Nahosterklärer wider die “Medienmeute”

Vielleicht die FAZ? Nein, dort werden die syrischen Anti-Assad-Kräfte als “Rebellen” oder “Aufständische” bezeichnet. Als “Freiheitskämpfer” jedenfalls nicht oder nur in Anführungszeichen. Oder der amerikanische Sender CNN? Nein, dort spricht man von “freedom fighters” meist in Anführungsstrichen. Grundsätzlich bevorzugt man auch hier die Ausdrücke “rebels” oder “insurgents“.

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Syrien nach Assad (2)

Häufig macht sich eine gewisse Hilflosigkeit breit, wenn es um die Ursachen von Gewalt geht, wie derzeit in Syrien zu beobachten. Viele Kommentatoren wissen sich dann keinen anderen Rat, als die Misere auf ein verunglücktes nation building, verschuldet durch koloniale Willkür, zurückzuführen. Eine ethnisch wie konfessionell heterogene Menschenmasse, so das gängige Narrativ (hier eines von vielen Beispielen), sei in einem von fremden Mächten und aus eigennütizgen Gründen zusammengezimmerten Staatsgebilde zusammengepfercht worden, dessen Fliehkräfte nur durch die eiserne Faust eines Diktators in Schach gehalten werden.

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Kriegstagebuch Aleppo (7)

Am Mittwoch schlugen Mörserraketen in der Nilstrasse ein. Natürlich kam das Bombardement von Seiten des Militärs und führte dazu, dass neun Personen auf der Stelle getötet wurden.

Gegen Donnerstag Abend wurden Gerüchte laut, dass das Regime Brot in einem Restaurant verkaufen wolle, sodass sich die Menschen dort über Stunden versammelten. Ich habe keine Ahnung, ob einer von ihnen Brot bekommen hat, jedenfalls hat bis neun Uhr keiner etwas erhalten.

Die Diphtherie hat etwas nachgelassen. Das Internet funktioniert im Stadtzentrum, aber die Kommunikation ist generell in vielen Stadtteilen nicht möglich. Was das Zentrum angeht, so sind hier die Landverbindungen wieder verfügbar.

Insgesamt ist die Atmosphäre nicht wie früher und die Waagschale neigt sich mehr zum Unbekannten. Viele desertieren vor dem Wehrdienst der Regierungstruppen. Es gibt nur noch Söldner im Land und wenige Rekruten. Viele erwarten deshalb seit Tagen Überraschungen.

Heute sind die Preise für … um zehn bis zwanzig Prozent gestiegen.

Die Situation ist eine absolute Tragödie. Hinzu kommt die bittere Not und Arbeitslosigkeit der Menschen, während die Kälte heranstürmt und die Brotversorgung unterbrochen ist. Die Lage ist sehr düster. Gestern gab es [viel] Bombenlärm, heute weniger. Heute ist die Lage weitgehend ruhig. Das schlimme aber ist, dass man in der Stille das schreckliche Geräusch eines Raketenabschusses hört.

In einer Woche wird Aleppo vielleicht vollständig ausser Kontrolle sein.

Aleppo, 14.12.2012

(Aus dem Arabischen von M. Kreutz)

Kriegstagebuch Aleppo (4)

Heute ist der Strom in der ganzen Stadt ausgefallen. Handy- und Telefonverbindungen sind unterbrochen. In einigen Teilen funktionieren sie einige Minuten am Tag.

Brot ist nicht erhätllich, zumal der Kilopreis auf 200 syrische Lira (etwa 2 Euro – M.K.) angestiegen ist, d.h. etwa 5 türkische Lira, was etwa 2,5 Dollar sind.

Ein Arzt hat mir erzählt, dass in den letzten drei Tagen die Krankenhäuser, darunter das Averroes- und das Salam-Krankenhaus, nicht mehr mit Diesel versorgt wurden, sodass es bald womöglich noch mehr Tote geben wird, besonders in kritischen Situationen, und zwar aus Treibstoffmangel.

In der Nacht gab es stundenlange Scharmützel, die bis zum frühen Morgen andauerten. Es war eine kalte Nacht ohne Strom. Frühmorgens begannen viele Leute den Sturm auf die Bäume, um sie zu fällen, damit sie selbst heizen und kochen können.

Die Preise für Brennstoffe sind immer noch nicht normal und diese ausserdem kaum zu bekommen. Natürlich bedeutet ein Steigen der Preise für Brennstoff auch, dass der öffentliche Verkehr teurer wird.

Leider haben manche Leute eine Neigung zum Atheismus entwickelt und einige von ihnen bekennen sich offen dazu. Ich hoffe, dass die internationale oder die islamische Gemeinschaft [sagen kann, dass sie] nicht in der Lage war, etwas zu tun. Nur Wodka hat man uns gegeben, damit die Menschen nicht vor Kälte sterben und damit sie die Hände von den Parks lassen.

Der neue Slogan der Revolution lautet:

„Gott – Syrien – Wodka“ und basta!

Aleppo, 10.12.2012

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz)

Kriegstagebuch Aleppo (1)

Ab heute startet auf diesem Blog das Kriegstagebuch Aleppo. Die einzelnen Beiträge stammen von Mohammed H., der in Aleppo unweit der historischen, jetzt leider zerstörten Altstadt sein Zuhause hat. Die Beiträge erscheinen in unregelmässigen Abständen, weil in Aleppo regelmässig der Strom ausfällt. Und das ist derzeit noch eines der geringeren Probleme, die die Einwohner dort haben. Die Originaltexte sind auf Arabisch und erscheinen hier in deutscher Übersetzung. Wie lange das Kriegstagebuch geführt werden kann, lässt sich noch nicht absehen. Ein Ende der Reihe ist jedoch nicht notwendigerweise ein schlechtes Zeichen, da der Verfasser je nach Lage der Dinge versuchen wird, in die Türkei zu gelangen. – M.K.

Kriegstagebuch Aleppo, 1. Teil / Von Mohammed H.

An alle, die es interessiert,

die Situation hier in Aleppo hat sich zu einer äussersten Tragödie entwickelt, besonders nachdem Brot und Mehl auf den Märkten knapp wurden. Unglücklicherweise sind die Menschen zu Wölfen in Sachen Mundraub geworden. Betrüblich ist auch, dass hier viele Familien nichts besitzen, um Brot kaufen zu können.

Seit mindestens zehn Tagen ist auch die Stromversorgung in einigen Gegenden unterbrochen, in meiner eigenen Gegend sei mehr als zwei Tagen. Geschmuggeltes Brennmaterial ist um 60% im Preis gestiegen. Die Situation hat sich zu einer absoluten Tragödie ausgewirkt.
Wir bitten Gott um einen glücklichen Ausgang und Liebe unter den Menschen.

Aleppo, 5.12.2012

Es gibt weder Strom noch Brot, auch das Wasser ist in einigen Vierteln abgesperrt. Der Preis für Brennmaterial ist weiter gestiegen. Einige Menschen fällen Bäume in ihren Gärten, um sie zum heizen zu benutzen.

Die Situation ist absolut erdrückend. Auf die Strasse zu gehen ist äusserst gefährlich und bei Dunkelheit sieht man die Hand nicht vor Augen.

Aleppo, 6.12.2012

Wie ersponnen, so zerronnen

Der israelische Historiker Shlomo Sand hat sich zum Ziel gesetzt, die historischen Voraussetzungen des Zionismus gründlich zu zertrümmern – so gründlich, dass er selbst das jüdische Volk als eine Erfindung zu entlarven versucht, um damit dessen Anspruch auf Palästina zu delegitimieren. Nun bewirbt die Presseabteilung des Berliner Ullstein-Verlages Sands neues Buch wie folgt:

Es gäbe [sic!] kein historisches Anrecht der Juden auf das Heilige Land der Bibel, so Sand. Diese Idee sei ein Erbe des Nationalismus des 19. Jahrhunderts, aufgegriffen von den europäischen Zionisten jener Zeit.

[…] Entgegen der israelischen Unabhängigkeitserklärung und heutiger Regierungspropaganda habe es nie ein Streben des Judentums nach Rückkehr in das »Land der Väter« gegeben.

Man beachte den letzten Satz: es habe “nie ein Streben des Judentums nach Rückkehr in das ‘Land der Väter’ gegeben.” Wer eine solche These vertritt, sollte sich vielleicht besser nicht als Historiker bezeichnen. Denn bereits Mitte des 16. Jahrhunderts berichtet der Reisende Hans Dernschwam, dass es in Alexandria, Kairo, Aleppo, Antiochia, Damaskus und Jerusalem, wo es überall einen hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung gab, unter älteren Juden – sofern sie über genügend finanzielle Reserven verfügten – üblich war, nach Palästina auszuwandern, und zwar in der Hoffnung, „das sy von allen landen in ir landt wider zusamen werden khommen vnd ein regiment vberkhommen.‟ ((Quelle: Hans Dernschwam’s Tagebuch einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien (1553/55), nach der Urschrift Im Fugger-Archiv hg. und erläutert von Franz Babinger (München 1923), 107.))

Davon abgesehen: Andere Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches böten weitaus mehr Angriffsfläche für eine Dekonstruktion ihrer Nationalgeschichte. Der Begriff „Syrien‟ (sūriyā) als Eigenbezeichnung für den nördlichen Nachbarn kam in der Neuzeit nicht vor 1841 wieder in Gebrauch und erst 1865 riefen die Osmanen eine gleichnamige Provinz ins Leben. Auf der anderen Seite des Mittelmeeres berufen sich die Griechen auf ihre antike Geschichte, was zwar nicht falsch ist, aber insofern eine Konstruktion darstellt, als in byzantinischer Zeit die Griechen bekanntlich keine Griechen mehr sein wollten, sondern Römer (was sich in spätbyzantinischer Zeit wieder änderte).

Noch mehr sind die Versuche libanesischer (maronitischer) Geschichtsschreiber, eine phönizische Abkunft der Libanesen nachzuweisen, reine Ideologie. Mindestens fragwürdig sind auch die Behauptungen von albanischer Seite, von den Illyrern abzustammen. Und wenn palästinensische Nationalisten die Herkunft ihres Volkes auf die Jebusiter zurückführen, so ist dies eine ahistorische Behauptung, die nur den jüdischen Anspruch auf Jerusalem delegitimieren soll. Demgegenüber ist ein jüdisches Kontinuum, das bis in die Antike zurückreicht und immer einen Bezug zu Jerusalem hatte, sehr viel besser zu belegen.

[Aus dem Archiv]

 

Ein Hoch auf den Klimawandel!

Von Jonathan Kriener (Gastautor)

Offenbar gibt es im Sinai und um den Nassersee vermehrte Feuchtigkeit. Die dortigen Wasserläufe sind in den letzten vier Jahren signifikant angeschwollen und über dem Nassersee hat der Dunst zugenommen. Das sind Ergebnisse aus Berechnungen und Berichten des IPCC, die in diesen Tagen auf einer Konferenz in Amman von Experten für Klimawandel vorgestellt wurden. ((Quelle: Al-Watan, Kairo, 5. Oktober 2012, 6.))

Prof. Jamal Alibo, internationaler Klimaexperte und Bewässerungsfachmann an der Hasaniyye-Universität in Casablanca hält es für unzweifelhaft, dass das Klima in Ägypten und womöglich weit darüber hinaus bis in die arabische Halbinsel und die Sahara in den nächsten Jahren deutlich regnerischer und fruchtbarer wird. Möglicherweise wird man dort sogar Landwirtschaft betreiben können.

Alibo forderte die Nilanrainerstaaten auf, hinsichtlich des Baus von Staudämmen eng miteinander zu kooperieren und eher kleine Dämme zu bauen. Der französische Klimaexperte Dr. Estefan Simon empfahl gleichfalls den gesamten arabischen Staaten Nordafrikas und der Levante, kleine Staudämme zu bauen, um das vermehrte Wasser aufzufangen und damit Dürreperioden zu überbrücken. Der ägyptischen Regierung riet er dasselbe für den Sinai.

Die verbreitete Angst vor den negativen Folgen des Klimawandels ist eben zunächst einmal eine Angst, d. h. eine negative Erwartung, eine normale menschliche Reaktion auf Veränderung. Dass Veränderung auch positive Folgen haben kann, gerät dabei leicht aus dem Blick. Wenn aber der ganze Rummel von Konferenzen und Programmen dazu führt, dass man auch für die positiven Folgen Vorkehrungen trifft und Hysterie abbaut, hat er vielleicht doch sein Gutes.

[Aus dem Archiv.]

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