“Niemand im Iran mag dieses Mullah-Regime”

Der Luxemburger Romancier Guy Helminger hat den Iran besucht und schildert in der “Welt” seine Eindrücke aus Teheran: “(…) viel lässt einen (…) nicht an eine islamische Republik denken. Weder gibt es hier unzählige Moscheen, die ins Auge stechen würden, noch ist der Ruf der Muezzine zu hören. Bis ich meinen ersten Mullah sah, verging immerhin eine ganze Woche.”

Man wünscht sich, dass dies auch von Leuten zur Kenntnis genommen wird, die in deutschen Medien als politische Iran-Kommentatoren zu Wort kommen. Anders als Helminger jedoch glaubt, sind Schilderungen, wie er sie liefert, keinesfalls eine Seltenheit. Ob GEO, ZDF oder FAZ: Reportagen, die vom Alltag im Iran handeln, zeichnen korrekterweise stets das Bild von einer Gesellschaft, die alles andere als fromm und antiwestlich ist.

Dennoch ist man natürlich für jede weitere Facette dankbar. Über die Jugendlichen berichten Iran-Reisende besonders gerne, und auch Helminger hat wie so viele vor ihm die Erfahrung gemacht, dass den Mullahs die Felle davonschwimmen:

(…) die meisten von ihnen haben mit Religion sowieso nichts mehr am Hut. Aufgewachsen unter der islamischen Staatsdoktrin, fühlen sie mehr die Restriktionen und Verbote als die Güte Allahs. Im Iran sprechen die Intellektuellen bereits von der Religionsflucht einer ganzen Generation.

Aus eigenen Quellen weiss ich, dass die Menschen im Iran sich schon längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand gegen die Diktatur äussern. Beispielhaft dafür ist folgende Episode, die Helminger widerfahren ist:

In Isfahan legte mir ein etwa fünfzigjähriger Mann die Hand von hinten auf die Schulter und erklärte mir aufgeregt und in gebrochenem Englisch, dass ich seinem Volk helfen müsse. Er wisse nicht, ob ich Journalist sei, aber ich solle in den Zeitungen meines Landes schreiben, dass niemand im Iran dieses Mullah-Regime möge, das müsse ich ihm versprechen.

Soweit – so wenig überraschend. Wie gesagt, Stimmungsreportagen dieser Art gibt es viele. Wofür man Helminger aber wirklich dankbar sein muss, ist die Tatsache, dass er das Verhalten der Bevölkerung nicht als Argument FÜR das Regime missbraucht.

Für Irankommentatoren ist es DER Kardinalfehler: Sie kommen in den Iran, bemerken dort, wie weltlich-konsumfreudig das Leben zugeht und gelangen zu dem Fehlschluss, dass das Land zwar einerseits eine Theokratie ist, andererseits aber wohl zu den liberalsten Staaten im Nahen Osten zählen müsse. Und das ist falsch!

Was viele nicht begreifen (oder vielleicht auch nicht begreifen wollen), ist, dass der Lebensstil der Bevölkerung in vielen Dingen einen zivilen Widerstand gegen den Kurs des Staatsapparates darstellt. So sind Satellitenschüsseln zum Empfang ausländischer Sender verboten – aber das Land ist übersät mit Schüsseln. Vorislamische Traditionen wie das Nouruz-Fest sind zum Teil untersagt – aber die Bevölkerung hält sich nicht daran. Darum noch einmal: Das Verhalten der Bevölkerung ist kein Ausweis für eine vermeintliche Liberalität des Regimes!

Helminger begeht diesen Fehler glücklicherweise nicht. Völlig richtig analysiert er die Situation (Hervorhebungen von mir, MK):

Wie lange das so gehen wird, bevor das Regime wieder reagieren wird, kann niemand voraussagen. Willkür ist eine Strategie der Ordnungsmiliz, und die Jugendlichen wissen, dass selbst das Tragen einer Baseballkappe sie in Schwierigkeiten bringen kann.

(…) Das Resultat dieses Versuches einer streng geschlossenen Gesellschaft ist, dass zumindest in den Städten die Menschen immer offener und klarer ihren Unmut formulieren.

Soviel Einsicht wünscht man auch der Akademikerkaste unter den Iranexperten.

[Aus dem Archiv, leicht gekürzt.]

Autor: Michael Kreutz

Orientalist und Politologe.

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