Die Fratze des klerikalen Regimes

Niemand sollte sich dieses Video anschauen, das die iranische Menschenrechtsaktivistin Masih Alinejad ins Netz gestellt hat (ich habe es auch nicht getan): Es soll die Hinrichtung des jungen Iraners Majid Reza Rahnavard zeigen, derim Morgengrauen in Maschhad für seine Teilnahme an den Protesten hingerichtet wurde. In dieser entwürdigenden Praxis erweist sich die Fratze des iranischen Regimes, die nichts menschliches an sich hat.

„Skull & bones clipart, death“/ CC0 1.0

Wenn Menschen mit dem Strang hingerichtet werden, dann geschieht das meistens derart, dass eine Falltür sich öffnet und der Verurteilte unter der Last des eigenen Gewichts an Genickbruch stirbt. Eine grausamer Tod – aber noch grausamer ist der Tod, der die Islamische Republik Iran ihren Dissidenten bereitet: Hierbei wird der Verurteilte an einem Kran langsam in die Höhe gezogen und dabei stranguliert und das ist nur der grausame Höhepunkt nach der Folter.

Das Video soll zudem zeigen, wie die Bassidsch, Angehörige einer zivil gekleideten Schlägertruppe des Regimes, „Allahu Akbar“ rufen, „Gott ist gross!“, während der Verurteilte über ihren Köpfen mit dem Tode rang – ein junger Mann, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte und der nur die Freiheiten geniessen wollte, die für Menschen selbstverständlich sein sollte. Aber das Regime belässt es selbst dabei nicht.

Auch die Hinterbliebenen des Toten werden gedemütigt. Wie das aussieht, zeigt das Beispiel eines anderen, wenige Tage zuvor Hingerichteten, Mohsen Schekari. Als die Familie, die man hatte glauben machen, ihr Sohn werde bald freigelassen, mit der Nachricht von der Exekution schockiert wurde und nunmehr die sterblichen Überreste beerdigen wollte, wurde sie zu erst zum einen, dann zum anderen Friedhof gescheucht. Selbst die Angehörigen sollen so schnell keinen Seelenfrieden finden.

Derweil verkündete ein hochrangiger Kleriker des Regimes, Abulhasan Mahdavi, Mitglied des sog. „Expertenrats“ und stellvertretender Freitagsimam von Isfahan, dass die Menschen, wenn der Hejab nicht vom Staat durchgesetzt werde, das Recht haben, mit „Feuer“ dessen Durchsetzung zu erzwingen. Für Menschen wie Mahdavi ist der Hejab dasjenige, das den Menschen vom Tier unterscheidet (auch wenn Männer seiner nicht bedürfen.)

Allgemein wurde dies so verstanden, dass zur Säure greifen darf, wer eine schlecht- oder unverschleierte Frau bestrafen wolle. Mahdavis unmittelbarer Vorgesetzter in Isfahan und ebendort Stellvertreter des Führers Ali Khamenei, Akatollah Tabatabai-Nejad, hat zwar Berichte zurückgewiesen, wonach er selbst Säureattentate gebilligt habe. Verurteilt und für unrechtmässig erklärt hat er diese aber ebensowenig. Auch hierin zeigt sich die hässliche Fratze des Regimes.

Einerseits nämlich thematisiert das Regime „Feuer“ und Selbstjustiz, womit es seine Anhänger zu gesteigerter Grausamkeit gegen Frauen ermuntert, die für ihre Freiheit demonstrieren. Andererseits distanziert es sich halbherzig von Ãœbergriffen dieser Art, weil es keine Verantwortung übernehmen will – schon gar nicht im Angesicht einer Weltöffentlichkeit, die tagtäglich mit ansehen muss, wie das Regime die eigenen Bürger quält.

Säureattentate mit Billigung des Regimes hatten schon vor acht Jahren einen vorläufigen Höhepunkt gefunden, sodass man auch aktuell mit dem schlimmsten rechnen muss. Ein Funken Hoffnung besteht darin, dass es innerhalb des klerikalen Hofstaates Risse gibt. Erfreulicherweise hat Mohammad Taqi Fazel Maybodi vom Klerikerseminar zu Qom die Worte von Mahdavi angeprangert und erklärt, er hoffe, die Freitagsimame würden sich dem Lernen widmen, um nicht der Häresie (bedʿat) anheimzufallen.

Um wieviel barmherziger als das Regime erscheinen aber dessen Gegner. Der Westen darf deshalb in seiner Aufmerksamkeit und Unterstützung.für Menschen wie Majid Reza Rahnavard, die gegen ein grausames, fanatisches Regime kämpfen, nicht nachlassen. Kurz bevor er hingerichtet wurde, bat der verurteilte Rahnavard, dass niemand an seinem Grab trauern, niemand beten, niemand aus dem Koran rezitieren solle. Die Menschen sollten einfach feiern und ausgelassene Musik spielen.


Nachtrag 30. Dezember 2022

Die iranischstämmige Politikerin Gollaleh Ahmadi (Grüne) blickt optimistisch in die Zukunft, was die Proteste betrifft. Im Gespräch mit der taz sagt sie: „Die Despoten setzen auf Zeit. Sie rechnen damit, dass die Aufmerksamkeit nachlässt. Das darf mit dem Iran nicht passieren und das darf mit der Ukraine nicht passieren. Und auch mit Afghanistan nicht. Wenn wir das schaffen, haben wir sehr viel geschafft.“

Nachtrag 25. Februar 2023

Ein Beitrag in der taz thematisiert die Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis, dem „Wartezimmer des Todes“. Unter Berufung auf die Schilderungen der Tochter einer Inhaftierten heisst es :“ Die Zellen seien fensterlos, die ganze Zeit über brenne Neonlicht, sodass die Gefangenen jegliches Gefühl für die Tageszeit verlieren. In einigen Zellen gibt es eine Toilette. Ist keine vorhanden, werden den Gefangenen für den Weg zu einer Toilette Augenbinden angelegt. Augenbinden müssen außerhalb der Zelle immer getragen werden.“ Menschen soll durch psychische Folter in stundenlangen Verhören, während der die Gefangenen weiterhin Augenbinden tragen, gebrochen werden.

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