Eine konservative Partei, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung verinnerlicht hat, wäre ein legitimes Vorhaben gewesen. Es hätte die Demokratie beleben und damit ein Gewinn für die Gesellschaft sein können, denn ein Mehr an Parteienwettbewerb hätte dem Land durchaus gutgetan.
Bevor die AfD die politische Bühne betrat und nur wenige Jahre nach ihrer Gründung in den Bundestag einzog, um aktuell zur zweitstärksten Partei in Sachsen und Brandenburg gewählt zu werden, herrschte eine Vakanz in der politischen Landschaft vor, denn CDU, CSU und FDP begreifen sich als Parteien der Mitte.
Als die AfD antrat, diese Vakanz zu besetzen, war von vornherein klar, dass Rechtsextreme versuchen würden, sie für eigene Zwecke zu nutzen. Man musste der Partei also Zeit geben, sich nach rechts, also dorthin, wo der Extremismus sein Lager hat, abzugrenzen. Das wollte von Anfang an nicht so recht gelingen. Gemässigte AfD-Mitglieder verliessen die Partei, radikalere traten ein und stiegen auf.
Lange Zeit war freilich nicht ganz klar, inwieweit der Rechtsextremismus zum Identitätskern der Partei gehörte. Seit dem Aufstieg einen Björn Höcke freilich lässt sich nicht verhehlen, dass die AfD eine zumindest latent rechtsextreme Partei ist – eine Partei, die den Extremismus ihrer Mitglieder kaum noch verhehlen kann.
Demokratisch erscheinen wollen und zugleich im Trüben fischen
Höcke, der vor einigen Jahren die Ungeheuerlichkeit begangen hat, den Afrikanern zu unterstellen, sie verfolgten eine Reproduktionsstrategie, wie man sie von Wasserflöhen, Blattläusen oder diversen Parasiten kennt („r-Strategie“), denkt auch sonst gerne in biologischen Kriterien und spricht von einer notwendigen „Selbstregulation“ von Mensch und Natur gegenüber einem „zinsbasierten Kapitalismus“.
Zudem lastet auf Höcke der Verdacht, unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ für NPD-nahe Medien geschrieben haben soll, was Höcke aber weder bestätigt noch dementiert (hier ab 31:30). Er hätte die Autorenschaft auch bestätigen und sich davon distanzieren können. Aber dazu hat er keinen Mumm, sondern weicht stattdessen der Frage aus.
Das ist ausgesprochen jämmerlich, aber eben auch symptomatisch für die AfD, die sich trotz Unvereinbarkeitsbeschlusses gegenüber rechtsextremen Gruppierungen, trotz des zu begrüssenden Ausschlusses von Doris von Sayn-Wittgenstein, sowie der Ankündigung, auch einen Antisemiten wie Wolfgang Gedeon ausschliessen zu wollen, sich nicht entscheiden kann, wo sie hingehören will. Augenscheinlich möchte sie beides: Als demokratische Partei anerkannt werden und zugleich im Trüben fischen.
Mitglieder der AfD sind vielfach dadurch aufgefallen, dass sie Sympathien gegenüber rechtsextremen Positionen hegen und ebenso oft, dass sie grossartig darin sind, sich haarsträubende Ausreden einfallen zu lassen, wenn sie wieder einmal die Fratze des Hetzers nicht haben verbergen können. Doch irgendwann ist das nicht mehr lustig. Mittlerweile gibt es so viele Entgleisungen, dass man sie nicht mehr aufzählen kann, weswegen sie auch nicht länger als Einzelfälle abzutun glaubhaft sind.
Russische Verhältnisse für Deutschland
So brechen nach und nach alle Dämme. Hatten die Vorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen anfangs noch verkündet, eine Zusammenarbeit mit dem siebzehnfach vorbestraften Pegida-Chef Lutz Bachmann komme nicht infrage, da wurde das auch schon wieder zur Makulatur, als sich der Chef der AfD Brandenburg, Andreas Kalbitz, öffentlich mit Lutz Bachmann auf einem „Trauermarsch“ zeigte. Kalbitz beschwichtigte, nicht zum ersten Mal.
Kalbitz war 2007 mit Neonazis nach Athen gereist, wie kürzlich bekannt geworden ist, was aber nicht etwa dazu geführt hat, dass er sich klar und deutlich von derlei Aktivitäten distanziert hätte. Nein, er formuliert wie ein Diplomat, dass „in der nachträglichen Bewertung dieser Veranstaltung (…) diese nicht dazu angetan [war], mein weiteres Interesse oder Zustimmung zu wecken (…).“ Empörung darüber, dass die Gruppe, mit der er gereist war, eine Hakenkreuzflagge auf ihrem Balkon gehisst haben soll, blieb aus.
Organisiert hatte die Veranstaltung ausgerechnet die griechische „Goldene Morgenröte“ (Xrysí Avgí), die „rechtsradikal“ zu nennen noch eine Verharmlosung wäre. Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine gewalttätige, klar nazistische Partei, die über einen eigenen Schlägertrupp, die „Blaue Armee“ (galázia stratiá), verfügt, die schon Jagd auf Albaner gemacht hat. Ihre Mitglieder sind offene Hitler-Verehrer, die zuweilen auch den Ku Klux Klan imitieren und Fackelmärsche abhalten. Das also ist die Gesellschaft, in die Kalbitz sich begeben hat, der aber angesichts ihres Charakters nicht schockiert war, sondern lediglich feststellte, dass sie „nicht dazu angetan war“, sein „weiteres Interesse oder Zustimmung zu wecken.“
Jetzt, wo Kalbitz mit seiner AfD die Landtagswahlen in Brandenburg gewonnen hat, da schickt er auch gleich ein Dankeswort an die Ein Prozent-Bewegung hinaus, die als Brückenkopf in das NPD-Milieu hinein fungiert. Wahlen sollen nicht abgeschafft, Individualismus und Pluralismus aber einem Wir-Gefühl untergeordnet werden. Das ist antiliberal durch und durch.
Zur Ein Prozent-Bewegung gehört auch der AfD-nahe Verleger Götz Kubitschek, der erst kürzlich seinen „Gegenentwurf“ zu den etablierten Parteien, vor allem den Grünen, dahingehend zusammenfasste, dass er „auf Wir-Definition, also nationaler Identität, auf Ordnungsstaat und spürbarer Autorität, auf solidarischem Patriotismus und auf einer für die deutsche Mentalität typischen Mischung aus Leistungsgedanke und Verstaatlichung“ beruhe.
Auf der Russland-Konferenz der AfD vor zwei Jahren hatte Hans-Thomas Tillschneider, der kulturpolitische Sprecher der AfD Sachsen-Anhalt, ganz in diesem Sinne seine antiliberale Vision vorgetragen, die sich an der „östlichen Variante des Christlichen“ orientiert, wobei er auf Alexandr Dugin verwies (hier ab 5:27:28). (Dass Tillschneider unzulässigerweise für liberal ausgibt, was eigentlich links ist, sei hier nur am Rande vermerkt.) Dugin verwirft universalistische Werte zugunsten eines Menschenbildes, das mit einzelnen Kulturkreisen verwoben ist.
Das erinnert an das aus der russischen Kirche bekannte Konzept des Sobornost (vgl. Traut 2011), das die Einheit der Kirchengemeinde gegenüber dem Individuum betont und letztlich eine Haltung befördert, die starke Herrscher gegenüber unabhängigen Institutionen bevorzugt. Ein gesellschaftliches Modell für Deutschland kann dies nicht sein. Wer so etwas propagiert, dem ist nicht mehr zu helfen und der ist nicht bürgerlich-konservativ und steht definitiv nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Tillschneider hat mit all dem kein Problem, obgleich er den Anti-Individualismus und -pluralismus eines Dugin und der russischen Kirche auch im orthodoxen Islam finden könnte, den er aber ablehnt. Denn der Islam ist uns eben „fremd“, die christliche Orthodoxie hingegen nicht oder zumindest sehr viel weniger und nur darauf kommt es ihm an. Die Freiheit, die wir geniessen, kann ruhig vor die Hunde gehen – Hauptsache, wir werden nicht überfremdet.
Wenn die Spitze radikaler ist als die Basis
Dabei scheint die Basis im allgemeinen weniger radikal zu sein als die Spitze der AfD. Selbst die linke Taz musste vor einigen Jahren feststellen, dass in einer AfD-Hochburg wie Usedom keine irgendwie geartete Fremdenfeindlichkeit festzustellen ist. Eine Partei, deren Basis radikaler ist als deren Spitze, kann man sich leicht vorstellen. Bei der AfD scheint es genau andersherum zu sein.
Dass die Basis weniger radikal ist, zeigt auch die Tatsache, dass 28 Prozent der Wähler in Sachsen und sogar 53 Prozent der Wähler in Brandenburg angeben, die Partei nicht wegen ihrer Inhalte, sondern als Denkzettel gewählt zu haben. Das muss man sich einmal vorstellen: Eine Partei wird mehrheitlich von Leuten gewählt, denen ihre Inhalte einerlei sind. Ein Trost freilich ist das nicht.
Noch Generationen von Politikwissenschaftlern werden sich an der AfD abarbeiten. Hier darf man als Migrant fröhlich mitmachen und dafür sorgen, dass die AfD in manchen Regionen als vermeintlich bürgerlich-konservative Partei reüssiert, während die Spitze mit Halbwahrheiten Angst vor Migranten schürt und Kontakte ins NPD-Milieu hinein knüpft. Gelangen entsprechende Aktivitäten an die Öffentlichkeit, war eben alles ein Missverständnis, man distanziert sich halbherzig, relativiert, redet sich heraus.
Ein Beitrag in der „Kriminalpolitischen Zeitung“, die Pressemitteilungen der AfD unter die Lupe nimmt, zeigt: Zwar ist unter Zuwanderern die Kriminalität tatsächlich grösser als unter der Mehrheitsbevölkerung, was offen debattiert werden sollte. Aber die AfD will nicht debattieren, sondern Stimmung machen. So schürt sie „überzogene Kriminalitätsängste und Vorbehalte gegenüber dem aus Sicht der AfD schwachen Staat“, wie die Autoren resümieren, die auch darauf hinweisen, dass die Partei ihr Heil vor allem in der Repression sucht.
Mit der AfD ist die extreme Rechte in die Parlamente eingezogen, die wohl so bald nicht wieder verschwinden wird. Auch ohne die Demokratie formal abzuschaffen, könnte sie ihre Institutionen aushöhlen. Gerade, wenn man fest im bürgerlichen Lager steht, sollte man nicht immer nur auf den Antiliberalismus von links schauen und auf dem rechten Auge blind sein. Auf der rechten Seite formiert sich ein Antiliberalismus, der nicht minder gefährlich ist als der auf der linken Seite des politischen Spektrums.
Bleibt zu hoffen, dass auch die Protestwähler das erkennen. Ob das Projekt einer konservativen Partei, die zur Gänze auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, eine Chance hat, wird sich erst erweisen, wenn die AfD Geschichte geworden ist.
Nachtrag 7. September 2019
Die AfD wolle in die 1950er Jahre zurück, schreibt die „Jüdische Allgemeine“, und das heisse für die Juden: In eine Zeit, in der man nicht über den Holocaust sprach und die Deutschen unter sich blieben. Eine düstere Perspektive.
Nachtrag 13. September 2019
Noch einmal meldet sich die „Jüdische Allgemeine“ zu Wort und erklärt mit Verweis auf den namentlich nicht genannten Andreas Kalbitz, warum die Jüdische Gemeinde nichts mit der AfD zu tun haben wolle: „Eine Partei mit einem gefährlichen Scharfmacher samt bester Neonazi-Kontakte als Landeschef disqualifiziert sich ohnehin von ganz alleine (…).“
Nachtrag 15. September 2019
Mögen auch die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland vor allem ein linkes Publikum bedienen, so ist das ZDF-Interview mit Björn Höcke doch ein solides Stück Journalismus. Höcke windet sich, auf die Parallelen zwischen seiner Sprache und der des NS angesprochen, ständig heraus, zeigt sich aalglatt und versucht, das Gespräch auf andere Themen zu lenken. Als sein Pressesprecher Günther Lachmann mit der Begründung eingreift, es würden andere Themen angesprochen als vorab mitgeteilt, geht Höcke ins Grundsätzliche und hält den Journalisten eine Standpauke über journalistische Ethik – völlig grotesk. Schliesslich fordert er eine Wiederholung des Interviews, doch das ZDF-Team lehnt ab. Der Eindruck bleibt, dass Höcke es nicht fertigbringt, sich klar von NS-Gedankengut zu distanzieren.
Nachtrag 24. Januar 2020
Wie n-tv schon im November vergangenen Jahres berichtete, kommt eine Forsa-Umfrage zu dem Ergebnis, dass unter AfD-Anhängern völkische und rechtsextreme Ansichten weitverbreitet sind. Demnach glauben 64%, dass „die Juden Geld von Deutschland kassiert“ haben und es „damit jetzt genug“ sei und sieht eine Mehrheit der AfD-Anhänger im Ende des Zweiten Weltkrieges eher eine Niederlage für Deutschland als eine Befreiung.
Nachtrag 26. Februar 2020
Eine Studie der Universität Leipzig („Rechtsextremismus, Gewaltbereitschaft, Antisemitismus und Verschwörungsmentalität“) vom 25.02.2020 gelangt zu dem Befund, „dass AfD-Wähler_innen über alle Dimensionen hinweg signifikant höhere Zustimmungswerte in Bezug auf die Dimensionen des Rechtsextremismus zeigten, als die Wähler_innen der anderen Parteien (…). Neben der sehr hohen Zustimmung zu Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit (…) zeigt sich auch eine im Schnitt deutlich erhöhte Ablehnung der Demokratie (…) und ein ausgeprägter Hang zur Verharmlosung des Nationalsozialismus.“ Auch wenn „deutlich erhöht“ nicht bedeutet, dass eine Mehrheit der AfD-Wähler entsprechend denkt, so gilt dies nicht für die Zustimmung zum Antisemitismus: „Mehr als die Hälfte der AfD-Wähler_innen findet Ressentiments gegen Jüd_innen verständlich (…). Bei keiner anderen Partei nutzen die Anhänger_innen so offen die Möglichkeit, ihren Antisemitismus zu äußern.“ Dass eine Partei nichts für ihre Wähler kann, ist eine fragliche Annahme. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass die Rhetorik der AfD gezielt Menschen mit antidemokratischem, autoritärem und antisemitischem Denken anzieht. Dass „[ü]ber 70% finden, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden„, überrascht einen da nicht mehr.
Nachtrag 3. März 2020
Über die „Goldene Morgenröte“ (Xrysi Avgi) schreibt die britische „Guardian“ in einer gut recherchierten Reportage: „Although Golden Dawn’s members sometimes played the game of respectable politics, they were no mere rightwing populists; they were the kind of Nazis you are more likely to read about in history books. (…) The story of Golden Dawn is the closest we’ve yet come to seeing fascism in its most extreme form regain a foothold in European politics this century.„
Nachtrag 5. März 2020
„Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD“ erklären die Parteivorsitzenden Meuthen und Chrupalla. Fein, aber zu einfach. Dass entsprechende Äusserungen in der AfD nämlich keine Seltenheit sind, zeigt eine kleine Zusammenstellung in der FAZ.