Iranische vs. russische vs. chinesische Propaganda

Im grossen und ganzen hat sich die deutsche Gesellschaft als immun gegen russische wieยด chinesische Propaganda erwiesen. Abgesehen von ein paar Radikalen Anti-Westlern, die jede Lรผge des Kreml zu schlucken bereit sind, stossen die Verzerrungen, Verdrehungen, Halbwahrheiten und Fabrikationen aus Moskau und Peking hierzulande auf starken Widerstand durch die ร–ffentlichkeit. Das ist erfreulich. Warum aber gilt fรผr iranische Propagandamรคrchen nicht dasselbe?

Die iranische Propagandakรผche will den westlichen Gesellschaften weismachen:

  • Dass westlicher Druck auf das Regime nur den Hardlinern nรผtze und es im westlichen Sinne sei, die Reformer zu unterstรผtzen;
  • dass die Iraner mehrheitlich hinter dem Regime stรผnden, weil sie nun einmal religiรถs seien;
  • dass die Iraner zwar eine Demokratie wollten, ihre Vorstellung von Demokratie aber nicht dem westlichen Modell entspreche;
  • dass die Forderung nach einem Regime-Wechsel (regime change) allein von den sog. Volksmojahedin (MEK) komme, einer unbedeutenden Politsekte;
  • dass Sanktionen nur dem Westen schadeten.

Tatsรคchlich ist die Unterscheidung in Hardliner und Reformer eine kรผnstliche, verfolgen beide doch dasselbe Ziel, nรคmlich den Fortbestand des Regimes. Eine Umfrage unter Auslandsiranern in den USA hat gezeigt, dass Hardliner und Reformer nur eine Minderheit hinter sich wissen. In Iran selbst dรผrfte der Anteil sogar noch geringer sind. Wer Iraner persรถnlich kennt, wird sich รผber das Ergebnis der Umfrage jedenfalls nicht wundern.

Auch, dass die Iraner religiรถs seien, haben Umfragen unter Auslandsiranern lรคngst widerlegt und dies wird ebenfalls niemanden wundern, der die iranische Community kennt. Iran gilt lรคngst als «Land der leeren Moscheen» und erlebt seit langem schon eine massenhafte Abkehr vom Islam, wie es in keinem zweiten muslimischen Land auf der Welt der Fall ist. Einer BAMF-Umfrage zufolge bekannte sich schon vor mehr als zehn Jahren nur eine Minderheit der hiesigen Iraner รผberhaupt zum Islam.

Zudem ist die Demokratievorstellung der Iraner ganz รผberwiegend eine sรคkulare, an die Schimรคre einer «islamischen Demokratie» glaubt kaum jemand. Da sich eine sรคkulare Demokratie aber niemals im Rahmen einer religiรถs legitimierten Diktatur verwirklichen lรคsst, ist der Wunsch nach einer grundsรคtzlichen Verรคnderung der politischen Verhรคltnisse im Land lรคngst Sache einer Mehrheit geworden, die deswegen noch lange nichts mit den Volksmojahedin zu tun hat.

The top issue for Iranian Americans with respect to U.S.-Iran relations continues to be โ€œpromotion of human rights and democracy in Iranโ€ (58%); this has been the top issue for the last five years.

PAAIA 2020 National Public Opinion Survey

Dass Sanktionen nur dem Westen schadeten, ist ein weiteres Propagandamรคrchen, denn wenn sich im Gegenteil auch Russland, Indien und China den Sanktionen angeschlossen hรคtten, wรคre das Mullahregime lรคngst Geschichte. Selbst Europa hat sich eher zรถgerlich den amerikanischen Kurs des maximalen Drucks auf Teheran angeschlossen. Hier glaubt man noch immer an den breiten Rรผckhalt irgendwelcher Reformkrรคfte, die man nur ermutigen mรผsse, das Land behutsam zu liberalisieren.

Dieser Glaube ist das Werk sehr erfolgreicher Influencer, die nicht nur in Deutschland in den Medien, Denkfabriken und geisteswissenschaftlichen Fakultรคten vielfach Schlรผsselpositionen einnehmen, mit denen sie erheblichen Einfluss auf das Iranbild der ร–ffentlichkeit haben. Ob diese Leute Anhรคnger des Regimes sind oder ihm nur auf den Leim gegangen sind, ist ebenso einerlei wie die Frage, ob sie auf dessen Gehaltsliste stehen oder nicht.

Die Influencer hat das iranische Regime dem russischen wie dem chinesischen voraus. Geht es in deutschen Medien um Russland oder China, dominiert eine kritische Berichterstattung, die zudem von Faktencheckern begleitet wird, die russische und chinesische Propaganda regelmรคssig zerpflรผcken. Deutschlands wichtigste Denkfabrik, die sich schwerpunktmรคssig mit der Politik Chinas befasst, das Mercator Institute for China Studies (MERICS), ist durchweg regimekritisch eingestellt.

Trump war sicherlich einer der schlechtesten US-Prรคsidenten der letzten Jahrzehnte, aber zu den wenigen positiven Leistungen gehรถrt die Tatsache, dass er mit den iranischen Regimelobbyisten, die noch unter seinem Vorgรคnger Obama im Weissen Haus ein- und ausgingen, vollstรคndig gebrochen und stattdessen ganz normale Iraner eingeladen hat, die sich fรผr eine sรคkulare iranische Demokratie einsetzen. Biden scheint diesen Kurs mehr oder weniger beibehalten zu haben., obgleich er den Atomdeal (JCPOA) wiederzubeleben versprochen hat.

In den USA jedenfalls hat die Iranlobby unter Trump ihre hรคrteste Niederlage seit ihrem Bestehen erlitten und Biden begriffen, dass es keine Rรผckkehr mehr zur Politik Obamas geben kann. In Europa โ€“ und hier nicht zuletzt in Deutschland โ€“ glaubt man jedoch immer noch an iranische Reformen durch moderate Prรคsidenten, die es zu unterstรผtzen gelte, sodass es Zeit wird, dass dieselbe kritische Haltung, die die hiesigen Medien gegenรผber Russland und China einnehmen, auch gegenรผber den iranischen Lรผgen und Verzerrungen Mainstream wird.


Nachtrag 13. August 2022

Einen Tiefpunkt des deutschen Journalismus in Bezug auf Iran bildet ein Kommentar in der taz, der die iranischen Verhรคltnisse mit den deutschen gleichsetzt und den zivilen Widerstand gegen den staatlichen Zwang, sich als Frau in der ร–ffentlichkeit verschleiern zu mรผssen, durch einen absurden Vergleich mit christlichen Nonnen verhรถhnt โ€“ als ob der deutsche Staat Frauen zwingen wรผrde, Nonne zu werden! Wer den Unterschied zwischen Zwang und Freiwilligkeit, erlaubt und verboten nicht kennt, hat seinen ethischen Kompass verloren. Hier wird das Fehlen einer journalistischen Grundimmunitรคt gegenรผber Versatzstรผcken iranischer Propaganda besonders augenfรคllig.

Translate