China und die transatlantische Allianz

Kürzlich hat Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua eine neue Ausrichtung der Politik vorgestellt, die sie nach einem Schlag von Präsident Xi Jinping „Zweite Integration“ nennt. Gemeint ist ein Sozialismus chinesischer Prägung, der Chinas Rolle in der Welt stärken soll. Dabei steht dem Land ein enormes hausgemachtes Problem im Weg.

Chinas Wandel im Zeichen der „Zweiten Integration“

Das „Zweite Integration“ genannte Konzept propagiert Harmonie und Wohlstand in der Welt, betont zu recht die gewaltigen Fortschritte, die China im Kampf gegen die Massenarmut vorzuweisen hat – ohne darauf hinzuweisen, dass dieser Erfolg martwirtschaftlichen Reformen zu verdanken ist – und sieht für China so etwas wie eine Inspiration für die Welt. Gerade der Bezug auf die 5000-jährige Geschichte jedoch lässt aufhorchen.

Seit dem späten 16. Jahrhundert gibt es in China eine Debatte über die grundsätzliche Struktur des chinesischen Staates und damit über das Selbstverständnis des Landes. Zentral wurde dabei die Umdeutung des chinesischen Feudalismus. Wie der Sinologe Helwig Schmidt-Glinzer gezeigt hat, wurde dieser dahingehend aufgewertet, dass erst durch ihn die Expansion des chinesischen Einheitsstaates möglich werde.

Der Traum von einer weltumspannenden Menschheitsvereinigung

Im 19. Jahrhundert kulminierte die mittlerweile populär gewordene Vorstellung, wonach auch die Randzonen einTeil Chinas sein sollten, in einem China ohne wirkliche Aussengrenzen und im Rahmen einer weltumspannenden Menschheitsvereinigung, resümiert Helwig Schmidt-Glintzer. Es braucht nicht viel Phantasie, um darin eine Blaupause für das Projekt einer Neuen Seidenstrasse zu erkennen, wie auch für das rücksichtslose Vordringen Chinas im Indo-Pazifik.

Derweil versucht Deutschland sich gegenüber der asiatischen Grossmacht neu zu positionieren. Die aktuelle China-Strategie der Bundesregierung betiont ausdrücklich und zu recht die wachsende Bedeutung der transatlantichen Allianz. Völlig richtig hat die Dreier-Koalition („Ampel“) erkannt, dass es nicht um eine Entkopplung der deutschen Wirtschaft von China gehen kann, vielmehr um eine Reduzierung einseitiger Abhängigkeiten.

Im China-Strategie-Papier der Bundesregierung heisst es zutreffend, dass mehr als sechzig Prozent der Weltbevölkerung im Indo-Pazifik leben, sich dort zwanzig von 33 der globalen Megastädte befinden und mehr als die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen ausgestossen wird, wobei Europa nicht nur vielfach mit der Region verflochten ist, sondern auch ein Interesse an offenen Seewegen und einen freierZugang zum Indo-Pazifik hat. Vor allem den Asymmetrien im europäisch-chinesischen Handel gilt es entgegezutreten.

In der Tat ist zu fragen, ob kritische Infrastruktur in Deutschland, einmal in Händen chinesischer Staatsformen, nicht unter einem Vorwand zur Erpressung genutzt werden könnte. Russland, das immer wieder seine Ressourcen als aussenpolitischen Hebel zur Durchsetzung neoimperialistischer Interessen genutzt hat, bietet dafür ein abschreckendes Beispiel.

Wachsende Entfremdung von der Kommunistischen Partei

Unterdessen verkündet die chinesische Führung Ausfuhrbeschränkungen sogenannter Nebenmetalle, die vor allem für Halbleiter benötogt werden. Angeblich ist dies eine Reaktion auf niederländische Ausfuhrbeschränkungen, die jedoch nur ein bestimmtes Produkt betreffen, während China seine Regelung auf Rohstoffe und damit eine deutlich grössere Anzahl an potentiellen Produkten bezieht, was zeigt, dass China nicht bereit ist, eine Asymmetrie wirtschaftlicher Verflechtung zu seinen Gunsten aufzugeben. Mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun.

China freilich hat ein hausgemachtes Problem, das es so bald nicht los werden wird. Das Land hat mit einer fallenden Reproduktionsrate zu kämpfen, seine Bevölkerung wird unweigerlich stark schrumpfen. Für das chinesische Gesundheitssystem wird die Alterung der Gesellschaft, Nachwirkung auch der lange verfolgten Ein-Kind-Politik, zu einer enormen Herausforderung werden und den Arbeitsmarkt unter Druck setzen – mit Konsequenzen für die politische Stimmung im Land.

Zusätzlich zeichnet sich in China eine Wohlstandsmüdigkeit ab, die auch aus dem Westen bekannt ist. Immer weniger junge Chinesen wollen arbeiten, Wohnungseigentum erwerben und eine Familie gründen, während viele von ihnen am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbeistudieren. Es könnte zu einer wachsenden Entfremdung der jungen Generation von den Idealen der Kommunistischen Partei kommen, woran eine chinesische Prägung des Sozialismus kaum etwas ändern wird. Das grenzenlose China muss noch warten.


Literatur:

Schmidt-Glintzer, Helwig. 1997. China – Vielvölkerreich und Einheitsstaat: Von den Anfängen bis heute. München: C.H. Beck.


Nachtrag 9. August 2023

Eine Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) warnt, dass Europa von amerikanischer Seite immer stärker in die Rolle eines Juniorpartners („vassalisation“) gegen den ökonomischen Hauptrivalen China und im Ukrainekrieg gedrängt wird:

Conceptually, European allies have a role in this geo-economic struggle with China, but it is not, as during the cold war, to become rich and contribute to the military defence of the central front. To the contrary, their key role from a US perspective is to support US strategic industrial policy and to help ensure American technological dominance vis-à-vis China. They can do so by acquiescing to US industrial policy and by circumscribing their economic relations with China according to American concepts of strategic technologies.“

Der Tinktank weist darauf hin, dass die Rolle eines Juniorpartners nichtn einmal unbedingt im amerikanischen Interesse ist, ist doch aus den USA schon oft der Ruf nach mehr Eigenständigkeit und Initiative der Europäer laut geworden. Bislang ist es aber vor allem die europäische Trägheit, die dem entgegensteht. In der zweiten Reihe lebt es sich bequemer.

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