Die Menschen vs. das Regime

Man muss sich schämen. Schämen über die schlappe Reaktion des Auswärtigen Amtes auf die Proteste, die schon seit Tagen den ganzen Iran im Griff haben. Was also sagt Aussenminister Gabriel? Man möge doch bitte „allseits von gewaltsamen Handlungen Abstand‟ nehmen, als ob die Demonstranten gleichermassen Gewalt anwenden würden wie es seit Jahrzehnten die Staatsmacht eines der repressivsten Länder auf diesem Planeten tut, die ihnen gegenübersteht.

Natürlich will sich die deutsche Regierung nicht den Atom-Deal (JCPOA) zunichte machen lassen, weswegen man sich bestenfalls halbherzig hinter die Demonstranten stellen mag. Nun hat es durchaus Gründe gegeben, dem Atom-Deal eine Chance zu geben. Doch nicht erst seitdem man weiss, wie sehr die Regierung Obama seinetwegen bereit war, die terroristischen Aktivitäten des Iran zu ignorieren, hat das ganze einen üblen Beigeschmack, sondern schon, seitdem bekannt wurde, dass ein berüchtigter Iran-Lobbyist wie Trita Parsi seine Hände im Spiel hatte, als es darum ging, den Atom-Deal der amerikanischen Öffentlichkeit zu verkaufen.

Die Iran-Lobby ist auch in Deutschland unglaublich aktiv und sehr erfolgreich. Die Öffentlichkeit mag wenig davon mitbekommen, aber mittlerweile ist es so, dass sie viele Schlüsselpositionen in ihrer Hand hat, wenn es um wissenschaftliche oder journalistische Expertise geht. Das geht weit über die Universitäten hinaus und längst in die Politikberatung hinein. Dabei treten die Iran-Lobbyisten meist so nicht auf, wie der gutgläubige Michel sich einen Islamisten vorstellt, vielmehr hat man sich im Aussehen und Habitus dem Westen angepasst. Daher bedient man sich einer progressiven Sprache, die Bezüge auf den Islam oder die herrschende Staatsideologie des Iran vermeidet.

Infolgedessen hat sich über die Jahre das Bild in der deutschen Öffentlichkeit festgesetzt, es gebe in der iranischen Bevölkerung nur zwei Strömungen: die Hardliner und die Reformer. Tatsächlich sind Reformer aber genauso Anhänger des Regimes wie die Hardliner, sie stellen die religiöse Legitimation des Unterdrückungsregimes keineswegs infrage.

Demgegenüber steht die grosse Mehrheit der Bevölkerung, indem sie weder das eine noch das andere ist, sondern aus Dissidenten besteht, die überhaupt kein religiöses System haben wollen, das ihnen vorschreibt, wie sie zu kleiden, zu essen, zu lieben und zu denken haben. Kurzum: Das System ist unter der iranischen Bevölkerung weitgehend verhasst, aber diese Einsicht (die wir seit Jahr und Tag auf diesem Blog verkünden) will sich im Westen nur zögerlich verbreiten.

Was Deutschland allerdings von anderen westlichen Ländern unterscheidet, ist der Umstand, dass es hier kaum Iran-Experten gibt, die Zugang zu den Medien haben. Wer sich hingegen auf dem Büchermarkt zum Thema Iran umschaut, wird auf Autoren wie Michael Lüders, Christopher de Bellaigue oder Peyman Jafari stossen, die alle völlig unkritisch über das Regime schreiben. Wer heute morgen zufällig WDR 5 gehört hat, der bekam eine Darstellung der Demonstrationen zu hören, die nur auf Regime-Quellen beruhte (für so etwas bezahlen wir auch noch GEZ-Gebühren).

Publizisten, denen wir die Hardliner-vs.-Reformer-Binarität zu verdanken haben, drehen nun am Rad, nicht nur in Deutschland. Bemerkenswert ist, wie willkürlich die Argumentation ist, der man sich bedient. Das sei nur die Unterschicht, die da auf die Strassen gehe, zitiert eine Reporterin von France24 einen Iraner, suggerierend, die Mehrheit der iranischen Bevölkerung interessiere sich gar nicht für das, was sich da auf den Strassen ihres Landes abspiele. Dabei wurde bei den letzten grösseren Unruhen 2009 noch gegenteilig argumentiert, als ein Jürgen Elsässer, heute ein beliebter Gesprächspartner der AfD, die Demonstranten verhöhnte, indem er sie als „Discomiezen‟ und „Strichjungen des Finanzkapitals‟ beschimpfte.

Machen wir uns nichts vor, das iranische Regime wird sobald nicht gestürzt werden. Die Herrschenden im Lande sind fest entschlossen, ihre Macht niemals wieder abzugeben, und sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass ihnen weder die Skrupellosigkeit noch die Mittel fehlen, jeden Aufstand niederzuschlagen. Sobald das geschehen ist, wird sich die Schnappatmung der Iran-Lobby wieder legen und die deutsche Öffentlichkeit rasch wieder anderen Themen zuwenden. Immerhin, auch Sigmar Gabriel ist dann vielleicht Geschichte und kein Aussenminister mehr.

[Geringfügig überarbeitet am 04.01.2018]

Autor: Michael Kreutz

Orientalist und Politologe.

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