Wenn es um Fussball oder den Nahen Osten geht, wimmelt Deutschland von Experten. Eine Gruppe von sechzehn Akademikern mit Doktortitel, denen die Redaktion der „Zeit“ ehrfurchtsvoll attribuiert, „führende Experten für die Region“ zu sein (damit auch ein wenig akademischer Glanz auf das eigene Haus fällt), hat nun in einer Stellungnahme Bedenken gegen die Verurteilung der BDS-Bewegung durch den Bundestag geäussert – so verdruckst, wie nur führende Experten das können.
Es geht um die BDS-Bewegung, die der Bundestag als antisemitisch verurteilt hat. BDS steht für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen. Dahinter steht die Absicht, Israel wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, was sich in der Stellungnahme so liest: Die BDS-Bewegung sei eine Bewegung, „die Israel gewaltlos unter Druck setzen soll, damit es aufhört, palästinensische Rechte zu verletzen. Konkret geht es der Bewegung um (…) die Gleichstellung der palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels und die Anerkennung des völkerrechtlich verbrieften Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge.“
Es geht also um eine Ende der seit 52 Jahren dauernden Besatzung. Von dem Abzug israelischer Truppen aus dem Südlibanon im Jahre 2000 und der Räumung des Gazastreifens 2005 haben die „führenden Experten“ noch nie etwas gehört. Auch nicht davon, dass Israel nach jedem Abzug den Kürzeren gezogen hat: Im Libanon erstarkte die Hisbollah, im Gazastreifen die Hamas.
„(…) antisemitische Straftaten verzeichneten in den vergangenen Jahren deutlichen Zuwachs und gehen ganz überwiegend auf das Konto von Rechtsextremen. Dagegen ist BDS hierzulande nach Einschätzung des Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eine zu vernachlässigende Größe.“ Die BDS-Bewegung ist also antisemitisch, dies fällt aber nicht ins Gewicht. Aber nicht nur der Rechtsextremismus bereitet den „führenden Experten“ grössere Sorgen, sondern vor allem die Israel-Lobby, die in Deutschland den Ton angibt:
„Offizielle und selbsternannte Repräsentanten der israelischen Regierung intervenieren regelmäßig, um israelkritische Veranstaltungen in öffentlichen Räumen und an Universitäten zu verhindern, um die Arbeit der politischen Stiftungen vor Ort einzuschränken und so ihre Lesart der nahöstlichen Geschichte durchzusetzen.“ Wieviele israelkritische Veranstaltungen in Deutschland stattgefunden hätten, wenn nicht offizielle und selbsternannte Repräsentanten der israelischen Regierung interveniert hätten, wissen wohl nur unsere „führenden Experten“.
Erstaunlich, dass an deutschen Universitäten Veranstaltungen zum Thema Israel und Nahostkonflikt meist so einseitig personell bestückt sind, dass man sich wünschte, es gäbe derlei Interventionen. Dass die politischen Stiftungen mitunter eine fragwürdige Rolle im Nahen Osten spielen, ist den „führenden Experten“ keine Silbe wert. Das gilt auch für das Jüdische Museum Berlin, das Berichten zufolge so einseitig anti-israelisch in seinen Veranstaltungen ist, dass man sich fragt, warum die Bundesregierung (die zu etwa 75% das Museum finanziert) so etwas unterstützen sollte.
„Dabei handelt es sich um eine breit angelegte Kampagne der israelischen Regierung, für die vor allem das Ministerium für strategische Angelegenheiten verantwortlich zeichnet. Sie zielt darauf ab, Kritik an israelischer Regierungspolitik pauschal als antisemitisch zu diskreditieren, Kritiker als Terroristen oder Antisemiten zu dämonisieren und ihre Unterstützer einzuschüchtern.“ Denn natürlich steckt die israelische Regierung dahinter, die eine „Kampagne“ initiiert hat, als ob es nicht auch unabhängige Kritiker des Jüdischen Museums gegeben hätte.
Der Jude ist heimtückisch. Alles unterläuft und hintergeht er, was der gute Deutsche mit soviel Herz und Engagement auf die Beine bringt: „Was uns allen am Herzen liegt, ist Antisemitismus dort zu bekämpfen, wo er eindeutig zutage tritt, und dabei die Grundrechte zu wahren und zu schützen.“ Wer solche Sätze zustande bringt, muss das Gemüt einer Bulldogge haben. Wer aber sind die Unterzeichner, die von der „Zeit“ als „führende Experten für die Region“ bezeichnet werden?
Dazu gehört Helga Baumgarten, eine „Spezialistin für arabische Widerstandsbewegungen„, wie Hisbollah und Hamas in progressiven Kreisen genannt werden. Im Interview mit dem „Eurasischen Magazin“ gibt sie Erstaunliches zu Protokoll: Die Hisbollah ist keine iranische Marionette, nur weil sie von Teheran Waffen bekommt (und ideologisch mit dem Regime auf einer Linie liegt); der Krieg im Libanon hingegen, den Israel gegen die Hisbollah geführt hat, war von langer Hand vorbereitet und Teil einer „US-amerikanischen neokonservativen Strategie“. Baumgarten macht sich die islamistische Propaganda also zu eigen, anstatt sie kritisch zu hinterfragen.
Oder Gudrun Krämer. Krämer hat es geschafft, in ihrer Habilitationsschrift über Hassan al-Banna zu sprechen, ohne den Antisemitismus der Muslimbrüder und ihre Unterstützung des Terrorismus mit einem Wort zu thematisieren. Den „Global Mufti“ Yusuf al-Qaradawi bezeichnet sie als „moderat“, weil er nicht zur Gewalt gegen andere aufrufe, sondern nur gegen „fremde Besatzung, Kolonialismus, Zionismus und Israel.“ (s. Clemens Heni, Schadenfreude: Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Berlin 2011: 148-9, 156.)
Oder Achim Rohde. Was dessen Doktorarbeit betrifft, so kritisiert der Antisemitismusforscher Clemens Heni, dass darin eine Täter-Opfer-Umkehr stattfinde, und resümiert: „Rohde ist kein Holocaustleugner; vielmehr möchte er die arabischen bzw. muslimischen Antizionisten ermuntern, die Shoah anzuerkennen, um dann Israel besser mit antizionistischen Invektiven attackieren zu können.“ (Ebd. 126.)
Oder Rachid Ouaissa. Der Marburger Politologe hat vor einigen Jahren ein tolles Projekt initiiert: Einen konstruktiven Austausch mit „gemässigten Islamisten“ aus dem arabischen Raum, wobei unter „gemässigt“ der Verzicht auf Gewalt sowie die Anerkennung rechtsstaatlicher Prinzipien verstanden wird. Fragt sich nur, ob sie sich an beides auch dann noch halten, wenn diese gemässigten Islamisten erst einmal an die Macht gelangt sind. Zu den Akteuren, die konkret gemeint sind, gehören u.a. die Muslimbrüder, deren Gewaltbereitschaft gegen Israel in einem Papier zweier Mitarbeiter des Projekts mit keinem Wort erwähnt wird. Doch, doch, für so etwas kann man in Deutschland erfolgreich öffentliche Mittel einwerben.
Oder Astrid Meier. Ausweislich ihrer Publikationsliste hat sie nur ein einziges Buch als alleinige Autorin verfasst: Ihre Doktorarbeit. Über eine Habilitation oder adäquate Publikationen – unabdingbar für den Erhalt einer Professur – ist nichts bekannt. Dass Leute auf Lehrstühle berufen werden, die neben ihrer Doktorarbeit keine weitere Monographie vorzuweisen haben, ist mittlerweile schon zur Regel geworden. Solche Leute versuchen ihr Defizit gerne dadurch zu verschleiern, dass sie in ihrer Publikationsliste eigene Sammelbände mit ihrer Doktorarbeit vermengen. So auch Astrid Meier: In der Rubrik „Bücher“ führt sie fünf Titel auf, was auf den ersten Blick wirkt, als habe man es hier mit einem akademischen Schwergewicht zu tun. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass vier der fünf Titel lediglich Herausgeberschaften und eine Co-Autorenschaft sind! Man möchte gar nicht wissen, welcher Uni-Filz wohl verantwortlich dafür sein mag, dass eine augenscheinlich minder qualifizierte und mit 56 Jahren überdurchschnittlich alte Wissenschaftlerin eine Professur erhalten hat.
Das sind also einige derjenigen, die die „Zeit“ als „führende Experten“ bezeichnet. Wenn sich ein paar Akademiker mit Doktortitel zusammentun, geht man in der Redaktion der „Zeit“ vor Ehrfurcht in die Knie. (Zur Verteidigung der „Zeit“ muss man sagen, dass sie, anders als der „Spiegel“, über keinerlei Mechanismen der Qualitätssicherung verfügt, diese also auch nicht versagen können. Nur so erklärt sich, warum das Blatt einen Gastbeitrag abgedruckt hat, dessen Autorin behauptet, als 19-Jährige mit ihrem besten Freund eine kleine Klinik in einem grossen Slum von Neu-Delhi gegründet zu haben. Dass dies offensichtlicher Mumpitz ist, musste der „Zeit“ erst vom „Spiegel“ gesteckt werden.)
Anders als unsere „führenden Experten“ glauben machen wollen, fordert die BDS-Bewegung u.a. ein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge, was bei mehr als sieben Millionen schlicht und einfach die Vernichtung Israels bedeuten würde. Die Bewegung selbst interessiert sich überdies nicht die Bohne dafür, warum Israel den Gazastreifen abriegelt und sogar abriegeln muss. Denn Hamas und Hisbollah haben jeden Rückzug Israels immer nur als Schwäche ihres Gegners verstanden, jegliche Form von Koexistenz liegt ausserhalb ihrer Vision von Nahen Osten – wie auch ausserhalb des intellektuellen Horizontes unserer „führenden Experten“.
Die Verurteilung der BDS-Bewegung durch den Bundestag als antisemitisch wird von den „führenden Experten“ mit dem scheinheiligen Argument abgelehnt, sie helfe nicht gegen den Antisemitismus. Dabei gibt es keinen Grund, warum die Bundesregierung eine solche Bewegung unterstützen sollte, zumal diese auch nicht daran denkt, nur einzelne Personen oder Institutionen in Israel zu boykottieren, sondern sich gegen Israel als ganzes richtet.
Dieselbe BDS-Bewegung also, die völlig undifferenziert Israel zum allein Schuldigen des Nahostkonflikts macht, soll nun bitte ganz differenziert betrachtet werden. Das ist die Tragödie der Guten: Unfähig und unwillig, in Angehörigen muslimischer Kulturen etwas anderes als Underdogs zu sehen, die man permanent in Schutz nehmen muss, sind sie dazu verurteilt, der islamistischen und israelfeindlichen Propaganda immerfort auf den Leim zu gehen.
Nachtrag 17. Juli 2019
In der FAZ wirft Thomas Thiel der BDS-Bewegung Feigheit vor, „ihr auf Umwegen formuliertes Ziel, die Zerstörung Israels“, offen auszusprechen. Die unseligen Rollen von Bundespräsident Steinmeier und der Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer prangert der Autor dabei ebenso an wie die der amerikanischen Verbände der Orientalismus-, Nahost- und Sprachwissenschaften, die sich schon früh der BDS-Bewegung angeschlossen haben.
Nachtrag 20. November 2020
Eine der Unterzeichnerinnen, Ulrike Freitag, versucht im „Tagesspiegel“, den Islamismus zu relativieren, nimmt den Islam und postkoloniale Theorien in Schutz und setzt sich für eine „kritische Befragung der eigenen Gesellschaft“ ein – mit einem Wort: Sie verkörpert all den Mumpitz, der an den Universitäten reflexartig vorgebracht wird, wenn es um das Thema Islamismus geht.