Der letzte Christentumskritiker

Quod non est excellentior status, quam vacare philosophiae – “Es gibt keine ausgezeichnetere Lebensform, als sich frei der Philosophie zu widmen”, lautet die vierzigste These, die der Bischof von Paris 1277 als ketzerisch verurteilte und obgleich man heutzutage ungestraft die Religion hinauf- und wieder herunterkritisieren kann, stehen doch gerade an den Universitäten die Zeichen auf Dialog und Anschmiegung, will man doch die Religionsgemeinschaften als Akteure für den Zusammenhalt der Gesellschaft gewinnen.

Man muss aber keineswegs a-religiös oder antichristlich sein, um sich an der Kritik des Philosophen Kurt Flasch am Christentum zu delektieren (ich bin anders als jener nie aus der katholischen Kirche ausgetreten). Der hochbetagte Philosoph ist vielleicht der letzte Christentumskritiker, der so etwas wie Salz in die fade Suppe des Kulturrelativismus und interreligiösen Dialogs streut. Das Interview, das der “Deutschlandfunk” mit ihm geführt hat, ist ein intellektueller Genuss. Denn Flaschs Ãœberzeugung speist sich aus einem intensiven und langjährigen Studium der Quellen. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

Halt, halt! Was will der Kritiker nur?

Die modischen “postcolonial theories”, die ihren Siegeszug quer durch die Geisteswissenschaften errungen haben und deren Vertreter historische Fakten nur noch selektiv zur Kenntnis nehmen, weil es ihnen mehr um Gerechtigkeit und Anerkennung für die Narrativen einstmals kolonisierter Völker geht als um die Erforschung historischer Zusammenhänge, sind Flaschs Sache nicht. Seine Kritik am Christentum hat denn auch weniger mit den Schandtaten zu tun, die Kirche im Laufe der Jahrhunderte auf sich geladen hat, als mit dem christlichen Glauben als solchem, wie er sich historisch entwickelt hat.

Auch an Deutschland und der deutschen Mentalität übt er scharfe Kritik, aber nicht etwa aus einer linksradikalen Ideologie heraus, sondern aus seiner persönlichen Erfahrung des Bombenkriegs, als die Menschen, wie er berichtet, noch bis kurz vor der völligen Niederlage dem Wahn verfallen waren, an einen Endsieg zu glauben. Flasch wirbt daher nicht um Verständnis, weder für die Religion noch für Deutschland. Er analysiert die Dinge und tut dies schonungslos. Damit repräsentiert er die besten Aspekte der Aufklärung.

Deren Merkmale, wie Flasch sie einmal aufgeführt hat, sind: Die Toleranzidee; ein politischer Freiheitsbegriff und ein pädagogisches Interesse. Er selbst wies darauf hin, dass schon im Mittelalter Kritik an der Jenseitsorientierung wie auch an der repressiven Sexualmoral von Kirche und Obrigkeit laut geworden war und in eine Religionskritik mündete, die vor dem Glauben selbst nicht haltmachte – daher die Verurteilung von 1277.

Einen Gelehrten wie ihn findet man selten. Man lese und geniesse das Interview!

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