Zu Koran 5,32

Der Islam mag eine Religion des Friedens sein. Aber wie lässt sich das aus dem Koran heraus begründen?

Aus diesem Grund (d.h. aufgrund dieses Brudermords) haben wir den Kindern Israels vorgeschrieben, daß, wenn einer jemanden tötet, (und zwar) nicht (etwa zur Rache) für jemand (anderes, der von diesem getötet worden ist) oder (zur Strafe für) Unheil (das er) auf der Erde (angerichtet hat) es so sein soll, als ob er die Menschen alle getötet hätte. Und wenn einer jemanden (w. ihn) am Leben erhält (w. lebendig macht) soll es so sein, als ob er die Menschen alle am Leben erhalten (w. lebendig gemacht) hätte.

… heisst es in Sure 5,32, hier in der Übersetzung von Rudi Paret (1979). Dieser Vers wird gerne herangezogen, um ein allgemeines Tötungsverbot aus dem Koran abzuleiten (z.B. hier). Natürlich gibt es immer eine Spannbreite an möglichen Interpretationen und was man theologisch aus einem Vers macht, ist noch eine ganz andere Sache.

Dessen ungeachtet sollte man sich im klaren darüber sein, dass nicht alle Interpretationen gleichermassen plausibel sind. Der Islamwissenschaftler Tilman Nagel hat darauf hingewiesen, dass das in Sure 5,32 ausgesprochene Tötungsverbot, wie der Kontext nahelegt, lediglich die Mitglieder der eigenen Solidargemeinschaft schützt, die durch Blutrache in ihren Reihen bedroht war.

In der medinensischen Zeit bis zum sog. Grabenkrieg mussten Muslime nämlich fürchten, ausserhalb Medinas von anderen Muslimen überfallen zu werden, wenn sie mit ihnen in Blutfehde lebten. Die entsprechenden Koranverse beziehen sich auf diesen Sachverhalt. Nagel:

Mohammed warb, möglicherweise um dem Kampfeseifer jener Beutegierigen neue Ziele zu eröffnen, sicher jedoch zur Ausdehnung seiner religiös-politischen Herrschaft, zur selben Zeit um eine Fortsetzung des Dschihad (…). Die Aufkündigung der bei der Inbesitznahme Mekkas den Heiden gegebenen Zusage, sie dürften weiterhin die Pilgerriten nach der herkömmlichen Weise vollziehen, verknüpfte Mohammed mit der Aufforderung, die Beigeseller nach Ablauf der heiligen Monate zu töten, wo immer man sie treffe (…).

Nagel bezeichnet daher die Behauptung, dass der Koran ein allgemeines Tötungsverbot enthalte, als “Propagandamärchen.” ((Tilman Nagel: Mohammed. Leben und Legende. München 2008, S. 942-5 Fn. 230; vgl. Carl Brockelmann, Geschichte der islamischen Völker und Staaten [1943], Nachdruck Hildesheim und New York 1977, S. 31-2.)) Natürlich kann man den Koran (oder Teile daraus) auch historisch lesen, doch dann hat sich die Sache mit dem allgemeinen Tötungsverbot erst recht erledigt.

Zumindest der angeführte Vers scheint sich für eine entsprechende Argumentation nicht zu eignen und so wird man auf eine andere Passage zurückgreifen müssen, wenn man die Behauptung, der Islam sei eine Religion des Friedens, plausibel im Koran verankern will.

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