Warum hält sich das Teheraner Mullah-Regime noch immer an der Macht?

Weniger als zehn Prozent soll die Beteiligung an den letzten Wahlen betragen haben, so berichten inoffizielle Quellen aus Iran. Das Teheraner Mullah-Regime ist und bleibt in der iranischen Bevölkerung verhasst und hat alle paar Jahre mit einer Protestwelle zu kämpfen, die das ganze Land erfasst und die es jedesmal nur mit grösster Mühe niederzuschlagen imstande ist. Doch es hält sich hartnäckig an der Macht – und das hat gleich mehrere Gründe.

Vintage whip drawing, vintage punishment“/ CC0 1.0

Grund 1: Die Brutalität des Regimes

Da ist zum einen die ungeheure Brutalität mit der Regime seine Stellung verteidigt, allein im vergangenen Jahr soll es mehr als sechshundert Menschen hingerichtet haben. Zwar hält das die Menschen, die ausser ihrem Leben kaum noch etwas zu verlieren haben, nicht davon ab, Widerstand gegen das Regime zu leisten, aber dieses zeigt sich aufs Äusserste entschlossen, den eisernen Griff auf das Land beizubehalten.

Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, der die Macht attackiert hat, ohne sie für sich zu wollen, und die religiösen Moralisten sind darin die ärgsten“ schrieb Elias Canetti vor mehr als achtzig Jahren. Er konnte nicht ahnen, dass die Clique um Khomeini das perfekte Beispiel für seine Beobachtung abgeben würde. Seitdem hatten die religiösen Moralisten mehr als vierzig Jahre Zeit, in Iran einen allmächtigen Unterdrückungsapparat aufzubauen.

    In den Neunzigern gab es eine Mordserie unter Dissidenten im In- und Ausland, der an die 180 Menschen zum Opfer fielen. Zwar hatte der reformorientierte Präsident Khatami – der sich bei den jüngsten Parlamentswahlen demonstrativ der Stimme enthielt – diese sog. Kettenmorde zu stoppen versucht und ihre Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, doch erwies er sich als ohnmächtig gegenüber dem tiefen Staat, der allein Khamenei gehorcht.

    Die widerständigen Iraner, die es wagen, ihren Unmut auf die Strasse zu tragen, suchen nach Festnahme und Folter, sofern sie diese überleben und nicht hingerichtet werden, häufig nach Wegen, das Land zu verlassen. Da keine Freizügigkeit zwischen Iran und westlichen Ländern besteht, verlangen zumindest in der EU die meisten Länder vor der Visavergabe eine Einladung samt Bürgschaft durch einen EU-Bürger. Angesichts einer stetig wachsenden iranischen Diaspora ist beides immer leichter zu bekommen.

    Grund 2: Die iranische Diaspora wächst

    So wird pemanent Druck aus dem iranischen Kessel gelassen und das Regime immer wieder aufs Neue stabilisiert. Ahmad Batebi, dessen Bild bei den Protesten 1999 zur Ikone des Widerstandes wurde, lebt schon lange in den USA. Ihm sind viele, sehr viele in den Westen gefolgt, wodurch das Land intellektuell ausblutet, aber das stört die Machthaber um Ali Khamenei nicht im geringsten, für die Kunst, Kultur und Wissenschaft ohnehin nur störende Elemente im repressiven Betriebsablauf sind.

    Danals, Ende der Neunziger, war den meisten Iranern klargeworden, dass eine Reform innerhalb des herrschenden Systems ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die Besonderheit der Islamischen Republik besteht darin, dass all die Institutionen des Staates nur Kulisse einer Theaterbühne sind, auf der ein Stück aufgeführt wird, das in Drehbuch und Regie von Khamenei bestimmt wird. Gleichwohl versucht eine Regime-Lobby der westlichen Öffentlichkeit weiszumachen, sie müsse die sog. Reformisten unterstützen.

    Die Regimelobby im Westen hat über die vergangenen Jahrzehnte erfolgreich das Image des Regimes geprägt und damit die westliche Politik beeinflusst. Leider ist dieser Umstand auch einer Trägheit der iranischen Diaspora geschuldet. Ich selbst habe immer wieder im iranischen Bekanntenkreis darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die deutsche Gesellschaft in deutscher Sprache aufzuklären und der Lobby das Wasser abzugraben.

    Grund 3: Eine erfolgreiche Regime-Lobby

    Fast alle Iraner, die ich kenne oder denen ich begegnet bin, hängen dem Irrglauben an, dass die westlichen Medien und ihre Schein-Experten wie Michael Lüders, Ali Fathollah-Nejad, Katajun Amirpur, Adnan Tabatabai, Bahman Nirumand und wie sie alle heissen mögen, irrelevant seien. Sollen doch die Deutschen über den Iran denken, was sie wollen! Wenn wir das Regime erst hinweggefegt haben, werden die Tage der Regime-Lobby gezählt sein! So oder ähnlich lautet der Tenor.

    Lieber informiert man sich über den persischsprachigen Auslandsssender Manoto (aktuell ist der Sendebetrieb seit Februar eingestellt) oder liest die Londoner Kayhan, ebenfalls auf Persisch und damit für die meisten Deutschen unzugänglich. Damit unterschätzt die iranische Diaspora, wie unheilvoll das Wirken der Regime-Lobby ist. Weit davon entfernt, irrelevant zu sein, hat die Regime-Lobby verstanden, dass man nicht die Iraner, wohl aber eine westliche Öffentlichkeit und damit auch westliche Politiker davon überzeugen kann, es sei gut und nützlich für sie, das Regime bei Laune zu halten.

    Dies ist der dritte Grund, warum das Regime nicht stürzt: Die Regime-Lobby. Sie hat enorme Erfolge feiern können, indem sie ihren Teil dazu beitrug, dass der Westen viel zu lange und zum Teil noch heute glaubt, sog. Reformisten unterstützen zu müssen (sodass z.B. US-Präsident Obama, der ein offenes Ohr für die Lobby hatte, einmal erlassene Sanktionen wieder aufhob). Teil des Lobby-Sprechs ist auch das Schlagwort von einer ursprünglich linken “Iranischen Revolution”, die Khomeini lediglich gestohlen habe.

    Die Chefredakteurin der Londoner Kayhan, obgleich des Englischen und des Deutschen mächtig, publiziert praktisch nur auf Persisch und beraubt sich damit jeder Chance, ausserhalb der iranischen Diaspora wahrgenommen zu werden. Als Faustregel lässt sich formulieren: Ist eine iranbezogene Webseite auf Persisch, dann stammt sie wahrscheinlich von Gegnern des Regimes, ist sie auf Deutsch oder einer anderen westlichen Sprache, dann wird sie meist von Regime-Lobbyisten verantwortet. Verkehrte Welt!

    Noch immer kommen aus der Diaspora zu wenige Anstengungen (hier eine positive Ausnahme), in westlichen Sprachen zu einer westlichen Öffentlichkeit zu sprechen und sie über ihr Land aufzuklären. Zwar haben die Unruhen seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini auch hierzulande etwas bewegt und dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Sanktionen gegen das Regime erlassen wurde.

    Zugleich aber ist die Regime-Lobby noch stärker geworden und versucht zunehmend, unter dem Deckmantel der Wissenschaft und des Expertentums, Einfluss auf künftige Regierungen zu nehmen, die diese Sanktionen wieder abschwächen oder gar aufheben könnten.

    Grund 4: Teheran hat mächtige Freunde

    Überhaupt kommen die Sanktionspakete der EU zu spät, das Teheraner Regime kann ihre Auswirkungen heute leichter kompensieren. Der vierte Grund, warum das Regime sich so hartnäckig am Leben hält, sind seine mächtigen Freunde. Man bedenke, dass Länder wie Russland, China oder Indien noch vor dreissig Jahren nicht den Einfluss und die wirtschaftliche Potenz hatten wie das heute der Fall ist.

    So hält sich China zwar zurück, was Investitionen in Iran anbetrifft. Das hat mit den US-Sanktionen zu tun, aber auch mit der rückständigen Infrastruktur des Teheraner Regimes. Allerdings kauft China dessen Öl zu verbilligtem Preis und stabilisiert es dadurch. Da es sich bei den Käufern um kleinere chinesische Raffinerien handelt, die über dunkle Kanäle beliefert werden, entgehen sie dem Netz der US-Sanktionen. Unnötig zu erwähnen, dass China keine lästigen Fragen in Bezug auf Menschenrechte stellt.

    Nicht verwunderlich ist auch eine Annäherung von Teheran und Moskau – nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern ebenso auf militärischem Gebiet, wobei beides nicht strikt zu trennen ist. Für Russland ist Iran ein wichtiger Baustein seiner verstärkt nach Asien ausgerichteten Wirtschaft, wovon beide Länder, die gleichermassen von westlichen Sanktionen betroffen sind, profitieren. Auch Indien, das als Demokratie eigentlich dem Westen näher steht, stabilisiert das Teheraner Regime durch Ankauf von Öl.

    Selbst wenn westliche Sanktionen sehr viel schärfer ausfielen, als sie es heute tun, hat das Regime immer noch Möglichkeiten, auf anderen Märkten Zutritt zu erhalten. Es ist gerade dem Aufstieg asiatischer und eurasischer Ökonomien zu verdanken, in ihrer Region die entsprechende Nachfrage zu schaffen, für die der rohstoffreiche Iran das Angebot hat. Das wäre vor dreissig Jahren sicherlich undenkbar gewesen.

    Keine Hoffnung mehr für Iran?

    Dass die Masse der Iraner von den Einnahmen aus dem Ölgeschäft nichts zu sehen bekommt, ficht die Machthaber ohnehin nicht an. Staatsgründer Khomeini hatte zur Wirtschaft nie viel zu sagen, sondern gab nur Platitüden von sich, etwa: “Wer die Wirtschaft als Grundlage von allem betrachtet, betrachtet den Menschen als Tier.1 Die Machthaber hat das freilich nie davon abgehalten, sagenhafte Reichtümer für sich und ihre Familien zu anzuhäufen.

    Das Wunschdenken, wonach das Teheraner Regime bald, sehr bald stürzen werde, weil es doch kaum Rückhalt in der Bevölkerung habe, muss der Vergangenheit angehören. Proteste allein werden das Regime nicht ins Wanken bringen. „Das Schicksal aller Revolutionen entscheidet sich in letzter Instanz durch den Besitz der bewaffneten Macht‟ hat der Historiker Sebastian Haffner einmal geschrieben, und die bewaffnete Macht liegt nun einmal nicht in den Händen der iranischen Bevölkerung.

    Freilich lässt sich auch nicht ausschliessen, dass die Dinge sich plötzlich ändern. Sollte Khamenei sterben, könnte das der Fall sein. Auch ein Riss im Machtapparat des Regimes könnte zu einer Umwälzung der Verhältnisse führen, aber wann es soweit sein wird, lässt sich nicht im voraus bestimmen. “Nur noch zwei, höchstens drei Jahre wird sich das Regime an der Macht halten” sagte mir ein iranischer Bekannter erstmals vor bald dreissig Jahren und seitdem mit jeder neuer Protestwelle.

    Auch jetzt, zum Fest von Chaharshambe-Suri und demnächst zu Nowruz, protestieren die Iraner wieder gegen das Regime. “Sal-e sar-neguni-ye jomhuriye eslami – Das Jahr des Sturzes der Islamischen Republik” sagt die Stimme im Hintergrund eines Videos aus Karaj. Sie hören nicht auf, gegen das Regime, gegen die Islamische Republik, zu protestieren. Was sollen sie sonst tun? Sie wollen leben, lieben, frei sein.


    1. اینهایی که زیربنای همه چیز را اقتصاد می‌دانند اینها انسان را حیوان می‌دانند. حیوان هم همه چیزش فدای اقتصادش است ↩︎

    Autor: Michael Kreutz

    Orientalist und Politologe.

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