Was rechte und linke Populisten eint

Integriert ist man, wenn man in eine Gesellschaft hineingeboren wird — oder aber sich seinen Platz in der Gesellschaft erwirbt. Das geht, indem man die Landessprache erlernt, sich ein soziales Umfeld schafft und eine Existenz aufbaut. Der Einwanderer wird somit Teil der Gesellschaft, in der er seinen Lebensmittelpunkt findet und der seine Loyalität gilt. Im Idealfall wird dieser Prozess durch die Verleihung der Staatsangehörigkeit gekrönt. Mit dieser identifiziert er sich, weil sich der einst Zugewanderte sie sich selbst erarbeitet hat.

Rechts- und Linkspopulisten wollen davon nichts wissen.

Rechtspopulisten sagen: „Wir interessieren uns eigentlich gar nicht dafür, ob du integriert bist oder nicht — uns interessiert nur die Abstammung. Einwanderer wollen wir nach Möglichkeit keine, wir bleiben besser unter uns.“ Die AfD mag sich zu einer Einwanderungspolitik nach kanadischem Vorbild bekennen, doch die Verlautbarungen ihrer Vertreter klingen anders, völkischer. Die AfD hat schon lange ein Abgrenzungsproblem nach rechtsaussen, weswegen sie immer stärker ins Fahrwasser völkischer Ideologien und ihrer Stichwortgeber geraten, die Demokratie mit Pöbelherrschaft verwechseln.

Die Linkspopulisten sagen: „Wir interessieren uns ebensowenig dafür, ob du integriert bist oder nicht. Integration ist ohnehin eine Illusion. Die Abstammung zählt: Wenn du einen Migrationshintergrund hast, bis du ein ‚Plus-Deutscher‘ und unabhängig davon, was du tust, ein Gewinn für diese Gesellschaft. Damit diese Gesellschaft das auch verinnerlicht, muss der Staat pädagogisch durchgreifen, indem er den Nichtmigrationshintergründlern einbleut, dass nur eine von oben propagierte und gelenkte Diversität richtig und gut ist.“ Schliesslich ist die Zivilgesellschaft von sich aus nicht zu Diversität und Toleranz fähig.

Dagegen halten wir fest: Deutschland ist ein Einwanderungsland und das ist auch gut so. Die Integration aber ist Aufgabe des Einwanderers; dieser kann von der Gesellschaft allerdings erwarten, dass sie ihm eine faire Chance gibt. Eine solche Verfahrensweise, das Leistungsprinzip, ist Kennzeichen der liberalen Gesellschaft. Von ihr profitieren beide Seiten: Der Zuwanderer ebenso wie die Mehrheitsgesellschaft.

Doch bröckelt die liberale Gesellschaft an ihren Rändern. In Berlin hat die AfD massiv zugelegt und wird jetzt wohl einer rot-rot-grünen Regierungskoalition den Weg bereiten. Als Reaktion darauf dürfte die AfD bei den nächsten Regionalwahlen weiter zulegen — und dies wenigstens zum Teil auf Kosten der Mitte, also hauptsächlich der CDU. Ähnliches erleben wir derzeit nahezu überall in Europa. Gelingende Einwanderung braucht aber eine Gesellschaft, die jene weder dämonisiert noch romantisiert.

Die gegenwärtige Migrationskrise freilich ist ein Sonderfall. Einfache Lösungen sind hier nicht zu erwarten. Eine Rückführung von Wirtschaftsmigranten, wie rechte Populisten sie fordern, scheitert schon daran, dass viele jener keine Papiere vorweisen können, aber auch daran, dass Herkunftsländer nicht kooperieren wollen. Einer australischen Lösung, solche Migranten einfach in Rettungsboote zu setzen und diese in die Küstengewässer vermeintlicher Herkuntsländer zu ziehen, sind rechtliche Grenzen gesetzt, die nicht einfach umgangen werden können.

Der Vorschlag linker Populisten, alle Einwanderer ungeachtet ihrer Motivation pauschal als Flüchtlinge und „forced migrants“ zu bezeichnen, die die Mehrheitsgesellschaft nur als frohe Botschafter eines von Diversität geprägten Shangri-La anzuerkennen lernen muss, ist ebenso realitätsfern und eine Sackgasse. Die Wahrheit dürfte wohl eher in der Mitte liegen: Manche Einwanderer werden sich integrieren, andere nicht. Wohin das alles führt, kann noch niemand sagen. Pragmatismus und eine Politik der kleinen Schritte sind die Gebote der Stunde.


[Ãœberarbeitet, 30. Juli 2023]

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