Die „Jerusalem Declaration“: Eine bessere Definition von Antisemitismus?

Die Arbeitsdefintion Antisemitismus der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) ist manchem nicht gut genug. Das war zu erwarten, denn der Antisemitismus steht im Zentrum einer anhaltenden Debatte und jeder Konsens über seine Definition ist immer nur ein vermeintlicher. Das Konkurrenzprodukt lautet „The Jerusalem Declaration on Antisemitism“ und soll die Schwächen ihrer Konkurrentin beseitigen.

Die Initiatoren der „Jerusalem Declaration“ bemängeln, dass die Definition der HRA in zentralen Aspekten unklar sei und viel Raum lasse für unterschiedliche Interpretationen. Vielem, was die „Jerusalem Declaration“ demgegenüber verkündet, kann man zustimmen, manches ist freilich banal. Die spannende Frage lautet, welche Rolle Israel in der Definition einnimt. Im Abschnitt C.14, wo es um die gegen Israel gerichtete „Boycott, divestment and sanctions“ (BDS)-Bewegung geht, heisst es:

Boycott, divestment and sanctions are commonplace, non-violent forms of political protest against states. In the Israeli case they are not, in and of themselves, antisemitic.

Bemerkenswert ist die Einschränkung „in and of themselves“, was soviel bedeutet wie: „an und für sich“ oder „im Prinzip“. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass BDS unter Umständen antisemitisch sein kann, was die Frage aufwirft, welche Umstände das sein sollen. Eine mögliche Antwort findet sich in Abschnitt B.10:

Denying the right of Jews in the State of Israel to exist and flourish, collectively and individually, as Jews, in accordance with the principle of equality.

Wenn BDS, so die Schlussfiolgerung, dazu dient, Juden das Recht abzusprechen, in Israel als Juden zu leben, wäre es antisemitisch. Das verschiebt aber nur das Problem, denn nun wäre zu fragen: Wenn BDS Juden das Recht zuerkennt, in Israel zu leben, diesem aber verweigert, sich als jüdischen Staat zu definieren, wäre es dann immer noch antisemitisch? Nach der „Jerusalem Declaration“ müsste die Antwort wohl „Nein“ lauten.

Auslage in Aleppo.

Das ist mindestens sehr problematisch, denn beispielsweise Islamisten sprechen Juden nicht das Recht ab, als Juden in Palästina zu leben und BDS fordert auch nicht explizit die Zerstörung Israels, sondern bekämpft nur sein Selbstverständnis als jüdischen Staat. Obgleich fraglos antisemitisch motiviert, fällt dies durch das Raster der „Jerusalem Declaration“, die in Abschnitt A.4 einräumt, dass Antisemitismus auch „kodiert“ sein könne, dafür aber nur Beispiele nennt, keine Kriterien, wie kodierter Antisemitismus zu erkennen sein soll.

Die „Jerusalem Declaration“ krankt also an dem, was ihre Initiatoren der Arbeitsdefinition der „Int. Holocaust Remembrance Alliance“ vorwerfen. Sie ist schwammig und lässt viele Interpretationen zu. Fragt sich, wer eigentlich die Initiatoren sind, die das zu verantworten haben.

Nach eigenen Angaben werde die „Declaration“ von „namhaften Wissenschaftlern“ (distinguished scholars) unterstützt. „Namhaft“ ist freilich so eine Sache, ähnlich wie „führend“. Schaut man sich die Liste der Initiatoren an, findet man dort vor allem die üblichen Verdächtigen wie Aleida Assmann, Eva Illouz, Micha Brumlik, Brian Klug, Gudrun Krämer, John Bunzl, Susan Neiman, Peter Schäfer und so weiter.

Aber Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Wenn die „Jerusalem Declaration“ nur dazu dient, die Definition der „Holocaust Remembrance Alliance“ umso heller erstrahlen zu lassen, ist das doch auch etwas.

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Nachtrag 30. März 2021

Im „Perlentaucher“ findet sich eine Besprechung der „Jerusalem Declaration“ von Matthias Küntzel, die in dieselbe Richtung geht: Sie spielt vor allem Israelfeinden in die Hände und wurde mit nur einer Ausnahme von keinem einzigen der renommierten Holocaustforscher unterzeichnet. Pikant ist das Schlusspädoyer: „Es ist nicht gerade überraschend, dass sich die alte und neue Führung des Berliner „Zentrums für Antisemitismusforschung“ hier besonders engagiert. … Eine Schließung dieses Zentrums würde dem Kampf gegen Antisemitismus schwerlich schaden.

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