Dieser Tage bin ich nach langer Zeit wieder auf Spinoza gestossen, mit dem ich mich das letzte Mal intensiver im Zusammenhang mit dem christlichen Hebraismus des 18. Jahrhunderts befasste, was nun schon einige Jahre her ist. Noch heute hat uns Spinoza eine Menge zu sagen, wenn wir den Blick abwenden von der Atheismusdebatte des 18. Jahrhunderts, als Lessing sich zu den damals als ketzerisch empfundenen Aussagen Spinozas bekannte, und ebenso von seiner politischen Philosophie.
Spinoza hatte im 17. Jahrhundert die Bibel vor allem als Gegenstand historischer und philologischer Forschung betrachtet und damit impliziert, dass sie fehlerhaft sein kann, waren die Propheten der Bibel doch keine Gelehrten, sondern Prediger, die zum Volk sprachen. Damit legte er als einer der ersten die Grundlage für die moderne Bibelkritik. Doch, wie gesagt, dieser Aspekt des Denkens Spinozas verstellt den Blick auf weniger Bekanntes. Ich denke hier vor allem an seine Ausführungen über die Affektenlehre, also den Zusammenhang von Vernunft und Lebensführung.
Spinoza hält es für ein Gebot, so zu denken, dass „wir durch den Affekt der Lust zum Handeln bestimmt werden.“ Wer z.B. nach Ruhm strebt, solle darüber nachsinnen, wie man ihn erwirbt und wie man ihn einsetzt, nicht aber darüber, wie er missbraucht wird und wie vergänglich er ist, was nur dazu führt, dass man über die Menschen insgesamt in Verstimmung gerät. Diejenigen, die am stärksten nach Ruhm streben, sind zugleich diejenigen, „welche das grösste Geschrei erheben über den Missbrauch des Ruhms und die Eitelkeit der Welt.“
Er nennt dies nicht nur eine Eigenschaft der Ehrgeizigen, sondern aller „geistigen Schwächlinge“, die ihre Ziele nicht erreicht haben. „Denn auch der Arme, der gern reich sein möchte, redet unaufhörlich vom Missbrauch des Geldes und den Lastern der Reichen, weomot er keine andere Wirkung erzielt, als dass er sich ärgert und andern zeigt, dass er nicht bloss über die eigene Armut, sondern aucn über den Reichtum anderer Groll hegt.“ Man bürdet sich also eine zweite seelische Last auf, anstatt seine Kräfte darauf zu verwenden, die erste Last abzuwerfen.
Neid hindert uns, das zu erreichen, was wir wollen
Wer also über berühmte oder reiche Menschen lästert, hindert sich selbst daran, berühmt oder reich zu werden. Spinoza nennt ein weiteres Beispiel: Ein Mann wird von seiner Geliebten betrogen oder auf andere Weise enttäuscht. Wer in eine solche Situation gerät, wird dazu neigen, den Frauen insgesamt einen Wankelmut und andere charakterliche Defizite zuzuschreiben. Damit wird er seine Lage aber nicht verbessern, im Gegenteil: Der Groll, den er in seinem Inneren kultiviert, hält ihn nur davon ab, nach einer geeigneteren Partnerin zu suchen.
Der Kulturpessimist mokiert sich nicht einfach über bestimmte Dinge, die falsch laufen oder Personen, die ihm übel mitgespielt haben, sondern sublimiert seinen Ärger zu einer Weltflucht und zu politisch radikalen Lösungen. Kränkungen, die wir alle in unserem Leben erfahren, empfiehlt Spinoza daher mit Edelmut zu begegnen, der wiederum einem Nachdenken über die Ursache der Kränkung entspringt. Der ganze Vorgang ist ein Akt der Vernunft – aber müssen wir überhaupt vernünftig sein?
Spinoza formuliert seinen Gedankengang im Zusammenhang mit dem Thema der inneren Freiheit: Wer seine Affekte und Neizgungen aus Liebe zur Freiheit zu zügeln trachtet, wird sich nicht am menschlichen Laster abarbeiten „und am Schein einer falschen Freiheit Freude haben.“ Wer dies beherzigt und sich darin übt, „der wird sicherlich in kurzer Zeit seine Handlungen meist nach den Geboten der Vernunft regeln können.“ Vernunft kann also helfen, seelische Konflikte zu lösen .Aus der Vernunft allein entsteht die höchste Form der Zufriedenheit, sie ist die menschlichste Eigenschaft überhaupt.
Weil Spinoza ein optimistisches Menschenbild hatte, konnte er auch für die Demokratie eintreten. Positives Menschenbild und Demokratiee bedingen einander. Religiöse und politische Freiheit sollten sich darin mit Handels- und Gewerbefreiheit verbinden, also dem, was wir heute Marktwirtschaft nennen. So sind wir dann doch wieder bei Spinozas politischer Philosophie gelandet, in der Freiheit zum zentralen Wert des Staates wird.
Kulturoptimismus heisst nicht, die Welt im Weichzeichner zu betrachten. Aber es heisst, vor allem das Potential zum Besseren zu sehen und die Tatsache anzuerkennen, dass die so fragmentiert scheinende moderne Welt mit ihren Zumutungen wie Urbanität, Säkularismus, Rationalismus und Individualismus eine weitaus bessere ist als jeder Gegenentwurf.
Literatur
Baruch de Spinoza. 1972 [1677]. Ethik, Frankfurt/ Main: Röderberg, 5. Teil, 10. Lehrsatz.
Oftfried Höffe. 2016. Geschichte des politischen Denkens. München: C.H. Beck, S. 229 ff.