Realität und Spiel

Wenn die Kamera dem Protagonisten folgt, führt sie zugleich den Zuschauer aufs Glatteis, der immer mit Verzögerung mitbekommt, dass abermals die Ebene gewechselt hat und aus Spiel Realität wurde. Oder aus Realität Spiel. Die Musik kommt dann nicht länger aus dem Off, sondern es ist ein Schlagzeuger, der an unerwarteter Stelle sitzt – in den Katakomben des Backstage oder in einem Hauseingang an der Strasse –, wie auch die Dialoge sich oft erst im Nachhinein als echt oder gespielt entschlüsseln lassen.

Die Namen, die während der Proben für eine Aufführung am Theater in die Runde geworfen werden, als man über die Besetzung einer Rolle miteinander in Streit gerät, bezeichnen ebenso reale Schauspieler wie die Tatsache, dass der Hauptdarsteller selbst vor mehr als zwanzig Jahren als fledermausgewandeter Actionheld auf der Leinwand zu sehen war, der eine auffallende Ähnlichkeit mit der Rolle hat, die Riggan Thomson seine grössten Erfolge bescheren sollte.

Doch wer kann schon sagen, was echt und nur erdacht ist, immerhin verfügt der Protagonist über Superkräfte, die es unmöglich machen, ihn lediglich als Verkörperung einer blossen Rolle zu sehen, während sich doch andererseits die Superkräfte nur dann zeigen, wenn niemand sonst den Protagonisten beobachtet. Bis auf den Zuschauer, natürlich, der irgendwann glaubt, dass ihn recht besehen vom Publikum auf der Leinwand nichts mehr trennt.

Dieses Geflecht aus Spiel und Realität produziert eine ungeheure Energie zwischen den Beteiligten, die sich dann in so berauschenden Szenen entlädt wie derjenigen, in der der Protagonist sich inmitten einer Aufführung durch eine Verkettung unglücklicher Umstände urplötzlich in Unterhose auf der Strasse wiederfindet, um schliesslich, umringt von einer gaffenden Menge, durch den Haupteingang sein eigenes Theater erneut zu betreten und weiterzuspielen, egal wie absurd die Umstände in diesem Augenblick auch sein mögen.

Soviel Heiterkeit hat man im Publikum (in welchem Publikum?) noch selten erlebt und wenn Sie jetzt nichts von alldem verstanden haben, dann sollten Sie ins Kino gehen und sich “Birdman” anschauen.

Autor: Michael Kreutz

Orientalist und Politologe.

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