Die Hybris der Sozialisten

Und ewig lockt der Sozialismus: Je erfolgreicher der Kapitalismus ist, für desto selbstverständlicher werden seine Früchte gehalten, desto stärker werden die gesellschaftlichen Probleme, die es gibt, überzeichnet, und desto wilder wachsen die Phantasien von einer besseren Welt.

Dass Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, bislang nur ins kollektive Elend geführt haben, kann die Anhänger sozialistischer Gesellschaftsvorstellungen freilich nicht beirren. Sozialismus wird als neue und frische Alternative verkauft, die sozialistische Propaganda in eine Rhetorik der Befreiung, des Individualismus und der Zwanglosigkeit gekleidet.

Auch Juso-Chef Kevin Kühnert möchte eine „bessere Welt“, die er als „Welt freier Menschen“ definiert, „die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt.“ Gerecht soll es zugehen und demokratisch obendrein. Gleichwohl: Die Eckpfeiler seiner Weltanschauung sind nicht neu. Was ist dran?

I. Eine gerechte Wirtschaftsordnung auf Grundlage kollektiver Bedürfnisse?

Im Interview mit der „Zeit“ erklärt Kühnert, wie er seine sozialistische Utopie versteht, nämlich als einen Zustand, in dem „Menschen ihren Bedürfnissen nachgehen können“. Was ihre Bedürfnisse sind, weiss Kühnert ganz genau: „Das Bedürfnis ist, mobil sein zu können, denn das bedeutet teilhaben zu können.“

Was ist mit anderen Bedürfnissen, z.B. dem nach Sicherheit? Frauen benutzen nachts meist lieber das Auto als die S-Bahn. Dieses Bedürfnis erwähnt Kühnert nicht. Weitere Beispiele liessen sich nennen. Die Unterordnung unter ein „Kollektiv“ nimmt dem einzelnen Handlungsspielraum zugunsten einer Obrigkeit, die von sich behauptet, besser als der einzelnen zu wissen, was gut für ihn ist.

Moment mal! Wollen Sozialisten die Obrigkeit überhaupt ins Spiel bringen? Soll nicht alles freiwillig und ohne Zwang geschehen, wie anderer Sozialist, Harald Welzer, glauben macht? Nun, wenn Menschen sich freiwillig zusammentun, um genossenschaftlich etwas zu nutzen, dann handelt es sich nicht um Sozialismus. Kühnert Vorbild, die israelische Kibbutz-Bewegung, ist kein Gegenmodell zum Kapitalismus, weil die Infrastruktur der Kibbutzniks ihr Privateigentum ist.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Propagandisten der Kibbutz-Bewegung wie Martin Buber ihr Modell als Alternative zum Kapitalismus sahen und es im Kibbutz in der Gründerphase offiziell kein Privateigentum gab, das als individuelles Eigentum verstanden wurde. Der staatliche Zwang war nicht vorhanden und wer hierzulande einen Kibbutz gründen wollte, dürfte das – erstens – tun und würde – zweitens – in keinem Widerspruch zur kapitalistischen Ordnung stehen.

Eine systemische Alternative läge erst dann vor, wenn alle Einwohner innerhalb der Landesgrenzen staatlicherseits gezwungen würden, nach dem Kibbutz-Modell zu leben. Der Zwang macht also den Unterschied. Natürlich könnten die Eigentümer von BMW – gesetzt den Fall, die Firma wäre, wie Kühnert fälschlicherweise glaubt, das exklusive Eigentum weniger Menschen – ihre Firma anderen schenken oder freiwillig mit anderen genossenschaftlich nutzen, aber das wäre dann immer noch Kapitalismus und BMW immer noch Privateigentum.

II. Marktmechanismen im Sozialismus?

Kühnert freilich vermeidet es, Vokabeln wie „Zwang“ oder „Obrigkeit“ in den Mund zu nehmen. Alles soll ganz easy scheinen. Darum sagt er so absurde Sachen wie „Auch der Sozialismus wird und muss mit Marktmechanismen arbeiten.“ Und: „Planwirtschaftliche Elemente hätten in diesem Sinne eine bremsende Kraft auf alles Innovative.“

Allerdings ist mit Marktmechanismen Schluss, sobald der Sozialismus Dinge hervorbringt, die dem Sozialisten nicht genehm sein können. Das ist keine Unterstellung, sondern pure Logik. Es soll sich schliesslich etwas ändern. Würde der Sozialismus genauso funktionieren wie der Kapitalismus, wäre aus Sicht des Sozialisten nichts gewonnen.

Der Ordoliberale Walter Eucken, einer der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, hat 1959 deutlich gemacht, dass soziale Gerechtigkeit am besten dadurch erreicht wird, „dass man die Einkommensbildung den strengen Regeln des Wettbewerbs, des Risikos und der Haftung unterwirft.“ Risiko und Haftung aber sind im Sozialismus ausgeschlossen.

Dass unrentable Unternehmen pleitegehen, weil sie an den Bedürfnissen der Konsumenten vorbeiproduzieren, ist dort nicht vorstellbar. Ein Betrieb könnte allenfalls stillgelegt werden, aber nicht deshalb, weil das Kollektiv sich etwas davon verspricht, sondern allein, weil die Obrigkeit dies aus irgendeinem Grund für geboten hält. Marktwirtschaftliche Prinzipien kann es im Sozialismus nicht geben und wenn, wäre es kein Sozialismus mehr.

III. Sind soziale Errungenschaften von den Sozialisten erkämpft worden?

Seit eh und je glauben Sozialisten, dass die Arbeiterbewegung dem Kapitalismus soziale Errungenschaften abgetrotzt hätte. In Kühnerts Worten: „Aber soziale Marktwirtschaft ist eine Spielart von Kapitalismus. Sie war auch eine Antwort auf die real existierende Systemkonkurrenz. Es ist doch kein Zufall, dass in der historischen Sekunde, in der die Systemkonkurrenz mit dem eisernen Vorhang gefallen ist, die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft infrage gestellt wurden und Mitte der 1990er Jahre dieser neoliberale Zeitgeist Einzug gehalten hat.“

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Wie schon der österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises 1940 festgestellt hat, hat die sozialpolitische Gesetzgebung „im Grossen und Ganzen im 19. Jahrhundert nichts anderes getan, als Wandlungen, die sich auf dem Arbeitsmarkt vollzogen hatten, nachträglich die gesetzliche Weihe zu verleihen.“

Denn erst die höhere Produktivität hat viele Dinge wie die Sonntagsruhe oder die Beseitigung der Kinderarbeit möglich gemacht. Wer das nicht glaubt, der braucht sich nur in Ländern umzusehen, in denen eine weitaus geringere Produktivität herrscht und wird sehen, dass es dort auch mit der sozialpolitischen Gesetzgebung nicht weit her ist und die Arbeitsbedingungen weitaus miserabler sind.

*

Mit der DDR habe ihr Denken nichts zu tun, lautet die Floskel aller Kollektivisten unserer Tage. Auch Kühnert behauptet, die DDR sei gar nicht sozialistisch gewesen. Er irrt sich. Er will nicht wahrhaben, dass alles, was er und Gleichgesinnte sich erträumen, erst dann eine systemische Alternative sein kann, wenn es mit Zwang umgesetzt wird. Diesen umzudeuten in einen Willen des Kollektivs, als deren Vertreter sie sich aufspielen, ist die Hybris der Sozialisten.


Nachtrag 04.05.2019

Das Interview mit Kühnert hat vielfache Stellungnahmen ausgelöst. Dabei zeigt sich, dass die Verächter des Kapitalismus diesen fälschlicherweise immer wieder mit Profitgier und Ausbeutung gleichsetzen, der sie eine sozialistische Utopie entgegensetzen, die sie aber nicht näher definieren wollen, weil man ihnen sonst vorwerfen könnte, eine neue DDR zu propagieren. Es ist ein Elend. Einer von zahlreichen Vertretern dieses Denkens ist Nils Minkmar, der auf „Spiegel Online“ glauben machen will, der französische Biomarkt ‚La Louve‘ – der seinen Kunden gehört, sodass, wer dort mitarbeitet, billiger einkauft und darüber mitbestimmt, was in die Regale kommt – sei die „findige Antwort“ auf einen kriselnden Kapitalismus. Jemand sollte Minkmar erklären, dass auch der Biomarkt ‚La Louve‘ Kapitalismus ist.

Nachtrag 06.05.2019

Auf Faz.net moniert Jürgen Kaube den Mangel an analytischer Schärfe in Kühnerts Äusserungen. Er verkennt freilich, dass dies eine Taktik der Sozialisten unserer Tage ist, um dem Vorwurf zu entgehen, sie wollten die DDR wiederbeleben. Wie sehr Kaube den Zuspruch verkennt, den Kühnert längst geerntet hat, verrät auch sein Schlusssatz: „Nur sein Alter schützt Kühnert davor, als Beppe Grillo der Sozialdemokratie bezeichnet zu werden.“

Nachtrag 17. Mai 2019

Warum der Sozialismus immer nur zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft geführt hat, erklärt Jeffrey Tucker in der „National Review“. Einer der Gründe ist das erstmalig von dem österreichischen Nationalökonomen Ludwig von Mises beschriebene Preisproblem: „Without the market forces of supply and demand (…) all factories and industries will lose access to meaningful profit-and-loss accounting. (…) You have no data on which to base your purchases, investments, production, hiring, wages, inventories, or anything else.“ Die aus einer solchen Mangelwirtschaft erwachsende Korruption ist wiederum Teil des Systems und von den herrschenden Eliten gewollt, wie spätere Ökonomen gezeigt haben. Je grösser der Mangel, desto grösser die Einkünfte aus Bestechungen. Sozialismus hat daher nichts mit Gerechtigkeit oder der Verbesserung von Lebensbedingungen zu tun, sondern notwendigerweise allein mit Macht und Einkommen auf Kosten anderer.

Nachtrag 21. Mai 2019

Was hilft gegen die Verlockungen des Sozialismus? Nur Bildung, meint Marion Smith in der „National Review“. Gerade daran mangele es in den USA: „At every level, institutions of learning neglect to teach the innumerable benefits of free enterprise and the grave perils of collective control, if they teach the history of economics at all.“ Dass letztlich mit einem Ende des Privateigentums auch das Recht auf freie Meinungsäusserung verschwinde, werde ebensowenig vermittelt und sei vielen einfach nicht klar: „In turn, socialism has become a fad, a calling card for the young and progressive.“

Nachtrag 24. Mai 2019

Wo der Respekt vor dem Privateigentum schwindet, schwindet auch die Meinungsfreiheit – diesen Zusammenhang kann man aktuell u.a. in Russland beobachten, wie Denis Grekov für „Riddle“ zeigt: „As Milton Friedman wrote, personal and political freedoms can be fully realised only on the basis of economic freedom; the current situation in Russia deprives citizens of precisely that.“ Massenproteste gegen die Regierung seien dann nur noch möglich, wenn Menschen nichts mehr zu verlieren haben.

Nachtrag 1. Juni 2019

Sozialismus kommt wieder in Mode. In den USA wird jetzt debattiert, ob man die Preise für Medikamente nicht sozialistisch gestalten sollte, indem man sie anhand eines internationalen Preisindex‘ deckelt. Demgegenüber weist Matthew Kandrach auf RealClear Health darauf hin, dass in den verglichenen Ländern die Gesundheitsversorgung meist schlechter ist, u.a. deshalb, weil: „Countries with government-controlled systems restrict access because they can only control costs in two ways; first, by forcing companies to accept below market-value prices or, second, by restricting care. When companies cannot accept below market-value prices, those governments forgo those treatments.“

Translate