Noch nach fünfzig Jahren ist der überlieferte Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Jacob Taubes aufschlussreich, wenn es um das intellektuelle Klima der 60er und 70er Jahre geht. Das gilt auch in Hinsicht auf den Umgang mit anderen Meinungen und Anschauungen seitens zweier Gelehrter in einer Zeit, in der der universitäre Betrieb noch stark von der Vergangenheit überschattet war.
Blumenberg, Philosoph zunächst in Giessen, dann in Münster, hielt überraschend wenig von Taubes, dieser von jenem aber umso mehr, wie der Briefwechsel, der im vergangenen Jahr aus dem Nachlass der beiden Gelehrten herausgegeben wurde, eindrucksvoll zeigt. [note]Hans Blumenberg und Jacob Taubes, Briefwechsel 1961-1981 und weitere Materialien, hrsg. von Herbert Kopp-Oberstebrink, Martin Treml, Anja Schipke und Stephan Steiner, Berlin 2013.[/note] Taubes umschmeichelte seinen Gesprächspartner bei jeder Gelegenheit, machte ihm Komplimente und versuchte, den Kontakt mit Blumenberg für sein Netzwerk am Laufen zu halten. Und das erfolgreich.
In einer längeren Passage über seine recht isolierte Stellung in der akademischen Gelehrtenschaft gab Blumenberg preis, dass er bei Gadamer nicht wohlgelitten war, wie er überhaupt für alle Heidegger-Schüler (zu denen auch Gadamer gehörte) als untragbar galt. Dies war der Fall, seitdem Blumenberg der Freiburger Fakultät schriftlich erklärt hatte, dass er die Tradition jenes Lehrstuhls „auf gar keinen Fall“ respektieren wolle. [note]Blumenberg an Taubes, Giessen, 22.3.1965, in: Briefwechsel … (wie Fussnote 1), S. 48.[/note]
Blumenberg hatte nach eigenen Worten „nie persönliche oder sachliche Sympathie für Martin Heidegger“ und seinen Einfluss hielt er für „unselig“, doch — und das ist das eigentlich Bemerkenswerte — hinderte ihn dies nicht daran, gegen dessen „neuere Zensoren“ aufzubegehren, wie er noch mehr als zehn Jahre später gegenüber Taubes bekundete. [note]Blumenberg an Taubes, Münster, 24.5.1977, in: ebd., S. 174. Zum „unseligen Einfluss“ s. Hans Blumenberg, Die Verführbarkeit des Philosophen, Frankfurt/Main 2005, S. 109.[/note] Von dieser Haltung sollte Blumenberg auch Jahre danach nicht abrücken.
Das war keineswegs selbstverständlich, Heidegger hatte doch seinerzeit für den Nationalsozialismus nicht nur Partei ergriffen, sondern — was er nach dem Krieg zu relativieren suchte — diese Parteinahme auch mit seiner Philosophie begründet. Davon berichtet ein anderer Philosoph, nämlich Karl Löwith, der 1936 auf einer Vortragsreise nach Rom ebendort auf Heidegger getroffen war und diesen unmittelbar mit der Behauptung konfrontierte, dass das eine sich aus dem anderen ergäbe.
Wie aus Löwiths 1986 erschienenen Memoiren hervorgeht, hatte Heidegger, der während seines gesamten Aufenthaltes in Rom das Parteiabzeichen trug, ihm ohne Vorbehalte zugestimmt. Blumenberg wiederum, der Löwiths Memoiren gelesen hatte, warf Heidegger eine obstruktive Haltung seiner eigenen Vergangenheit gegenüber vor, verteidigte aber dessen „Recht auf Irrtum“ – wenn auch nicht ohne den ironischen Zusatz „… das er gründlich wahrgenommen hat“. [note]Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933: Ein Bericht, Stuttgart 1986, S. 57, 88, zit. nach Blumenberg, Die Verführbarkeit … (wie Fussnote 3), S. 100-3.[/note]
Ähnlich verfuhr Blumenberg mit Carl Schmitt, mit dem er selbst das Gespräch gesucht hatte. [note]Hans Blumenberg und Carl Schmitt, Briefwechsel 1971-1978 und weitere Materialien, hrsg. von Alexander Schmitz und Marcel Lepper, Frankfurt/Main 2007.[/note] Dass der damals fast neunzigjährige Schmitt von manchen gemieden wurde, dafür hatte Blumenberg Verständnis, doch kritisierte er die damit so oft einhergehende „Selbstdarstellung“ und die „moralischen Zensoren“, „die an allen Ecken und Enden ihre Gerichtstage halten, wieder Schilder umhängen und Plätze auf der Skala zwischen Rechts und Links verteilen“, um dann zu entscheiden, wer als verbrannte Figur zu gelten habe und wer nicht. [note]Blumenberg an Taubes, Münster, 24.5.1977, in: Briefwechsel … (wie Fussnote 1), S. 174.[/note]
Aber auch Taubes, politisch der Linken zugehörig, sollte Courage beweisen, und das nicht nur im Umgang mit Blumenberg, der oft konträre Positionen vertrat. So wollte Taubes keinen geringeren als Emil Cioran für ein Kolloquium einladen, einen erzreaktionären Denker, den er jedoch als „zu der ganz seltenen Spezies der Rechtsintellektuellen“ gehörend bezeichnete. Dass Taubes dessen Ansichten schätzte, kann ausgeschlossen werden. Sein Motiv war ein anderes: „Die Linke, wenn sich selbst überlassen, wird schal und oberflächlich“ – da brauchte man einen Widerpart. [note]Taubes an Blumenberg, Berlin, 20.9.1966, in: ebd., S. 103.[/note]
Heute herrscht in der Gesellschaft eine gewisse Leichtfertigkeit vor, Meinungen und Personen zu skandalisieren. Seit damals hat sich wenig geändert. Umso eindrucksvoller bleibt daher, welche Lust an der Kontroverse und welcher Sportsgeist einen Jacob Taubes und einen Hans Blumenberg noch ausgezeichnet haben.