Indigniert

Es war abzusehen. Kaum war ein weiterer iranischer Atomwissenschaftler Opfer eines Attentats geworden, melden sich westliche Intellektuelle indigniert zu Wort. Die zum Ausdruck gebrachte Empörung gilt freilich nicht den Menschenrechtsverletzungen des Teheraner Regimes, sondern den Attentaten, deren Urheber selbstredend im Westen gesucht werden.

„Indigniert“ weiterlesen

“Fukushima ist Völkermord”

Das was mich in diesem Jahr besonders traurig gemacht hat, zu dem, was Sie hier karikiert haben, kommt natürlich Fukushima dazu, das ist Völkermord, und ich bin gottfroh, das ist eine der Freuden, dass die Bundesrepublik aussteigen wird aus der Kernenergie. Ich bin gottfroh darüber, trauere natürlich um die Verstrahlung, sinnlose Verstrahlung von Menschen wieder (…).

Die (ansonsten sehr von mir geschätzte) deutsche Schauspielerin Renan Demirkan beim Sonntags-Stammtisch, 18.11. (BR, ab ca. 00:50:30)

Dienst am Volk

Die Frage, wie man Menschen am besten erziehen, bevormunden und gängeln kann, hat schon viele Denker zu intellektuellen Höchstleistungen angespornt. Jetzt fordert der Germanist und Fernsehphilosoph Richard David Precht die Einrichtung eines sozialen Pflichtjahrs für Renter. Denn genau wie Precht haben auch Rentner bekanntlich Zeit en masse und da nicht alle über einen so hohen Marktwert verfügen, dass sie vom Bücherschreiben leben können, muss man sie anderweitig einsetzen.

Precht (”Freiheit geht immer mit Unfreiheit einher“) glaubt, dass diejenigen, “die sich über den Zwang empören, genau diejenigen [sind], die es freiwillig nie tun würden” weswegen sie fraglos zur Räson gebracht werden müssen. Damit wird ihnen der einzige Lohn genommen, mit der ehrenamtliche Tätigkeit vergolten wird: Anerkennung als Währung freiwilliger Tätigkeit am Nächsten wird durch Zwang entwertet. Man betrachtet die Dienstleistung fortan als Selbstverständlichkeit und dem zum Dienst Verpflichteten wird mit Herablassung begegnet.

Dass sein Vorschlag Zwangsarbeit bedeutet, weshalb er hoffentlich keine politischen Mehrheiten findet, mag Precht allerdings nicht einsehen. Zwangsarbeit ist nämlich nur, wenn sie in sibirischer Kälte oder in unteriridischen Stollen stattfindet – alles darunter ist fröhlicher Dienst am Volk. Was kann daran falsch sein?

Zum Beispiel dies: Man kann das ganze nämlich weiterdenken und alle möglichen Gruppen benennen, die zu allen nur erdenklichen Diensten zwangsverpflichtet werden. Warum nicht ein Pflichtjahr für Philosophen in einer Autowerkstatt, wo man lernt, wie man sich die lilienweissen Hände bei handwerklicher Tätigkeit schmutzig macht?

Das grösste Ärgernis aber ist die Nonchalance, mit der ein mit 47 Jahren noch recht junger Intellektueller über ältere Menschen zu verfügen sich anmasst. Junge Menschen kann man zum Schuldienst, später zum Wehrdienst oder zum sozialen Dienst verpflichten, damit sie in den Stand versetzt werden, die Errungenschaften der Gesellschaft weiterzutragen: Schliesslich waren es die vorangegangenen Generationen, die den Wohlstand und die politische Stabilität erst möglich gemacht haben, in denen sie aufwachsen.

Käme ein Hundertjähriger auf diese Idee, hätte sie auch noch eine andere Qualität als wenn dies aus dem Munde eines Mittvierzigers geschieht. Dies Menschen zur staatlich verordneten Pflicht zu machen, deren Recht es ist, die Früchte ihres Arbeitslebens zu geniessen, ist schlechterdings würdelos, die philanthropische Begründung der Zwangsarbeit gerät zur Farce: “Es geht darum”, begründet Precht allen Ernstes seinen Vorstoss, “die Schwellenangst vor dem sozialen Engagement zu  nehmen.”

Eine wahre Unverfrorenheit. Precht sollte sich der Generation der Rentner besser lernend nähern, anstatt belehrend.


Nachtrag 12. Juni 2022

Ein mit seinem Amt hoffnungslos überforderter Bundespräsident Steinmeier sähe gern den sozialen Pflichtdienst eingeführt, wenn auch, sich darin von Precht unterscheidend, nur für junge Menschen. Steinmeier glaubt allen Ernstes und gegen jede Evidenz, dass wir in einer Zeit leben, “in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt”.

Die braune Pest

Zehn Jahre lang zogen sie quer durch Deutschland und massten sich an, Gott zu spielen. Die Kaltblütigkeit, mit der eine Nazi-Gruppierung Menschen aus nächster Nähe und bei Tageslicht erschoss – allein ihrer Herkunft wegen –, bevor sie ihre Opfer fotografierte, um sie zu verhöhnen, ist in der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel.

Der Doppelselbstmord ist wahrscheinlich das einzig gescheite, das die mutmasslichen Haupttäter jemals in ihrem elenden, verkorksten und vergeudeten Leben, wie es nach aussen hin spiessbürgerlicher nicht hätte sein können, zustandegebracht haben.

Ein Trost ist das nicht. Die ganze Affäre, die offenbar auch ein Geheimdienstskandal ist, zeigt, dass der Rechtsextremismus vom militanten Islamismus als grösste Gefahr für die innere Sicherheit noch längst nicht abgelöst worden ist.

Ahmadinejad: Israel eine Verschwörung des Kapitals

Zum jährlichen Qods-Tag hat der iranische Präsident Ahmadinejad eine Rede gehalten, die ich im folgenden auszugsweise dokumentiere, und zwar in deutscher Übersetzung auf Grundlage der persischsprachigen Paraphrase der amtlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA. Das zionistische Regime, so Ahmadinejad, ist eine Verschwörung und ein Wegbereiter für die Herrschaft kulturloser Kapitalisten und seine Parole ist die Parole der Herrschaft über die ganze Welt.

„Ahmadinejad: Israel eine Verschwörung des Kapitals“ weiterlesen

Neulich, in Aubervilliers

La Courneuve

Wer in Paris vom Gare du Nord in nördlicher Richtung nach Aubervilliers und La Courneuve fährt, passiert unzählige Halal-Imbisse und -metzgereien, die dort das Strassenbild dominieren – allenfalls unterbrochen von ostasiatischen Geschäften. Daran ist nichts schlimmes oder beunruhigendes, aber es zeigt, wie drastisch sich in den letzten Jahrzehnten in Frankreich die Herkunftsverhältnisse verschoben haben.

Von daher ist es auch keine Überraschung zu erfahren, dass in Frankreich die Zahl der praktizierenden Muslime die der praktizierenden Katholiken mittlerweile übertroffen hat.

Natürlich kochen einige Leute daraus wieder ihr Süppchen. Während der Nationalist Le Pen in der zunehmenden Präsenz des französischen Islam eine Form der Besatzung sieht, will Frankreichs Obermufti Bubakeur jede neue Moschee als Beitrag zur Integration verkaufen.

Das eine ist so absurd wie das andere. Entscheidend ist vielmehr, welche Werte vertreten werden. Und es lässt sich empirisch zeigen, dass es unter europäischen Muslimen eine Tendenz zu den Wertevorstellungen der Bevölkerungsmehrheit gibt.

(Foto: Strasse in La Courneuve / M. Kreutz 2011.)

Ausweitung der Empörungszone

Auch Müll ist manchmal noch zu etwas gut. Der rassistische und xenophobe Müll nämlich, den an Sauerstoffmangel leidende Bildschirmjunkies zuweilen in den Kommentarbereichen der Webpräsenzen von Presse und Rundfunk hinterlassen, taugt allemal dafür, den Flammen der Empörung über allzu forsche Islamkritik Nahrung zu geben:

Kommentarbereiche geben ein Spiegelbild der Leserschaft ab. Zuweilen werden Ressentiments von moderierenden Redaktionen als auch von Lesern als legitime Islamkritik verstanden. Der Begriff der Islamkritik ist dabei etwas unglücklich. Die Kritiker sind zumeist gar nicht im Stande, eine theologisch fundierte Debatte zu führen, da ihnen das religiöse Basiswissen über den Islam fehlt.

meint die Mely Kiyak. Frau Kiyak, die als Absolventin eines Literaturinstituts über religiöses Basiswissen verfügt, begnügt sich nicht damit, Pöbeleien als solche zu benennen und ihre Löschung zu fordern, sondern hat Grundsätzliches im Sinn:

Die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und falscher Tatsachenbehauptung ist dabei nicht hauchdünn, sondern klar definiert. Der seriöse Qualitätsjournalismus sollte dieselben Kriterien sowohl für Kommentare der Redaktion als auch der Leser anwenden.

Den Vorwurf falscher Tatsachenbehauptungen auf juristischer Grundlage (”klar definiert”) zum Schutze einer Religion in Stellung zu bringen, ist ganz schön originell.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass heilige Schriften auch nicht immer und notwendigerweise auf Tatsachen Rücksicht nehmen. Oder wird hier eine Sonderrolle für den Islam gefordert?

Der Weitblick des Philosophen

Dass Hannah Arendts bekanntes Diktum von der Banalität des Bösen fraglich sein könnte, zumindest in Hinblick auf den Organisator der Judenvernichtung im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, hatte vor einiger Zeit die Publizistin Bettina Stangneth nahegelegt, die dem von Eichmann selbstgeschaffenen, marmornen Mythos, nur ein Rädchen im Getriebe des Holocaust gewesen zu sein, zum Bröckeln brachte. Eichmann war eben viel mehr, nämlich “Ideengeber, Praxisfinder, Innovator, und zwar von Anfang an” und damit Urheber von “Terror, Erpressung, Beraubung, Haft, Folter”.

Hannah Arendt sei, so Stangneth weiter, auf eine Show hereingefallen, die Eichmann als Bestandteil seiner Verteidigungsstrategie vor Gericht in Jerusalem inszeniert habe. Freilich habe Arendt, so die Verfasserin der Studie “Eichmann vor Jerusalem”, auch gar nicht die Möglichkeit gehabt, Eichmanns Manipulationen zu durchschauen, da ihr die Dokumente, die sie eines besseren hätten belehren können, gar nicht bekannt waren.

Das alles konnte man schon vor einiger Zeit lesen. Neu ist, dass ich vor kurzem auf ein Buch des Ideenhistorikers Isaiah Berlin gestossen bin, das ich bis dato noch nicht kannte. Das Buch “Conversations with Isaiah Berlin”, die dieser mit Ramin Jahanbegloo geführt hatte, war Anfang der Neunziger Jahre erstmals erschienen und ist ungemein spannend. Und das gilt ganz besonders für Berlins Einschätzung von Hannah Arendt.

Zu meiner eigenen Überraschung hielt Berlin nichts, aber auch gar nichts von der Arendt, nicht einen einzigen vernünftigen Gedanken konnte er ihr abringen. Eine masslos überschätzte Person sei sie gewesen und auch Gershon Sholem habe ihm im persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass kein vernünftiger Mensch etwas von Hannah Arendt halte!

Berlin missfiel an Hannah Harendt unter anderem ebenjene Rede von der Banalität des Bösen, da die Nazis, so Berlin, ganz einfach nicht banal gewesen seien – im Gegenteil. Eichmann selbst habe gesagt, dass die Judenvernichtung im Zentrum seiner Existenz stehe (”It was, he admitted, at the center of his being”).

Das heisst aber auch, dass Berlin vor nunmehr zwanzig Jahren zu einer Einschätzung gekommen ist, die wir erste heute, nach Erschliesssung der sog. “Argentinien-Papiere“, in ihrer ganzen Tragweite verstehen können. Und es heisst ebenfalls, dass Isaiah Berlin ein über alle Massen weitsichtiger Philosoph war, wie es ihn nur selten gibt.


Nachtrag 04.09.2014

Die “New York Times” berichtet ebenfalls über das Buch von B. Stangneth, das jetzt auf Englisch erhältlich ist.

Nachtrag 18.09.2018

Alan Dershowitz plädiert dafür, die Formulierung von der “Banalität des Bösen” in Bezug auf Eichmann und den Holocaust ein für allemal zu streichen.

Translate