Lektion aus Tiflis

Eigentlich sollte hier so bald nichts mehr zum Thema Ukraine erscheinen, doch wie es der Zufall will, hat der amerikanische Journalist Michael J. Totten bemerkenswerte Informationen zum Thema beizusteuern, die sich im Rückblick als so erhellend herausstellen, dass wir sie kurz erwähnen wollen.

“Where the West Ends” lautet der Titel von Tottens 2012 erschienenem Buch, das von den Ereignissen auf der Krim noch nichts wissen konnte. Totten berichtet darin von seiner Begegnung mit dem ungarischen Politiker Mátyás Eörsi in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

Eörsi erklärt dem amerikanischen Journalisten, wie es zur russischen Besetzung von “Südossetien” kam. Auffällige Parallelen bestehen jedenfalls zwischen dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1956, den Ereignissen in der Tschechoslowakei 1968 und der Jahrzehnte später von Moskau erhobenen Behauptung, der georgische Präsident Saakaschwili habe Russland provoziert.

Diese Behauptung war in Moskau immer dann laut geworden, wenn ein der sowjetischen bzw. russischen Einflusssphäre zugehöriges Land versucht, seinen eigenen Weg zu gehen.

Während im Zuge der ersten NATO-Erweiterung gen Osten führende europäische Politiker reihenweise nach Moskau fuhren, um der russischen Seite zu versichern, man plane nichts, was den Interessen Moskaus schaden könne, war es der Sicherheitsberater der amerikanischen Regierung, Zbigniew Brzezinski, der vor dieser Beschwichtigungspolitik warnte.

Brzezinski hatte begriffen, dass der Verzicht auf eine Erweiterung in Moskau nur als Signal verstanden werde, die eigene Einflusssphäre auszubauen. Für einen Staat wie die russische Föderation sei es unmöglich, über den Verlust des Grossmachtstatus hinwegzukommen.

In der Sowjetunion, so Eörsi, haben Millionen Russen in Armut gelebt, aber immerhin Stolz darüber empfunden, eine Supermacht zu sein. Auf der Woge dieses empfundenen Verlusts segelt Wladimir Putin. Und an dieser Stelle, so schreibt Totten in seinem Buch, kam man auf das Thema Ukraine zu sprechen.

Wäre im Westen der politische Wille vorhanden gewesen, so Eörsi, hätte die Ukraine innerhalb eines einziges Tages NATO-Mitglied werden können – so wie es auch der Fall war mit Griechenland und der Türkei. Diese Chance wurde vertan, weswegen Eörsi prophezeite, dass die Ukraine stärker ins Fahrwasser Moskaus geraten werde. 

Er sollte recht behalten: 2010 wurde der pro-russische Viktor Janukowitsch Präsident der Ukraine. 

Das war aber noch nicht alles: Totten weiss auch zu berichten, was geschah, bevor es zum russischen Einmarsch in Südossetien kam. Russische Fernsehsender, so berichtete ihm eine Georgierin, hätten seinerzeit Georgien als faschistisches Land gezeichnet, das von Nazis regiert werde.

Kommt einem das nicht bekannt vor?

Sympathien für ein autoritäres System

Woher kommt eigentlich das Verständnis, das so viele in Deutschland für Putins autoritäres Russland aufbringen? Dass die Krim einmal zu Russland gehört und Chruschtschow sie 1954 auf eine Weise an die Ukraine abgetreten hat, die nicht ganz völkerrechtskonform war, ist irrelevant. Nach dem Niedergang des Sowjetsystems hat Russland die Ukraine in ihren Grenzen spätestens 2001 vollständig anerkannt und sich darauf eingelassen, für die Stationierung der eigenen Schwarzmeerflotte einen Pachtzins zu bezahlen.

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Zum Tode von Ariel Scharon

Bei all den Nachrufen auf Ariel Scharon scheint mir ein wichtiger Aspekt zu kurz gekommen, der für eine abschliessende Würdigung seiner Lebensleistung von Bedeutung ist. Sharon nämlich verkörperte eine israelische Tradition – und das im besten Sinne des Wortes.

Israel kann immer nur aus einer Position der Stärke heraus der arabischen Seite die Hand zum Frieden zu reichen, niemals aus einer Position der Schwäche. Das Land darf sich auch keinen verlorenen Krieg leisten, die arabischen Nachbarstaaten haben diesen Nachteil nicht.

Erst wenn Israel als Sieger dasteht und nicht der leiseste Schatten eines Verdachtes auf ihm lastet, nur aus Schwäche zum Frieden gewillt zu sein, kann es sich auf Verhandlungen einlassen. Dafür standen Yitzchak Rabin und Ehud Barak genauso wie Ariel Scharon – Persönlichkeiten, die stark genug waren, im Zweifelsfalle auch unpopuläre Massnahmen umzusetzen und die israelische Bevölkerung für diese zu gewinnen.

Die palästinensische Seite wäre gut beraten, in starken israelischen Führern eher eine Chance denn einen Fluch zu sehen. Nicht Friedensaktivisten, Publizisten oder Politiker von ausserhalb können den Palästinensern helfen, ihren eigenen Staat zu erlangen, sondern Leute vom Schlage eines Ariel Scharon.

Daran, dass diese Lektion gelernt wurde, kann man freilich Zweifel haben: Der Sprecher der PA, Jibril ar-Rajoub, bezeichnet Scharon als “Verbrecher”, während die Hamas sein Ableben als “göttliches Zeichen und Lektion für alle Tyrannen” bejubelt und auf den Strassen Süssigkeiten verteilt.

 

ISIS und die Falken

Ist der sog. Islamische Staat in Irak und Syrien (ISIS, arab. dāʿash) bereits eine unumkehrbare Tatsache und droht nun ein islamistischer Flächenbrand?. Vielleicht Aber vielleicht sollte man al-Qaida auch nicht überschätzen. Tatsächlich ist zweifelhaft, ob die mit al-Qaida verbundenen ISIS-Kämpfer ihre Herrschaft auf eine dauerhafte Basis stellen können. Ihre Feinde haben sie nämlich nicht nur in Form der FSA, sondern auch in Form der Regierungarmeen und – untereinander.

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Im Haifischbecken

Spähaffäre und kein Ende: Politik und Medien scheinen zur Zeit kein grösseres Problem mehr zu kennen (nachdem dem medial aufgeblasenen Skandälchen um den Limburger Bischof die Luft ausgegangen ist). Dabei ist fraglich, ob die ganze Empörung um die NSA irgendetwas bringt, wenn sie nicht ohnehin gar kontraproduktiv ist.

Denn wir leben in einer Welt, in der sich gewaltbereite, extremistische Gruppen nicht mehr so leicht unterwandern lassen. Das gilt für rechtsextreme, aber vielleicht noch mehr für islamistische Zellen. Wenn einige bis dahin unbescholtene Extremisten eines Tages beschliessen, ein Bombenattentat im Namen ihrer Ideologie zu planen, dann wird kein Geheimdienst in der Lage sein, diese Zelle mit V-Leuten zu infiltrieren – eben weil niemand sie auf dem Radarschirm hat. „Im Haifischbecken“ weiterlesen

Reza Schah

Der iranische Exilantensender “Manoto” hat einen Film über Reza Shah (1878-1944) produziert, der extrem sehenswert ist, weil er auf z.T. neuentdecktem Archivmaterial beruht. Das Ergebnis ist so beeindruckend, dass “Manoto” aufgrund der überwältigenden Resonanz den Film gestern zum vierten Mal in Folge gesendet hat.

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Schon längst kein Modell mehr

Vor einiger Zeit hat das amerikanische PewResearchCenter in einer Umfrage zutage gefördert, dass 72% der Indonesier einer Durchsetzung der Scharia positiv gegenüberstehen. Kein Grund zur Besorgnis sei das, meint man auf Qantara.de, verstehe man in Indonesien doch ganz unterschiedliche Dinge unter dem Begriff Scharia, der doch nur “Weg” oder “Pfad” bedeute, ähnlich dem tao im Chinesischen.

Viele verbänden mit dem Begriff nämlich soziale Gerechtigkeit und Fairness, auch wenn man bei Pew oder Qantara.de nicht sagen kann, wie hoch der Anteil derer ist, die das so sehen mögen. Dann erfahren wir auch noch, dass in Indonesien Nicht-Muslime “nach strenger Auslegung des islamischen Rechts” als Bürger zweiten Ranges betrachtet werden, was aber in der Praxis ohne Bedeutung sei, würde dies doch der UN-Menschenrechtserklärung widersprechen, die das Land unterzeichnet hat. Denkbar wäre natürlich, dass zumindest ein Teil der Indonesier die Durchsetzung der Scharia gegen die UN-Menschenrechtserklärung wünscht. Man weiss es nicht.

Da Indonesien weit weg ist, könnte das ganze für uns als relativ belanglos eingestuft und ad acta gelegt werden, wenn da nicht der grössere Kontext wäre: der Islamischen Welt nämlich gehen die Vorbilder aus. Noch Mitte der 90er Jahre hatte der Göttinger Politologe Basam Tibi gerade Indonesien als mögliches Modell eines Islam für das 21. Jahrhundert gepriesen, bevor es Jahre später zu einigen unschönen Szenen kam – und nun die Pew-Umfrage. Irren ist menschlich. Andere islamische Länder mit Modellfunktion sind jedoch nicht in Sicht.

 

Die Geister, die ich rief

Russischer Waffenlieferungen zum Trotz ist das Überleben des syrischen Regimes alles andere als gesichert. Eine Ironie der Geschichte dabei ist, dass die Jihadisten, derer sich das Regime zu erwehren hat und die zum Teil aus dem Irak kommen, dorthin zuvor über Syrien eingereist waren, worauf Ghassan Karam auf “Ya Libnan” hinweist:

This same Syrian government was proud to encourage and facilitate the crossing of Jihadists from all across the Moslem world into Iraq but now that some of these jihadists want to cross the border in the opposite direction this activity has become abominable.

Und nicht nur das. Die Jihadisten haben ihr Handwerk ausgerechnet bei einem Verbündeten von Assad gelernt. So zitiert Mirella Hodeib im libanesischen “Daily Star” einen Kämpfer der Regierungsarmee:

“There’s a kind of irritating familiarity,” Jawad noted. “Hezbollah taught Hamas all those tactics to fight the Israelis. Hamas apparently decided to transfer their experience to takfiri groups.

… “We transferred our experience to a Sunni group – Hamas – and they used it train groups that are now fighting us,” he said.

Wie gesagt, blanke Ironie.

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