Wenn es um die Zuwanderer geht, die seit 2015 in grosser Zahl nach Deutschland gekommen sind und noch kommen, muss man zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die Wahrscheinlichkeit der Integration. Hier sieht die Prognose durchwachsen aus.
Schlepper haben ein kriminelles Geschäftsmodell etabliert, das darin besteht, jungen Menschen in Afrika und Asien gegen viel Geld mit dem Versprechen nach Deutschland zu bringen, dass sie langfristig hier bleiben könnten, sofern sie nur um Asyl nachsuchten und ihre Identität verschleierten. Wird ihrem Asylantrag nicht stattgegeben, kann der deutsche Staat sie nicht abschieben, weil er ihre Herkunftsländer nicht kennt.
Dieses Geschäftsmodell macht viele Afrikaner und Asiaten zu Opfern, denn das Schlaraffenland, das die Schlepper ihnen versprechen, werden sie in Deutschland nicht finden, wo man sie stattdessen in Sammellagern unterbringt und von ihnen verlangt, Deutsch zu lernen und sich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Es also nicht nur im Interesse der hiesigen Gesellschaft, Zuwanderer fernzuhalten, die von falschen Vorstellungen geleitet sind, sondern auch im Interesse der Zuwanderer selbst, die, sobald sie Gewissheit haben, was sie in Deutschland erwartet, nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können, weil sie ihr Hab und Gut zu Geld gemacht haben, um die Schlepper zu bezahlen. Dass sich unter den Zuwanderern auch Kriminelle und Dschihadisten befinden, macht die Angelegenheit nur noch heikler.
Auf einem anderen Blatt steht, inwieweit die Regierung für die Misere verantwortlich ist. Rechtskonservative Medien erzählen dann gerne folgendes Märchen: Da ist die böse Angela und die hat antideutsche Ambitionen. Weil sie Deutschland um jeden Preis zerstören will, bricht sie Recht und Gesetz und flutet das Land mit Mördern und Vergewaltigern. Zum Beweis für ihre antideutsche Einstellung präsentieren rechtskonservative/-populistische/-radikale Medien eine Szene, die auf einem CDU-Parteitag gefilmt wurde und Angela Merkel zeigt, wie man ihr in Form schwenkender Deutschland-Fähnchen huldigt, sich aber brüsk abwendet, als man ihr selbst ein Fähnchen in die Hand drückt.
Dieser angebliche Beweis ist natürlich eine Albernheit, weil die Person, der gehuldigt wird, niemals sich selbst huldigt, was die Bundeskanzlerin getan hätte, hätte sie ein solches Fähnchen entgegengenommen. Dennoch findet das Märchen vom mutwillig wie dauerhaft von der Regierung herbeigeführten Rechtsbruch an der deutschen Grenze bis weit ins bürgerliche Lager hinein Anhänger. Auch die sog. „Erklärung 2018“ geht ihm auf den Leim. Dabei ist das Gerede vom Rechtsbruch wahrscheinlich widerlegt oder unter Juristen zumindest umstritten.
Nun kommt ein ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, selbst studierter Jurist, daher und meldet sich, nachdem man ihn in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat, im ungarischen Fernsehen zur Politik der Regierung zu Wort. Dabei stellt er eine Forderung auf, die an seiner Expertise zweifeln lässt: Die Aussengrenzen Europa sollen auf eine Weise geschützt werden, dass „nur die Menschen nach Europa und Deutschland kommen können, die ein Recht haben auf Asyl (…).“
Maaßen sagt nicht, dass der Staat nicht wissen kann, wer von den Zuwanderern, die an der Grenze Asyl begehren, ein Anrecht darauf hat und wer nicht. Dies festzustellen ist Gegenstand eines Verfahrens, auf das jeder ein Anrecht hat, der um Asyl bittet. Wird das Verfahren abschlägig beschieden, kommt es zur Abschiebung, die allenfalls aus humanitären Gründen ausgesetzt werden kann – oder weil der Staat nicht weiss, wohin er die betreffende Person abschieben soll, weil diese, wie bereits erwähnt, ihre Herkunft verschleiert hat.
Der Jurist Maaßen nährt hier das rechtsradikale Märchen, wonach einfach nur der politische Wille vorhanden sein müsste, um die Flüchtlingskrise – und sie ist eine Krise, auch wenn das im linken Lager geleugnet wird – zu beenden und Recht und Ordnung wiederherzustellen. Die Wahrheit ist, dass es eine einfache und zugleich gesetzeskonforme Lösung nicht gibt, woran auch eine AfD nichts ändern könnte, wenn sie die nächste Bundestagswahl mit 51 Prozent gewönne.
Das einzige, was hilft, ist eine Politik der vielen kleinen Schritte und das ist genau das, was die Regierung derzeit macht, was auch immer man von ihr sonst halten mag. Zu dieser Politik gehört auch der sog. Migrationspakt, der, auch dies ein Mythos, keineswegs eine ungebremste Zuwanderung nach Europa ermöglicht, sondern rechtsstaatliche Strukturen in den Herkunfts- und Transitländern der Zuwanderer schaffen will – u.a. deshalb, um humanitäre Gründe, die vielen Abschiebungen bislang entgegenstanden, zu beseitigen.
Anstatt das alles einmal zu sortieren und gegen die Extreme in der gegenwärtigen Debatte um die Flüchtlingskrise, also gegen einen unbegrenzten Zuzug einerseits und gegen Abschottung andererseits, wie auch gegen die Vorstellung von links wie von rechts, es könne hierbei eine einfache Lösung geben, zu argumentieren, befördert Maaßen im Gegenteil eine rechte Mythenbildung. Gut, dass er weg ist.
Nachtrag 14.04.2019
Ich habe die Formulierung „Hier sieht die Prognose eher düster aus“ in „Hier sieht die Prognose durchwachsen aus“ geändert: Man soll die Dinge nicht pessimistischer sehen als nötig.
Nachtrag 17.04.2019
Wer Asyl begehrt und keine Ausweispapiere bei sich hat, meint Constanze von Bullion in der „Süddeutschen Zeitung“, sei zwar in der Pflicht, beim Beschaffen von Ersatzpapieren zu helfen, aber jedes Mittel könne dafür nicht recht sein. Innenminister Horst Seehofer solle lieber für funktionierende Rücknahmeabkommen sorgen: „Hier geht so gut wie nichts voran, auch weil Brüssel dem Minister bislang von Herzen wurscht zu sein schien.“
Nachtrag 27.04.2019
Mittlerweile gibt es sogar ein Buch, das sich dem Mythos vom permanenten Rechtsbruch an der deutschen Grenze widmet: Die Zauberlehrlinge heisst das Werk, das von zwei Juristen verfasst wurde. Demnach gehe es den Verfechtern des Rechtsbruchmythos darum, „die Ordnung des Rechts durch die Dynamik des Rechtsgefühls zu verdrängen“ (S. 208), wovon nicht zuletzt die unsägliche „Erklärung 2018“ zehrt.
Nachtrag 09.05.2019
Was die Rechtmässigkeit der Regierung Merkel in Bezug auf die Öffnung der Grenze für Flüchtlinge 2015 anbetrifft, argumentiert der deutsch-amerikanische Jurist Andrew Hammel, dass sie zwar ausser Frage stehe, die Grenzöffnung aber vor dem Hintergrund gesehen werden müsse, dass die südosteuropäischen EU-Länder zuvor schon das Recht gebrochen hätten, als sie Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, die auf türkischem Boden Zuflucht gefunden hatten, nach Deutschland durchwinkten: „The ‚illegality hypothesis‘, therefore, appears incorrect. But in terms of relative illegality, it’s like charging someone who committed millions in tax fraud with failing to use adequate postage on his fraudulent tax returns.“
Nachtrag 19. Mai 2019
Warum die Flüchtlinge, die auf auf dem Mittelmeer aufgelesen werden, nicht einfach dahin zurückbringen, wo sie sich aufs Meer gewagt haben, z.B. nach Libyen? Weil dort Flüchtlinge eine menschenunwürdige Unterbringung erwartet, wie die UNHCR deutlich gemacht hat. Mit den jüngsten Kampfhandlungen hat sich die Situation noch einmal verschärft. Viele fürchten um ihr Leben.
Nachtrag 4. Juli 2019
In der „Jungle World“ schreibt Thomas von der Osten-Sacken, der die Staaten der EU dafür kritisiert, die Genfer Flüchtlingskonvention zu missachten: „Es gibt kein Recht auf Asyl, es gibt aber das Recht, einen Asylantrag zu stellen.“ So ist es.
Nachtrag 20. Juli 2019
Dirk Kurbjuweit urteilt im „Spiegel“, Maaßen schaffe „einen elitären Populismus, der aber die üblichen Grundelemente zur Anwendung bringt: Politikerschelte, Medienschelte, Alarmismus, ein klares Feindbild, Verfallsmystik, das angebliche Gespür für die wahren Haltungen und Wünsche ‚der Menschen‘.“
Nachtrag 16. Mai 2021
Die „Welt“ berichtet, der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke bezeichne Hans-Georg Maaßens Weltbild als „unappetitliche Melange aus Verbitterung, Populismus, Aluhut und Selbstradikalisierung“. Auch andere CDU-Fumktionäre rückten von Maaßen ab.