Vor fĂŒnf Jahren schrieb der MilitĂ€rhistoriker Andrew J. Bacevich in seinem Buch Americaâs War for the Greater Middle East, dass Afghanistan wie ein Tumorpatient behandelt worden sei, den man aus der Chemotherapie entlĂ€sst, sobald der Tumor verschwindet, ohne einen Gedanken an ein Rezidiv zu verschwenden. Hintergrund war ein neues Verteidigungskonzept, das sich als fatal erweisen sollte.
Wie Bacevich ausfĂŒhrt, bahnte sich in den 1990ern die sogenannte “Revolution in Military Affairs” (RMA) an, seit der amerikanischer Informationsvorsprung als SchlĂŒssel zum Sieg galt. Die USA sollten in die Lage versetzt werden, aus sicherer Distanz Kriege zu fĂŒhren, Abschreckung (deterrence) wurde fortan durch Aktivismus ersetzt. In Afghanistan wurde dieser Ansatz, jetzt “Transformation” genannt, in der Operation Enduring Freedom erprobt und schien anfangs erfolgversprechend.
Als General Tommy Franks 2001 den Sieg ĂŒber eine Armee verkĂŒndete, an der die Sowjets gescheitert waren, wie auch die Befreiung von 25 Millionen Menschen, sollte Bacevich zufolge der Afghanistan-Krieg damit jedoch erst beginnen. Denn die USA hatten in Afghanistan keine strategischen Interessen, also wurde der Krieg gegen die Taliban zu einer Ăbung in strategischer Irrelevanz.
Gab es im letzten Jahr der PrĂ€sidentschaft George Bushs insgesamt 798 Todesopfer in Afghanistan, stiegen sie mit PrĂ€sident Obama, der zusĂ€tzliche Truppen geschickt hatte, auf fĂŒnftausend pro Jahr an. Die Taliban unterdessen produzierten Opium in grossem Massstab, der es ihnen erlaubte, Waffen und LoyalitĂ€ten zu kaufen.
Vor zwei Jahren haben zwei Autoren der konservativen Foundation for Defense of Democracies, Thomas Joscelyn and Bill Roggio, im “Politico” argumentiert, dass auch Trump in Afghanistan nichts besser gemacht hat (weswegen es heute zu einfach ist, Biden den Schwarzen Peter zuzuschieben): Damals schon haben die Taliban mehr als die HĂ€lfte des Landes kontrolliert, niemand konnte sie an den Verhandlungstisch zwingen. Sie haben sich um die ProvinzstĂ€dte geschart und nur darauf gewartet, dass die Amerikaner abziehen, um jene einnehmen zu können.
Die Taliban, so die beiden Autoren im “Politico”, haben damals aus einer Position der StĂ€rker heraus verhandelt, nicht aus einer der SchwĂ€che. So haben sie Trumps UnterhĂ€ndler Khalilzad glauben gemacht, sie seien ein verlĂ€sslicher BĂŒndnispartner gegen den Terrorismus. Afghanistan sollte mithilfe der Taliban nie wieder ein Drehkreuz des internationalen Terrorismus werden.
TatsĂ€chlich haben sie noch nicht einmal die Konkurrenz im Rennen um eine kĂŒnftige islamische Herrschaft ausgeschaltet, konnten “Islamischer Staat” und al-Qaida doch ungehindert im Land operieren, auch wenn es gelegentlich zu Zusammenstössen mit den Taliban gekommen sein mochte.
Hat Trumps Aussenminister Pompeo wirklich geglaubt, mit den Taliban lasse sich das Land stabilisieren? WĂ€re die NATO vor zehn oder fĂŒnfzehn Jahren abgezogen, wĂ€re das Ergebnis heute kein anderes, aber die Schmach geringer, weniger Soldaten ums Leben gekommen und weniger Geld verpulvert worden.
Jetzt sind die Amerikaner weg, ist die NATO verschwunden und die Taliban haben das ganze Land mĂŒhelos unter ihrer Kontrolle gebracht, einschliesslich der Hauptstadt. Viele Menschen versuchen zu fliehen. Grössere KĂ€mpfe mussten die neuen Herren des Landes gar nicht fĂŒhren, Afghanistans PrĂ€sident Ghani, dessen Name bald in Vergessenheit geraten wird, hat gleich schon den RĂŒckzug angetreten und das Land verlassen. KlĂ€glicher hĂ€tte es fĂŒr den Westen nicht kommen können â doch niemand sollte ĂŒberrascht sein, denn Analysten wie Bacevich, Jocelyn und Roggio haben all das, was jetzt passiert, vorhergesagt.
Afghanistan wird hĂ€ufig als “Friedhof der Imperien” bezeichnet, angefangen von der Antike bis zur Gegenwart. Man kann es natĂŒrlich auch andersherum sehen: Die Vorstellung von einem Kampf der Freiheit gegen ein böses Imperium, dem “GrĂŒndungsmythos der USA” (Niall Ferguson) scheitert in Afghanistan, weil “Freiheit” nicht ĂŒberall denselben Klang hat wie im Westen.
Nachtrag 21. April 2023
Der RĂŒckzug des Westens aus Afghanistan und die MachtĂŒbernahme durch die Taliban mögen Russland in die HĂ€nde spielen, doch gibt eine Analyse in “The Diplomat” zu bedenken: “[âŠ] the Taliban have proven to be unreliable partners and have been unable to manage internal conflicts on their own. [ âŠ] The fragmented and factitious nature of the Taliban has always been a major impediment to their rule. [âŠ] These problems will likely persist in Afghanistan and wonât be abating anytime soon.“