Faktencheck ist gross in Mode, aber noch so steile Thesen werden kaum auf Fakten gecheckt, wenn sie aus einer bestimmten politischen Ecke kommen. So haben Verwirrrung und Desinformation leichtes Spiel und kann ein Publizist ohne kritische Nachfragen befürchten zu müssen, seine Behauptung von einem gemässigten Flügel der Hamas weiter unter die Leute bringen.
Schon vergangenes Jahr hatte der Historiker und Journalist Joseph Croitoru behauptet, die Hamas habe mit ihrem Dokument von 2017 ihre ältere Charta abgeschwächt. Zwar spreche die Hamas dem israelischen Staat weiterhin das Existenzrecht ab und erhebe Anspruch auf das gesamte Gebiet des historischen Palästinas, so Croitoru, sie erkläre sich jedoch bereit, „einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren.“
Im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ im März dieses Jahr wiederholt Croitoru diese Behauptung. Angeblich habe die Hamas ihr Programm 2017 etwas abgemildert und erkläre sie sich nun bereit, „einen palästinensischen Staat neben dem Staat Israel zu bilden.“ Die Interviewerin fragt nicht etwa nach, wie Croitoru auf diese erstaunliche These kommt, sondern macht einen Schwenk hin zu den „israelischen Hardlinern.“
Das besagte Dokument von 2017, ein aus 42 Punkten bestehendes Programm, lässt sich leicht im Internet finden (Original, engl. Übersetzung) – doch da steht nichts drin, was in irgendeiner Weise auf eine Bereitschaft der Hamas schlussfolgern liesse, „einen palästinensischen Staat neben dem Staat Israel zu bilden.“ Diesen Fakt hat Croitoru offenbar fabriziert:
Unter Punkt 16 heisst es dort lediglich, dass sich der Kampf der Hamas nicht gegen die Juden wegen ihrer Religion richte. Im Klartext: Man hat erkannt, dass es aus Sicht der Hamas unter den Juden nützliche Idioten gibt, die als Ankläger gegen Israel auftreten und damit der eigenen Sache nutzen.
Unter Punkt 17 heisst es, die zionistische Bewegung müsse aus Palästina „verschwinden“ (yaǧib an yazūl ʿan Filasṭīn).
Unter Punkt 18 heisst es, die Gröndung Israels sei „von Grund auf nichtig“ (bāṭil min asāsihi).
Unter Punkt 20 heisst es, dass die Hamas jede Alternative zur vollständigen Befreiung Palästinas vom Jordan bis zum Mittelmeer (min nahrihā ilā baḥrihā, w. von seinem Fluss bis zu seinem Meer) ablehnt.
Unter Punkt 26 verwahrt sich die Hamas gegen jegliche Beschneidung (misās) ihres Rechts auf Widerstand und Waffen.
Die Hamas ist nach wie vor eine Terrororganisation, deren Ziel die Vernichtung Israels ist. Zwar bekennt sie sich ebenfalls zum Pluralismus, zur demokratischen Wahl und zu demokratischen Prinzipien (Punkte 28 bis 30), erläutert diese freilich nicht näher. Sie hätte diese Dinge im Gazastreifen jedenfalls längst umsetzen können, wenn sie dies gewollt hätte. Hierbei handelt es sich um Augenwischerei für ein westliches Publikum.
Festzuhalten bleibt: Irgendeine Art von Koexistenz mit dem jüdischen Staat wird noch nicht einmal zwischen den Zeilen formuliert. Das ganze Dokument von 2017 gibt sich so unversöhnlich gegenüber dem jüdischen Staat wie die Charta zuvor. Warum ein Historiker wie Croitoru seine Reputation aufs Spiel setzt, indem er unhaltbare Behauptungen verbreitet, bleibt die grosse Frage.