Marxismus, alter und neuer

Früher war auch nicht alles besser. Der Kommunismus jedenfalls mit Millionen von Toten war nicht gerade ein Erfolgsmodell. Selbst ein Kapitalismusverächter wie Bestsellerautor Yuval Noah Harari muss einräumen, dass der Kommunismus in fast jeder Hinsicht so viel schlechter als der Kapitalismus war, “dass kaum jemand ein Interesse daran hat, ihm eine zweite Chance zu geben.”

„Karl Marx“ von John Collier, 1850 – 1934/ CC0 1.0

Kaum jemand? Jetzt konmt die gute Nachricht aus Japan: Der alte Sowjetkommunismus war gar nicht das, was Karl Marx gewollt hat, weiss Kohai Saito, ein junger Philosph, der in Japan mit seinem Buch “Systemsturz”, so dessen deutscher Titel, einen Verkaufserfolg landete. Das deutsche Feuilleton ist schon ganz aus dem Häuschen und attestiert dem Autor “Mut”, die Prämissen der kapitalistischen Wirtschaft infrage zustellen.

Man muss also “Mut” haben, das tausendste Buch gegen den Kapitalismus auf den Markt zu bringen und sich von Journalisten und Kulturschaffenden feiern zu lassen. Karl Marx für den Umweltschutz in Beschlag zu nehmen und den Kapitalismus mit Umweltzerstörung gleichzusetzen, das traut sich eben nicht jeder, sieht man von den zahlreichen Bestsellerautorinnen und -autoren ab, die schon vor Saito in dieselbe Kerbe schlugen.

Ob sie nun Harald Welzer, Maja Göpel, Naomi Klein, Ulrike Herrmann oder wie auch immer heissen, mit ihnen gemein hat Saito noch etwas anderes, die Tatsäche nämlich, dass er mit der entscheidenden Information hinter dem Berg hält: Wie soll seine Vision eines auf Degrowth, also wirtschaftliches Schrumpfen, setzenden Ökosozialismus in die Tat umgesetzt werden? Möglichkeiten gibt es nur zwei: Man überzeugt die Menschen, freiwillig auf Wohlstand zu verzichten. Oder man zwingt sie dazu.

Verzichten die Menschen freiwillig auf Wohlstand, erwächst darau sjedoch kein Sozialismus. Schliesslich wird im Kapitalismus niemand gezwungen, Dinge zu konsumieren, die er nicht konsumieren möchte. Der Verzicht begründet keinen Systemsturz und keine Systemalternative. Um eine echte Alternative zum vorherrschenden Wirtschaftsmodell zu sein, wie wir es in Japan oder Europa finden, bleibt also nur der Zwang, den Saito zu verschleiern sucht, der aber doch aus allen Ritzen seiner Ideologie hervorquillt.

Autoritarismus, der sich als Mitmachbewegung verkleidet

“Jede Abweichung ist Spucke ins Gesicht der Brüderlichkeit” heisst es in Milan Kunderas Roman “Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” über den kommunistischen Staat in der Tschechoslowakei, der sich u.a. auf Karl Marx berief. Wie sieht nun Saitos Ökosozialismus aus, steht er Marx wirklich soviel näher als der alte Sowjetkommunismus? Wieviel Abweichung in der individuellen Lebensgestaltung bleibt erlaubt?

Wir können Privatjets verbieten, die kurzen Inlandsflüge, und die luxuriösen Kreuzfahrtschiffe einschränken, die SUVs, den Fleischkonsum reduzieren und so weiter“, schreibt Saito in seinem Buch “Systemsturz”, wobei mit “wir” nur der Staat gemeint sein kann. Es ist der Staat, der alle diese Dinge verbieten soll. Wenn Saito für ein Maximaleinkommen eintritt, dann weist er einmal mehr dem Staat die Rolle zu, das Einkommen der einzelnen Bürger oberhalb einer festgelegten Grenze zu beschneiden.

Damit die Menschen sich jedoch nicht ärmer fühlen, soll Wohlstand neu definiert werden, fordert Saito. Doch wer soll die Definitionshoheit besitzen? Das kann nur wieder der Staat sein, der zu diesem Zweck auf Experten zurückgreifen mag, die in seinem Sinne Konzepte ausarbeiten, mit denen ein Wohlstandsverlust als Gewinn an Lebensqualität ausgewiesen werden kann. Wohlgemerkt: Hier ist nicht von individuellen Entscheidungen die Rede, die jeder für sich treffen kann, sondern von einer neuen, restriktiv durchgeplanten Gesellschaftsordnung.

Das ist die Welt, in der Saito leben möchte, aber diese Welt ist weder liberal, noch demokratisch und vielleicht noch nicht einmal gut für die Umwelt. In dieser Welt ist der Zwang allgegenwärtig, wird aber immer nur mitgedacht, nie als solcher benannt. Auch wenn er nicht im Gewand der Gerechtigkeit daherkommt, sondern in dem des Umweltschutzes: Saitos neue Mitmachbewegung ist viel näher am alten Sowjetkommunismus, als er selbst glauben möchte.

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