Dienst am Volk

Die Frage, wie man Menschen am besten erziehen, bevormunden und gรคngeln kann, hat schon viele Denker zu intellektuellen Hรถchstleistungen angespornt. Jetzt fordert der Germanist und Fernsehphilosoph Richard David Precht die Einrichtung eines sozialen Pflichtjahrs fรผr Renter. Denn genau wie Precht haben auch Rentner bekanntlich Zeit en masse und da nicht alle รผber einen so hohen Marktwert verfรผgen, dass sie vom Bรผcherschreiben leben kรถnnen, muss man sie anderweitig einsetzen.

โ€žServant Applying Medicinal to Geisha’sโ€œ von The Metropolitan Museum of Art/ CC0 1.0

Precht (โ€Freiheit geht immer mit Unfreiheit einherโ€œ) glaubt, dass diejenigen, โ€œdie sich รผber den Zwang empรถren, genau diejenigen [sind], die es freiwillig nie tun wรผrdenโ€ weswegen sie fraglos zur Rรคson gebracht werden mรผssen. Damit wird ihnen der einzige Lohn genommen, mit der ehrenamtliche Tรคtigkeit vergolten wird: Anerkennung als Wรคhrung freiwilliger Tรคtigkeit am Nรคchsten wird durch Zwang entwertet. Man betrachtet die Dienstleistung fortan als Selbstverstรคndlichkeit und dem zum Dienst Verpflichteten wird mit Herablassung begegnet.

Dass sein Vorschlag Zwangsarbeit bedeutet, weshalb er hoffentlich keine politischen Mehrheiten findet, mag Precht allerdings nicht einsehen. Zwangsarbeit ist nรคmlich nur, wenn sie in sibirischer Kรคlte oder in unteriridischen Stollen stattfindet โ€“ alles darunter ist frรถhlicher Dienst am Volk. Was kann daran falsch sein?

Zum Beispiel dies: Man kann das ganze nรคmlich weiterdenken und alle mรถglichen Gruppen benennen, die zu allen nur erdenklichen Diensten zwangsverpflichtet werden. Warum nicht ein Pflichtjahr fรผr Philosophen in einer Autowerkstatt, wo man lernt, wie man sich die lilienweissen Hรคnde bei handwerklicher Tรคtigkeit schmutzig macht?

Das grรถsste ร„rgernis aber ist die Nonchalance, mit der ein mit 47 Jahren noch recht junger Intellektueller รผber รคltere Menschen zu verfรผgen sich anmasst. Junge Menschen kann man zum Schuldienst, spรคter zum Wehrdienst oder zum sozialen Dienst verpflichten, damit sie in den Stand versetzt werden, die Errungenschaften der Gesellschaft weiterzutragen: Schliesslich waren es die vorangegangenen Generationen, die den Wohlstand und die politische Stabilitรคt erst mรถglich gemacht haben, in denen sie aufwachsen.

Kรคme ein Hundertjรคhriger auf diese Idee, hรคtte sie auch noch eine andere Qualitรคt als wenn dies aus dem Munde eines Mittvierzigers geschieht. Dies Menschen zur staatlich verordneten Pflicht zu machen, deren Recht es ist, die Frรผchte ihres Arbeitslebens zu geniessen, ist schlechterdings wรผrdelos, die philanthropische Begrรผndung der Zwangsarbeit gerรคt zur Farce: โ€œEs geht darumโ€, begrรผndet Precht allen Ernstes seinen Vorstoss, โ€œdie Schwellenangst vor dem sozialen Engagement zu  nehmen.โ€

Eine wahre Unverfrorenheit. Precht sollte sich der Generation der Rentner besser lernend nรคhern, anstatt belehrend.


Nachtrag 12. Juni 2022

Ein mit seinem Amt hoffnungslos รผberforderter Bundesprรคsident Steinmeier sรคhe gern den sozialen Pflichtdienst eingefรผhrt, wenn auch, sich darin von Precht unterscheidend, nur fรผr junge Menschen. Steinmeier glaubt allen Ernstes und gegen jede Evidenz, dass wir in einer Zeit leben, «in der das Verstรคndnis fรผr andere Lebensentwรผrfe und Meinungen abnimmt».

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