Es ist durchaus erstaunlich zu sehen, wieviele Intellektuelle nicht nur in Deutschland sich partout nicht dazu durchringen können, dem jüdischen Staat eine andere Rolle als die des Aggressors zuzuweisen. Zwar hatte die israelische Regierung sich monatelang mit Raketen aus Gaza beschiessen lassen, bevor sie zurückschlug, doch in den Augen vieler Kritiker ist das bedeutungslos.
Denn ob die israelische Armee sich zurückzieht (so aus dem Gazastreifen und dem Südlibanon) oder nicht, ob die israelische Regierung Kontrollposten im Westjordanland abbaut oder nicht, ob Israel Güter nach Gaza liefert oder nicht – es spielt alles keine Rolle. Immer ist der jüdische Staat der Agrressor, der Unterdrücker, der nie versiegende Quell der Zwietracht.
Und wenn das aggressive Potential einer Organisation wie der Hamas doch einmal wahrgenommen wird, dann nur im Rahmen einer Äquidistanz: Gewiss, die Hamas sei schlimm – aber die Haredim sind es auch. Als ob die Haredim, also Israels Ultraorthodoxe, eine politische Organisation darstellten und Raketen auf Gaza feuerten.
Gerade deshalb verdienen es die Äusserungen des Journalisten Jakob Augstein als antisemitische Entgleisung benannt und gescholten zu werden. Weil Sie in ihrer Einseitigkeit so symptomatisch sind. Weil die Regierung Netanjahu oft nur vorgebliches Ziel der Kritik ist, die die Ablehnung des jüdischen Staates als solchen kaschieren soll. (Eine “Hitliste der grössten Antisemiten der Welt” gibt es übrigens nicht, wie oft behauptet wird, jedenfalls nicht seitens des Simon-Wiesenthal-Centers.)
Ist Augstein also ein Antisemit? Ich weiss es nicht, zumal nicht jeder Unsinn, der über Israel verzapft wird, Antisemitismus genannt zu werden verdient. Aber wahrscheinlich ist es schon. Die Fixierung auf den Konflikt mit Israel und die augenscheinliche Weigerung, Israel auch nur einmal vorbehaltlos ein Selbstverteidungsrecht zuzubilligen, deuten darauf hin.
Manchmal jedenfalls wünscht man sich, dass, wer schon ein grundsätzliches Problem mit dem jüdischen Staat hat, sich wenigstens nicht hinter den Palästinensern versteckt und seine Ressentiments als moralischen Appell tarnt. Kein Wunder, dass Tuvia Tenenbom nach seinen zahlreichen Begegnungen mit den Menschen in diesem Land ihre “Maskeraden, ihre endlosen Diskussionen, ihre andauernden Predigten” irgendwann nicht mehr ertragen konnte.