Im Kino: Die Saat des heiligen Feigenbaums

Iman hat geschafft, worauf er viele Jahre lang hingearbeitet hat: Er wird Ermittlungsrichter. Fรผr seine Familie bedeutet das gute und schlechte Nachrichten zugleich. So freut man sich, dass Iman ein hรถheres Gehalt bezieht und die Familie auf eine grรถssere Wohnung hoffen darf, was nicht zuletzt den beiden Teenager-Tรถchtern zugute kommt. Doch die schlechten Nachrichten lassen nicht auf sich warten.

Der iranische Film «Die Saat des heiligen Feigenbaums» thematisiert die Proteste der iranischen Bevรถlkerung gegen das theokratische Regime nach dem Tod von Mahsa Amini. Erzรคhlt wird aus der Perspektive einer Familie, die von den Ereignissen zerrrissen wird. Iman, der Familienvater, steht auf Seiten des Regimes, dabei wird er keineswegs als Monster gezeichnet. Denn seine Beรถrderung auf den Posten eines Ermittlungsrichters bedeutet fรผr ihn eine kapitale Ernรผchterung.

Hat Iman vorher seinen Diensteid ernstgenommen und als einfacher Jurist seine Fรคlle gewissenhaft bearbeitet, so soll er nun eine Klageschrift wegen Gotteslรคsterung unterzeichnen, ohne ausreichend Gelegenheit zu haben, die Akten einzusehen. Auf Gotteslรคsterung steht die Todesstrafe und der Ausgang des Verfahrens steht im Grunde bereits fest. Das stรผrzt Iman in eine schwere Gewissensprรผfung, aber noch schwieriger wird es fรผr die Tรถchter Rezwan und Sana.

Wenn der Schrecken allgegenwรคrtig ist

Denn die Arbeit eines Ermittlungsrichters bedeutet, dass die Familie sich in der ร–ffentlichkeit besonders zรผchtig geben muss. Mit Freundinnen ausgehen und Selfies in den sozialen Medien zu posten, wie Rezwan und Sana es tun, sind fortan tabu. All das kรถnnte Imans Ansehen in der Behรถrde schaden. Auch reicht es fรผr die Frauen nicht, sich normal zu verschleiern; es muss eine besonders zรผchtige Form der Verschleierung sein. Dagegen rebellieren die Tรถchter, wobei die Rebellion anfangs noch sanft ausfรคllt.

Ihre Reaktion beschrรคnkt sich zunรคchst darauf, den Sinn und Zweck manche Anordnung einfach nicht zu verstehen. Doch als die Proteste auf den Strassen aufflammen und Aufnahmen davon viral gehen, werden auch Rezwan und Sana von den Ereignissen mitgerissen. Der Mutter Najme kommt hierbei die Rolle zu, zwischen den beiden und ihrem Vater zu vermitteln. Sie, die das Regime keineswegs infrage stellt, hat es nicht immer leicht, sich zu entscheiden, auf wessen Seite sie stehen soll.

«Die Saat des heiligen Feigenbaums» hat eine Dauer von fast drei Stunden und lรคsst doch โ€“ auch dank eines hervorragenden Ensembles โ€“ keine Minute Langeweile aufkommen. Er zeigt, wie der gesellschaftliche Konflikt tiefe Grรคben in der Familie aufreisst, bis auch Najme sich irgendwann entscheiden muss. In Iran hat das gesamte Filmteam schwere Repressionen in Kauf nehmen mรผssen, Regisseur Mohammad Rasoulof musste wegen drohender Haftstrafe und Auspeitschung aus dem Land fliehen.

Der im Titel genannte Feigenbaum findet in der erzรคhlten Geschichte selbst keine Erwรคhnung. In einer Information zu Beginn des Films wird nur gesagt, dass der Feigenbaum die Eigenschaft hat, sich an anderen Bรคumen emporzuranken, um sie schliesslich zu ersticken. Man kann das dergestalt auf den Film beziehen, dass die Herrschaft der Mullahs die iranische Gesellschaft nach und nach erstickt. Dabei vermeidet der FIlm, obwohl er Partei fรผr die Rebellion ergreift, platte Charaktere und ein vorhersehbares Ende.

Die zum Teil mit der Saz eingespielte Musik von Karzan Mahmood dient nicht der dramatischen Untermalung einzelner Szenen, sondern ihrer รœberleitung, was dem Film ein poetisches Geprรคge gibt. Wenn die Kamera auf die Kochkรผnste von Najme fokussiert, dann fรคngt sie das Sinnbild einer heilen Familienwelt ein, das immer wieder neu errichtet werden muss. Ebenso steht eine Handfeuerwaffe als Sinnbild fรผr die Herrschaft durch Unterdrรผckung, die Iman entgleitet.

«Die Saat des heiligen Feigenbaums» ist eine Wucht โ€“ er zeigt ein Iran, das ganz anders ist, als die Apologeten des Regimes und ihre Mรคr von dessen Reformfรคhigkeit glauben machen wollen, und versteht es, einen Konflikt in eine kraftvolle Erzรคhlung umzusetzen, die etwas von dem Schrecken vermittelt, der in der iranischen Gesellschaft allgegenwรคrtig ist.


«Die Saat des heiligen Feigenbaumes». Drehbuch und Regie: Mohammad Rasoulof. Iran 2024, 168 Minuten. Mit Soheila Golestani, Messagh Zareh u.a.m.

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