Was man alles nicht braucht

In den Medien tummeln sich vermehrt Zeitgenossen, die uns erklären wollen, warum die Konsungesellschaft, wie wir sie kennen, abgeschafft gehört. Denn vieles brauchen wir doch gar nicht, obwohl uns die Werbung etwas anderes einreden will. Diese manipuliert uns und das wollen wir nicht.

Man könnte nun sagen, dass es schlimmeres gibt, als Dinge zu kaufen, die man nicht unbedingt braucht. Wer derzeit in Syrien lebt, hat ganz andere Probleme und würde vielleicht nur zu gern sein Leben in einer Ecke der Weltgeschichte fristen, in der man von Wachstumskritik leben kann. Welch ein Luxus.

In Wahrheit ist unter den Dingen, mit denen wir uns im Alltag umgeben, so gut wie nichts, was wir wirklich brauchen – zumindest, wenn wir unser physisches Überleben zum Massstab machen. Wenn es nur darum geht, den Tag zu überstehen, brauchen wir eigentlich nur sauberes Trinkwasser, Nahrung, Kleidung und einen Unterstand für die Nacht. Wenn überhaupt so viel.

Der amerikanische Physiologe Jared Diamond beschreibt in seinem Buch “Kollaps”, dass selbst auf einer so unwirtlichen Insel Südostpolynesiens wie Henderson, eigentlich ein nur dürr bewachsenes Korallenriff, Generationen von Menschen gelebt haben. Und das, obwohl es dort weder Gestein für die Herstellung von Werkzeugen gab noch grössere Bäume, um Häuser zu bauen. Allein die üppige Meeresfauna sorgte für die notwendige Nahrung und sicherte das Überleben.

Nicht entscheidend für unsere physische Existenz sind ganz sicherlich Wecker, Rotweine, Lampen, Romane, Elektroherde, Radiergummis, Duschköpfe, Fussbodenheizungen, Lederschuhe, Wasserpfeifen, Opern, Zeitungsabonnements, Telefone, goldene Füllfederhalter, Sonnenbrillen, elektrische Zahnbürsten oder sämtliche Folgen von “King of Queens” im Kühlschrank.

Trotzdem umgeben sich Menschen überall auf der Welt mit Dingen wie diesen und noch viel mehr. Warum? Vielleicht, weil wir keine Eichhörnchen, Hühner oder Fische sind. Weil es in der Natur des Menschen liegt, sich fortlaufend materiell zu verbessern. Weil wir nicht leben wollen, wie die Bevölkerung auf Henderson es getan hat, bevor ihre Welt unterging, auf der nur verzehrt, aber nichts produziert wurde.

Den Sozialpsychologen Harald Welzer ficht das nicht an. “Man ist in gewisser Hinsicht nicht mehr autonom zu entscheiden, brauche ich das oder brauche ich das nicht”, beklagt er sich und meint damit die Werbemaschine, der wir nicht entkommen können. Noch schlimmer trifft es nur noch diejenigen, die ihren Fernseher anschalten oder ihre Regionalzeitung aufblättern und mit der Ungewissheit leben müssen, vielleicht wieder auf einen Wachstumskritiker zu stossen.

Welzer ist nämlich nicht nur Sozialpsychologe, er weiss offenbar auch genau, worauf wir verzichten können und worauf nicht. Das unterscheidet ihn von der Masse derer, die unbedingt ein Produkt von Apple besitzen wollen, ohne seine Bedenklichkeitserklärung auch nur wahrnehmen zu wollen. “Warum ist es so attraktiv, zu kaufen und zu besitzen, auch Dinge, die man “eigentlich” gar nicht braucht?” ist die Frage, die ihn umtreibt.

Welzers Antworten mögen ausfallen wie auch immer: Lesen wird seine Gefolgschaft sie am Rechner, auf dem E-Reader oder als Buch, bestellt bei Amazon. Dinge, die man eigentlich gar nicht braucht – typische Aporie der Fortschrittsfeinde. Mögen diese sich den Kopf darüber zerbrechen. Die Welt wird nicht daran zugrundegehen, dass Menschen Dinge erwerben, die sie eigentlich nicht brauchen. An einer Tugenddiktatur schon eher.

 

Die Seifenblasen des Wachstumskritikers

Im Jahre 2050, so erträumt es sich der Sozialpsychologe Harald Welzer, werde es keinen Kapitalismus mehr geben, denn der habe sich mit seinen umfänglichen Privatisierungen als historisch “grösster Fehler” herausgestellt, “den man überhaupt begangen hat in der Moderne.” In Welzers Utopie werden weite Bereiche lokalwirtschaftlich mit lokalen Währungen organisiert sein. Wettbewerb und Wachstum gehören der Vergangenheit an.

Die entscheidende Frage, die Welzer allerdings nicht stellt, lautet: Soll diese Gesellschaftsordnung mit oder ohne Zwang erreicht und aufrechterhalten werden? Denn ist sie das Resultat von Freiwilligkeit und Eigeninitiative, dann unterscheidet sie sich nicht wesentlich von der heutigen Gesellschaftsordnung, wie sie in den westlichen Ländern vorherrscht, deren Haupteigenschaften Freiheit und Pluralismus sind. Eine bestimmte Form des Wirtschaftens ist hier nicht vorgeschrieben, solange sie nicht auf eine Diktatur hinausläuft. Will Welzer hingegen die von ihm präferierte Wirtschaftsordnung von oben verordnen lassen, dann ist er nolens volens Verfechter einer kommunistischen Diktatur.

Welzers Mangel an Logik zeigt sich auch in seiner Forderung nach einer Wirtschaft ohne Wachstum. Seine Beispiele für eine solche Wirtschaftsordnung beweisen in Wahrheit nämlich nur eines: Welzer ist sehr wohl für Wachstum, nur eben auf anderen Gebieten als denjenigen, auf denen heute gewirtschaftet wird. Im wesentlichen handelt es sich bei den Beispielen, die er nennt, durchweg um Dienstleistungen zur verbesserten Effizienz in der Ressourcenverwertung, sprich: zur Stärkung der Nachhaltigkeit. Auch das ist nichts, was zur heutigen Wirtschaftsordnung in irgendeiner Weise im Widerspruch stünde – es sei denn, ein staatlicher Zwang sorgte für die Begrenzung wirtschaftlicher Tätigkeit auf diesen Sektor. Dann wären wir wieder bei der kommunistischen Diktatur gelandet.

Man kann es daher drehen und wenden wie man will: Entweder ist Welzer ein Apologet der herrschenden Gesellschaftsordnung (und weiss es nicht), oder er ist Befürworter einer DDR 2.0 (und weiss es ebenfalls nicht). Zwischen Freiheit und Unfreiheit gibt es jedenfalls kein Drittes. Der Traum des Wachstumskritikers entpuppt sich als Seifenblase, die an der Freiheitsfrage zerplatzt.

[Aus dem Archiv.]

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