Welchen Film haben die Kritiker gesehen?

Die vom WDR in Auftrag gegebene und von Arte produzierte Dokumentation über Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik war von “Bild” kurzzeitig der Öffentlichkeit zugänglich gemascht worden – und schon springen Kritiker im Dreieck. Wie bekannt, war die Ausstrahlung der Dokumentation von Arte mit der Begründung zurückgehalten worden, es habe “gravierende” Abweichungen vom Konzept gegeben. Schliesslich solle es doch um Antisemitismus in Europa gehen und nicht im Nahen Osten, die Macher hätten sich also völlig verrannt.

In diese Kerbe schlagen auch die Kritiker, die hier ganz der Argumentation der Arte-Redaktion folgen und bemängeln, der Film habe zu sehr auf den Antisemitismus im Nahen Osten fokussiert. Tatsächlich hat er das gar nicht getan, sondern allein die Behauptung der BDS-Verfechter zu widerlegen versucht, BDS nütze den Palästinensern.

Merkwürdig ist, dass Arte die Reisen der Filmemacher offenbar abgesegnet hat. Die Filmemacher werden die Flüge, den Dolmetscher und die Unterkunft wohl kaum aus eigener Tasche finanziert haben, die Erstattung dieser Auslagen muss also jemand bei Arte genehmigt haben. Warum wird jetzt kritisiert, dass man in Gaza und in Israel gedreht habe?

Völlig grundlos auch die Behauptung, dass dem Film die Schurken „in den Schoss“ fielen, indem „ausnahmslos alle Araber“ schlecht wegkämen. Ganz im Gegenteil kommen in der Dokumentation befragte Palästinenser in Gaza und in der Westbank überwiegend sympathisch herüber, irgendwelche antimuslimischen oder antiarabischen Ressentiments werden im Film gar nicht bedient.

Es wird auch nicht geleugnet, dass der israelische Unabhängigkeitskampf mit Vertreibungen und Tötungen einherging, hingegen klar und deutlich kritisiert, dass NGOs versuchen, daraus einen Völkermord zu konstruieren. Deplatziert ist daher die Behauptung, der Film sei Propaganda für Israel, verbunden mit der Kritik, die Problematik der Besatzung würde ausgeblendet. Man fragt sich, was dies in einem Film über Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik eigentlich zu suchen hätte.

In einem Film über Antisemitismus hat die Besetzung des Westjordanlandes genauso wenig zu suchen wie die Problematik des Klimawandels oder der verpfuschte Bau des Berliner Flughafens. Israelkritik ist immer dann antisemitisch, wenn es ihr in Wahrheit nur darum geht, Israel zu delegitimieren. Das ist das Thema des Films und nichts anderes.

Haltlos ist auch der Vorwurf, dass andere Spielarten des Antisemitismus hätten thematisiert werden müssen. Arte selbst hat eingeräumt, dass der ursprünglich von der Programmkonferenz genehmigte Programmvorschlag “ausdrücklich das Thema des unter dem Deckmantel der Israelkritik versteckten Antisemitismus” vorgesehen habe. Damit hat sich diese Kritik erledigt.

Zwar ist der Vorwurf berechtigt, dass die im Film gezeigten NGOs um ein Statement hätten ersucht werden müssen. Das erklärt aber nicht, warum Arte den Film nicht senden wollte. Ein mögliches Statement der betroffenen NGOs hätte man in den Film einbauen können. Ebenso wäre die fehlende Untertitelung in die Sequenzen arabischer Fernsehsendungen einzufügen ein leichtes gewesen.

Warum also die Aufregung?

Antisemitische Denkmuster sind tendentiell nach politischen Standpunkten verteilt. Während im bürgerlichen, rechten und rechtspopulistischen Teil des politischen Spektrum eher ein sekundärer Antisemitismus vorherrscht, der den Holocaust relativiert oder die deutsche Urheberschaft minimiert, ist im linken Teil des Spektrum meist ein antiimperialistisch gewirkter Antisemitismus zuhause.

Folglich wird ein Film über den Schuldabwehrantisemitismus überwiegend von Rechten und Rechtspopulisten handeln; ein Film über den antiimperialistisch gespeisten Antisemitismus überwiegend linke Organisationen und Gruppen ins Visier nehmen. Oder wieviele BDS-Komitees gibt es, die den Rechtspopulisten nahestehen?

Der “palästinensische Freiheitskampf durch Terror” werde seit fünfzig Jahren von einer “Mehrheit der Linken im Westen” unterstützt, heisst es im Film. Das ist gewiss eine Übertreibung. Nur eine Minderheit der Linken im Westen dürfte den “palästinensischen Freiheitskampf durch Terror” unterstützen. Dennoch: Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik ist gerade unter Linken verbreitet – die ihren Antisemitismus freilich nicht zugeben würden.

Hier dürfte der wahre Grund für das Maulen und Nörgeln liegen, das sich jetzt in den Feuilletons bahn bricht: Man will nicht wahrhaben, dass die Linke ein Israel-Problem hat. Ist das auch der Grund, warum die Arte-Redaktion den Film nicht zeigen wollte? Wir wissen es nicht, aber die angeführten Gründe sind fadenscheinig. Einigen Kritikern möchte man ausserdem zurufen: Welchen Film habt ihr eigentlich gesehen?

Angesichts der Tatsache, dass Israel in den Medien entweder einseitig kritisiert wird oder Berichte und Reportagen auf Äquidistanz gehen, wäre ein “proisraelischer Propagandafilm”, wenn es ihn gäbe, nicht der Skandal, zu dem er jetzt gemacht wird. Bei Podiumsdiskussionen und Ringvorlesungen deutscher und westlicher Universitäten kommt Israel sowieso meist schlecht weg, während bei Veranstaltungen zum Thema Iran praktisch nur Regimeversteher eingeladen werden.

Jetzt hätte ein Fernsehsender beinahe einmal einen Film gezeigt, in dem die BDS-Szene, die Israel in die Knie zwingen will und sich einen feuchten Kehricht um innerisraelische Kritik an der Besatzung schert oder darum, was die Palästinenser in Gaza und in der Westbank eigentlich denken, als Bewegung von Fanatikern demaskiert wird, schon bekommt man kalte Füsse und äussern Kritiker kleinliche Bedenken angesichts seiner Ausstrahlung.

Das ist das eigentlich Unfassbare.

Autor: Michael Kreutz

Orientalist und Politologe.

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