Von Spengler zu Putin

Ein zentraler Begriff im Denken Oswald Spenglers ist der der „Pseudomorphose“: Kulturen wandeln sich äusserlich, ohne aber ihren inneren Kern zu verraten: Sie sind nicht das, was sie scheinen. Spengler hatte dies in seinem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ vor allem auf die arabische Kultur bezogen, der er absprach, am Erbe der Antike Anteil zu haben, sei jene doch vielmehr Ausdruck einer „früharabischen Innerlichkeit“ und seit jeher mit dem Kult einer „magischen Religion“ verwachsen geblieben.

Dieses Urteil kann man freilich auch umkehren: Kulturen wie die arabische lassen sich nicht so leicht verwestlichen, sondern bleiben noch über viele Jahrhunderte ihrem ursprünglichen Wesen treu. Spengler selbst hat das auch auf den Osten Europas bezogen, wo die orthodoxe Kirche vorherrscht. Er selbst sprach von einem „neuen Griechentum als magische Nation“, Der Osteuropahistoriker Klaus Buchenau hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Konzept der Pseudomorphose über den orthodoxen Theologen Georgij Florovskij in der orthodoxen Kirche bekannt gemacht wurde, wo man den westlichen Einfluss zurückzudrängen suchte.

Unter Liberalen eher wenig geschätzt: Spengler.

Florovskij verbrachte den Zweiten Weltkrieg im serbischen Belgrad. Dort wirkte ein orthodoxer Theologe namens Dimitrije Najdanovic (1897-1986), der seinerseits ein Rezipient von Spengler war. Spengler wird sicherlich zu recht mit der Konservativen Revolution in Verbindung gebracht; inwieweit er auch ein Vordenker des Nationalsozialismus war, ist umstritten. Die Nazis jedenfalls hatten, wie Buchenau schreibt, ein Sonderprogramm für orthodoxe Theologen aufgelegt, um diese an das Dritte Reich heranzuführen. Najdanovic gehörte zu den Begünstigten dieses Programms.

In Deutschland wiederum hat die Neue Rechte ebenfalls ein seltsames Liebesverhältnis zur Russischen Kirche und auch zur russischen Regierung und damit zu Putin. Das hat nachvollziehbare Gründe, denn der Autoritarismus der russischen Politik ist ohne die Kirche kaum zu denken. Der Osteuropahistoriker Tobias Traut hat darauf hingewiesen,. dass die Russische Kirche den Staat traditionell nicht als etwas begreift, das kraft eigener Legitimation existiert, sondern nur, weil es ein Sobornost (Собо́рность) gibt, also eine Gemeinschaft der Gläubigen, die explizit gegen den Pluralismus gerichtet ist.

„Diese Konstellation“, resümiert Traut, „legt keinen Wert auf die Freiheit des Individuums und begünstigt eine Neigung zum Typus des starken Herrschers in der Politik, dessen Interesse dem Gemeinwohl gilt.“ Mit dem Pseuomorphose-Begriff von Spengler lässt sich nun argumentieren, dass Forderungen nach einer Reform der Kirche oder einem Wandel Sobornost-Verständnisses dessen inneren Kern gar nicht berühren können, sondern immer nur auf eine äusserliche Veränderung hinauslaufen, die als solche weder legitim ist noch Bestand hat.

Im Gespräch mit der FAZ behauptet nun der frühere Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, dass Putin 2014 in einem Telefongespräch zu ihm gesagt habe, auf seinem Tisch liege Spenglers Buch „Der Untergang des Abendlands“. Angeblich habe Putin ihm geraten, es aufmerksam zu lesen. Wenn diese Information stimmt, dann ist Putin, was seine politischen Absichten betrifft, mindestens so ehrlich wie Katharina die Grosse, deren intellektuelle Pseudomorphose darin bestand, einerseits Voltaire und anderen Aufklärern gehuldigt und sie zum Austausch an den Zarenhof eingeladen zu haben, die aber nicht daran dachte, nach ihren Ideen zu handeln. Freiheit war ihr nur ein Luftgebilde.

Es war übrigens Katharina die Grosse, die im 18. Jahrhundert die Krim dem Russischen Reich einverleibte und zum Teil eines „Neurussland“ machte, das Teil der Ukraine umfassen sollte. Heute ist es der russische Präsident Putin, der ihren Spuren folgt und nach der Ukraine greift und vielleicht werden wir eher ein demokratisches China erleben als ein demokratisches Russland.


Nachtrag 24. Januar 2022

(Geringfügige Überarbeitung.)

Nachtrag 21. März 2022

Der ukrainische Philosoph Vakhtang Kebuladze glaubt, dass der russische Krieg gegen sein Land nicht allein Putin zuzuschreiben ist, sondern auf ein gesellschaftliches Problem verweist: „Alle Institutionen, alle Lebensweisen der europäischen Zivilisation werden in Russland als dunkler Schatten gespiegelt. “ Daher werde man schon in der Literatur: bei Puschkin, bei Dostojewski, bei Tolstoi und bei Bulgakow, fündig, wenn es um die russische Aggression gegen seine Nachbarn geht.

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