Nicht nur dem israelischen Premierminister Netanjahu kommt bei den Ausschreitungen in Amsterdam die Reichspogromnacht vor 86 Jahren in den Sinn. Dessen Wiederholung sind sie zwar nicht, aber Europa muss dafür sorgen, dass der Mob nicht die Oberhand gewinnt. Denn, wie schon Hannah Arendt schrieb: „Der Mob kann nicht wählen, er kann nur akklamieren oder steinigen.“
Die Bilder von den Ausschreitungen sind schockierend und erreichen uns ausgerechnet kurz vor dem Jahrestag des Novemberpogroms in Nazideutschland. Damals war der Pogrom aus der ultimativen Verbrüderung des Mobs mit der Staatsmacht entstanden und von der NSDAP initiiert und gesteuert. Soweit ist es in den Niederlanden oder auch sonst in Europa noch nicht gekommen.
Noch herrschen auf dem Gebiet der Europäischen Union demokratische und den Grundsätzen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten verpflichtete Regierungen. Eine Verbrüderung mit dem Mob gibt es nicht, egal was man an Kritik über die Regierungen in der Europäischen Union im allgemeinen und den Niederlanden im besonderen vorbringen kann. Dennoch dürfen wir es bei dieser Festtellung nicht belassen.
Denn die Ereignisse von 1938 und in den Jahren darauf sind eine Mahnung, dass der antisemitische Wahn in den Köpfen allzu leicht in reale Gewalt umschlagen kann. In der Erinnerung an die dunkelsten Kapitel der Geschichte liegt Orientierung für die Zukunft. Dazu gehört, endlich verstärkt Sorge für den Schutz jüdischen Lebens zu tragen.
Wir erinnern uns, dass vor fünf Jahren bei einem versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle, vor der es keinen Polizeischutz rund um die Uhr gab, nur eine Holztür die Gläubigen vor einem Massaker bewahrte. Ebenso muss Antisemitismus als solcher auch dann benannt werden, wenn er im Gewande sich progressiv dünkender Kunst oder Publizistik oder im Namen des Antikolonalismus daherkommt.
Nachtrag 11. November 2024
Mindestens ein Video, das zeigen soll, wie ein Mob eine Gruppe israelischer Fussballfans jagt, ist falsch. Tatsächlich sind die Fans des israelischen Clubs Maccabi die Jagenden, nicht die Gejagten. Wie die „taz“ hinzufügt, bedeutet ein falsch eingeordnetes Video jedoch nicht, dass keine Hetzjagden auf israelische Fans stattgefunden haben. Darauf weist auch der Migrationsforscher Ruud Koopmans hin: Die Maccabi-Fans haben keinerlei Gewalt verübt; die Holzlatten in ihren Händen dienten offenbar der Selbstverteidigung.