Trittbrettfahrer des Identitarismus

Der linke Aktivist Max Czollek hat einige Schlagzeilen in Nischenmedien produziert, weil ihm ein deutsch-jüdischer Schriftsteller das Judesein abgesprochen hat, woraufhin sich einige Publizisten mit Czollek solidarisch erklärten und sein Recht verteidigten, als Jude anerkannt zu werden.

Czollek hat sich offenbar immer als “Vaterjuden” gesehen, also als jemand, der väterlicher-, aber nicht mütterlicherseits jüdischer Herkunft ist. Nach der Halacha, dem jüdischen Gesetz, werden Menschen wir er nicht als Juden anerkannt, wird doch das Judentum matrilinear weitergegeben.

Gleichwohl kann man menschlich nachvollziehen, dass jemand, der einen jüdischen Vater hat, sich dem Judentum verbunden fühlt und in seinen Publikationen eine jüdische Binnensicht vertritt. Soweit, so unspektakulär. Wer Jude ist oder nicht, ist eine innerjüdische Debatte, in die ich mich nicht einmischen will.

Nun hat jedoch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, öffentlich festgestellt, dass schon Czolleks Vater kein Jude war. Damit nimmt der Fall eine unerwartete Wendung und ist kein Gegenstand einer innerjüdischen Debatte mehr. Die Frage ist nicht: Wer ist Jude? Diese Frage muss innerhalb der jüdischen Gemeinschaft beantwortet werden.

Die Frage lautet vielmehr: Sollte jemand sich einer Öffentlichkeit gegenüber als Jude präsentieren dürfen, wenn er von ebenjener jüdischen Gemeinschaft als solcher gar nicht anerkannt wird? Dass Czollek sich selber als Jude definiert, sei ihm unbenommen. Die Gedanken sind frei. Wenn er gleichwohl eine Binnenperspektive nicht für sich in Anspruch nehmen kann, wird die Öffentlichkeit getäuscht, die das Gegenteil glaubt und ihm deswegen Gehör schenkt.

Czollek ist freilich nur ein Symptom. Im Zeitalter eines Identitarismus, wie er von der politischen Linken vorangetrieben wird, wollen mehr und mehr Menschen einer Minderheit angehören. Denn Minderheiten gelten als cool, hip, unkonventionell, und bilden einen exklusiven Club. Wer dazugehört, darf sich als Opfer der Mehrheitsgesellschaft fühlen. Niemand sollte sich wundern, wenn dies auch in Zukunft Trittbrettfahrer auf den Plan ruft.


Nachtrag 8. September 2021

Im Interview mit der “Zeit” legt Josef Schuster noch einmal nach: “Die Debattenimpulse sind wichtig.  (…) Aber momentan sind die Regeln, wie sie sind. Und da geht es dann um das Segeln unter falscher Flagge.”

Nachtrag 12. September 2021

Der deutsch-jüdische Publizist Michael Wolfssohn argumentiert in der NZZ: “Czollek (…) mutet der Allgemeinheit eine falsche Selbstdarstellung zu (…). Er meint, sie poliere sein Image in der deutschen Öffentlichkeit und lasse es wegen seiner vermeintlich jüdischen Herkunft glänzen. (…) Nein, er ist ein falscher Jude, weil er seine Familiengeschichte fälscht. Er verbreitet, ganz einfach, die Unwahrheit.

Nachtrag 18. Juli 2023

Es geht weiter. Ein Redakteur der “Jüdischen Allgemeinen” twittert:

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