Norbert Röttgen und der Niedergang der CDU

Schaltet man den Fernseher ein, kommt man kaum an ihm vorbei: Norbert Röttgen von der CDU ist so etwas wie der heimliche Aussenminister Deutschlands, gefragter Experte für Themen der Aussenpolitik und gerne dabei, wenn es darum geht, Staatsmännern auf der ganzen Welt die Hand zu schütteln. Keine Frage, der Mann ist umtriebig, eloquent und augenscheinlich von Leidenschaft für die Politik getrieben.

Damit ist sein Auftreten zugleich ein grosses Ablenkungsmanöver. Denn Röttgen steht wie kaum ein anderer für den Niedergang der CDU. Als Röttgen vor zehn Jahren noch Bundesumweltminister war, ging er mit Pathos daran, die sog. Energiewende dem bürgerlichen Lager schmackhaft zu machen. Man schaue sich einmal an, mit welcher Hingabe er 2011 im Bundestag für einen Ausstieg aus der Kernenergie und damit für einen Komplettumbau der deutschen Energieversorgung warb:

Röttgen beschwor ein “nationales Gemeinschaftswerk” und tingelte damals durch alle möglichen Talkshows, um die Verbraucher zu beruhigen, die Angst hatten, der Ausstieg aus der Kernenergie könnte zu einem drastischen Anstieg der Strompreise führen. Die Strompreise würden nicht nennenswert steigen, beschwichtigte er alle Sorgen. Heute haben wir in Deutschland die zweithöchsten Strompreise in Europa.

Ein Jahr nach seiner flammenden Rede für den Atomausstieg führte Röttgen die NRW-CDU in den Abgrund, was auch einigen weiteren Fettnäpfchen geschuldet war, in die Röttgen trat. Damit schien seine Karriere in der Politik zunächst besiegelt, doch dann trat er wieder in die Öffentlichkeit, nunmehr als frischgebackener Aussenpolitiker. Zur Entwicklung der Strompreise äussert er sich nicht; die Scherben, die er als Umweltminister und Chef der NRW-CDU hinterlassen hat, dürfen andere zusammenkehren. Auch auf seiner Webpräsenz vermeidet er diese Themen.

Stattdessen plaudert er mit dem iranischen Aussenminister Javad Zarif und macht Claudia Roths Rolle als grosse Brückenbauerin streitig. Zarif ist zwar nur eine Marionette, bestimmt wird die iranische Aussenpolitik von Khamenei und Qasem Soleimani, aber genau deshalb passt er zu Röttgen, dem Möchtegern-Aussenminister Deutschlands. Zurückhaltung kennt Röttgen auch sonst keine: Er, der als Bundesumweltminister und Chef der NRW-CDU zwei politische Totalausfälle zu verantworten hat, attestiert Deutschland in der “New York Times” einen politischen Totalausfall (“a complete void”) und macht die Bundeskanzlerin zum Sündenbock.

Röttgen nämlich hat mit Angela Merkel noch ein Hühnchen zu rupfen, war sie es doch, die ihn damals von seinen Aufgaben als Bundesminister entband und ihm die wohl empfindlichste Niederlage seiner Karriere beibrachte, auch wenn sie letztlich selbstverschuldet war. Sicher, jeder verdient eine zweite Chance, aber niemand sollte sie bekommen, der nicht bereit ist, zu seinen Fehlern zu stehen. Wenn er wollte, könnte Röttgen öffentlich Abbitte für die haltlosen Versprechungen leisten, die er als Bundesumweltminister abgegeben und nie gehalten hat, aber lieber flüchtet er sich in die Aussenpolitik und keilt gegen die Kanzlerin.

Dass Röttgen einfach so eine zweite Karriere in der CDU startete, sagt auch etwas über seine Partei aus. Die CDU ist profillos geworden, sie kann ihren Schlingerkurs aber auch nicht so ohne weiteres beenden: Bei der Europawahl hat sie viele Wähler an die AfD verloren und noch mehr an die Grünen, bei der Landtagswahl in Thüringen sowohl an die AfD als auch an die Linkspartei. Dass die CDU “systemisch erschöpft” sei, hat Röttgen richtig erkannt. Freilich lenkt er damit einmal mehr von der Tatsache ab, dass er den Niedergang seiner Partei vor einer Dekade ganz wesentlich selbst losgetreten hat.


Nachtrag 18. Februar 2020

Kann man sich nicht ausdenken: Ausgerechnet Röttgen will neuer Vorsitzender der CDU werden! Wir wünschen viel Glück.

Nachtrag 5. März 2024

Auch in seiner zweiten Karriere als Aussenpolitikexperte agiert Norbert Röttgen glücklos. Zwar hat er begriffen, dass die iranische Bevölkerung einen Regimewechsel will und keine Reform, doch lässt er sich mit Leuten ein, deren Agenda er nicht durchschaut.

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