigeführt werden könnte.

Aber es sind keineswegs nur Linke, die zur leichten Beute für den Propagandaapparat der Islamischen Republik werden. Auch der konservative iranisch-amerikanische Publizist Sohrab Ahmari, den man bestimmt nicht als Appeaser bezeichnen kann, weigert sich zu glauben, dass ein Regimewechsel zur Demokratie führen könnte. Er begründet dies mit einem Fehlen kultureller Voraussetzungen und dem multiethnischen Charakter des Landes, das nach dem Ende der Mullahherrschaft zerfallen könnte.

Dem im amerikanischen Exil lebenden Kronprinzen Reza Pahlavi traut er nicht zu, das Land in eine demokratische Zukunft zu führen. Zu wenig Charisma, zuwenig Intellekt soll Reza Pahlavi dafür haben. Dass Linke vor einem Regimesturz warnen, weil dann alles schlimmer werden könnte, war zu erwarten. Für einen Konservativen wie Ahmari ist ein solches Denken ungewöhnlich. Denn es gibt grosse Unterschiede zu Ländern wie Irak oder Afghanistan oder Libyen.

Zum einen ist die gegenwärtige Islamische Republik ein weitaus grösseres Sicherheitsrisiko für den Nahen und Mittleren Osten, als der Irak oder Afghanistan oder Libyen es jemals waren. Die Mullahs in Iran hatten lange Zeit sogar damit geprahlt, dass sie neben ihrem Heimatland auch Irak, Syrien und Libanon in ihrer Hand hatten, mit deren Hilfe sie ein Netzwerk des Terrors um Israel herum schufen.

Dies hat sich nun auf Grund auf geändert. Israel ist dabei, das Netzwerk zu zerschlagen, wobei es sich genau genommen um zwei Netzwerke handelt: Dasjenige der Muslimbrüder, zu denen die Hamas gehört, und das der iranischen Mullahs. Beide sind ineinander verstrickt, wobei das Terrornetzwerk der Mullahs das gefährlichere ist. Ein Regimewechsel kann die Verhältnisse in der Region unmöglich verschlechtern.

Zum zweiten gibt es unter Iranern eine allgemeine nationale Idee, die nicht primär auf dem Islam gründet, sondern auf antiken Traditionen und Errungenschaften. Die Iraner haben sich ohehin – wie u.a. eine Umfrage des BAMF vor Jahren ergeben hat – mehrheitlich vom Islam abgewandt, sodass dieser als Legitimation für eine Herrschaft nicht mehr infrage kommt. Eltern geben ihren Kindern kaum noch arabisch-islamische Vornamen, sondern klassisch-persische.

Die Konstitutionelle Revolution von 1905 bleibt unvergessen

Zum dritten sind die kulturellen Voraussetzungen für einen demokratischen Iran sehr wohl vorhanden. Hier muss man sich über Ahmaris Beschreibung der iranischen Geschichte doch wundern. Ihm ist entgangen, dass das Land seit dem 19. Jahrhundert tiefgreifende Reformen durchlaufen hat, die in der Konstitutionellen Revolution von 1905 gipfelten, an der auch einige Kleriker wie Scheich Ebrahim Zanjani teilnahmen.

Auch wenn die Revolution durch Weltkrieg und britische Vorherrschaft ein vorzeitiges Ende fand, so wurden die Reformen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts forgesetzt, bevor die Islamische Revolution von 1979 eine religiöse Diktatur begründete. Der Stolz auf die Konstitutionelle Revolution ist ungebrochen ein Bestandteil iranischer Identität, in der der Islam eine untergeordnete Rolle spielt oder ihn überhaupt negiert.

Die 1940 von dem Historiker Ahmad Kasrawi verfasste neunhundertseitige Geschichte des iranischen Konstitutionalismus ist bis heute ein Standardwerk für alle, die sich mit diesem Thema befassen. Kasrawi war ausgesprochen kritisch gegenüber dem Islam, weswegen er schlussendlich von Fanatikern ermordet wurde. Unter der iranischen Bevölkerung sind seine Überzeugungen hingegen so etwas wie Mainstream geworden.

Natürlich könnten nach einem Regimewechsel auch Militärs oder Sozialisten die Macht an sich reissen. Eine Garantie für demokratische Verhältnisse gibt es nicht. Beides sind jedoch unwahrscheinliche Szenarien – und selbst sie wären besser als die im eigenen Land so verhasste Diktatur, die derzeit im Wanken begriffen ist. Im Regimewechsel liegt Hoffnung für Iran und die gesamte Region.

Solle es Israel, ob mit oder ohne Hilfe durch die USA, gelingen, das Regime zu stürzen, liegt es an der iranischen Gesellschafr, die Chance zu nutzen und das Land wiederaufzubauen, die Verbrechen des Regimes aufzuarbeiten und Staat und Wirtschaft von Grund auf neu zu ordnen. Diese Verantwortung kann ihr niemand abnehmen. Vor einem Regimewechsel zu warnen, gibt es aber ebensowenig einen Grund.

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