Syrien nach Assad (3)

Dass diese Zustände kein Alleinstellungsmerkmal der arabischsprachigen Welt sind, zeigen die Memoiren des iranischen Klerikers Scheich Ebrahim Zanjani, der von ganz ähnlichen Missständen im Iran zu Beginn des 20. Jahrhunderts berichtet. In jedem Falle gilt: Angesichts einer Staatsmacht, die für nichts als Repression und Korruption steht, während der einzelne Bürger eine Gegenleistung bekäme, wird niemals auf Loyalität der Bevölkerung zählen können.

In gewisser Weise ist es daher nur konsequent, wenn Arbeitsverträge in einem Land wie Syrien unüblich sind. Allenfalls grosse Firmen stellen auf vertraglicher Basis ein, der Grossteil der arbeitenden Bevölkerung ist dagegen der Willkür ihrer Vorgesetzten ausgelierfert. Zwar erhebt der syrische Staat mit seiner Baath-Ideologie einen sozialistischen Anspruch, d.h. es gibt ein Versprechen auf einen Arbeitsplatz, doch versagte der Staat in der Praxis. Zum einen mussten Antragsteller Jahre auf einen Arbeitsplatz warten, zum anderen war dieser Arbeitsplatz nichts, was diesen Namen verdiente.

Auch das politische System Syriens war immer nur ein Potemkinsches Dorf. Dass einfache Bürger von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch machen, war in der Praxis nicht vorgesehen. Kam jemand auf die Idee, es dennoch zu tun, konnte er sich darauf verlassen, Besuch vom Geheimdienst zu bekommen. Beharrte der kandidierungswillige Bürger auf seinem Vorhaben, so hielt man ihn von einer Kandidatur zwar nicht ab, liess ihn jedoch im Aaschluss an die inszenierten Wahlen mitteilen, dass er nicht genügend Stimmen für ein Mandat errungen habe. Die genaue Zahl der Stimmen würde er nie erfahren.

Das Parlament ist eine Farce, trotzdem nicht überflüssig. Zum einen gab sich das Regime so den Anschein einer Legitimation, zum anderen bedeutete es für die Abgeordneten völlige Handlungsfreiheit, wenn es um krumme Geschäfte ging. Und krumme Geschäfte gab es viele in Syrien, die meisten davon dürften mit dem Namen Rami Makhlouf in Verbindung stehen, einem der reichsten Männer des Landes, dem Telefoniedienstleister, Baukonzerne und Hotels gehören.

Der syrische Staat war und ist ein Staat, der auf den beiden Säulen Nepotismus und Repression beruht. Wenn ahnungslose westliche Intellektuelle beispielsweise fordern, man möge doch den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens “nicht mit pauschaler Ablehnung” begegnen, sondern sich ihnen mit “Einfühlungsvermögen” nähern, dann zeigt das nur, dass hier elementare Dinge nicht verstanden worden sind.

Wie entscheidend inklusive Institutionen für den Wohlstand einer Gesellschaft sind, haben die Forscher Jared Diamond (“Kollaps”) sowie Daron Acemoglu und James A. Robinson (“Why Nations Fail”) überzeugend dargelegt, wenngleich sich nicht trauen, auch gesellschaftliche Werte als mögliche Faktoren zu benennen, wenn es um Fehlentwicklungen von Staatswesen geht. Das eigene empirische Material legt das durchaus nahe. Lieber gibt man der Politik die Schuld, für die dann nur ein Diktator oder eie Gruppe von Herrschern verantwortlich gemacht wird.

Damit wird jedoch keine Antwort auf die Frage gegeben, warum manche Gesellschaften auch nach mehreren Umstürzen immer nur autoritäre Strukturen hervorgebracht haben. Frieden, Freiheit und Wohlstand ergeben sich nicht einfach, indem man freie Wahlen abhält, solange diese nicht durch entsprechende Werte wie Individualismus, Diesseitigkeit etc. gestützt werden. Der von Harrison und Huntington herausgegeben Sammelband “Culture Matters – How Values Shape Human Progress” (2000) sollte Pflichtlektüre von mit Aussenpolitik befassten Politikern, Kommentatoren und Wissenschaftlern sein.

Der tunesische Politiker und ehemalige Vorsitzende tunesischen Liga für Menschenrechte Mohamed Charfi schrieb in seinem Buch “Der Islam und die Freiheit” (1999), dass die islamische Welt bis heute keine kulturelle und pädagogische Revolution gehabt habe. Pensum und Organisation des Unterrichts mögen in den verschiedenen islamischen Ländern variieren, doch ob nun in der Türkei oder in Saudi-Arabien, überall werden die Scharia und die Geschichte des Islam auf die gleiche Weise gelehrt, nämlich als Katalog von Vorschriften.

Dazu zählen immer, so monierte Charfi, die Leibesstrafen, das Töten von Abtrünnigen, das Schliessen der Banken und der Kampf gegen die Ungläubigen. Auch werde das Kalifat als dasjenige System präsentiert, das in Sachen gesetzgeberischer Kompetenz ohne Vergleich sei. Paradoxerweise, so Charfi weiter, ist die politische, wirtschaftliche und juristische Realität jedoch eine andere, sodass sich für die Gläubigen eine Verwirrung aus zweierlei Arten von Denken ergebe, indem sie das eine lehrten und die andere praktizierten. Am Ende bedürfe es dann nur noch eines Zornfaktors, der die Menschen in Richtung eines Fundamentalismus treibt.

Wie wir es gerade in Syrien erleben.

Siehe auch:

Syrien nach Assad (1)
Syrien nach Assad (2)

Syrien nach Assad (2)

Häufig macht sich eine gewisse Hilflosigkeit breit, wenn es um die Ursachen von Gewalt geht, wie derzeit in Syrien zu beobachten. Viele Kommentatoren wissen sich dann keinen anderen Rat, als die Misere auf ein verunglücktes nation building, verschuldet durch koloniale Willkür, zurückzuführen. Eine ethnisch wie konfessionell heterogene Menschenmasse, so das gängige Narrativ (hier eines von vielen Beispielen), sei in einem von fremden Mächten und aus eigennütizgen Gründen zusammengezimmerten Staatsgebilde zusammengepfercht worden, dessen Fliehkräfte nur durch die eiserne Faust eines Diktators in Schach gehalten werden.

Für die Arabische Welt stimmt das jedoch allenfalls zum Teil. In Wahrheit haben die Kolonialmächte es sich alles andere als leicht gemacht, was die Grenzziehung anbetrifft. Ihre Sorge galt – nicht nur, aber auch – der Stabilität der zukünftigen Staaten des Nahen Ostens, deren gegenwärtige Grenzen auch nicht einfach den lokalen Bevölkerungen aufoktroyiert worden, sondern in der Auseinandersetzung mit regionalen Kräften entstanden sind, die die Kolonialmächte für sich einzuspannen versuchten.

Belassen wir es vorerst bei dieser Feststellung. (Für all diejenigen, die mehr darüber wissen wollen, darf ich freundlich auf mein Büchlein “Das Ende des levantinischen Zeitalters” (2013) verweisen, und dort auf die Kap. “Friedenskonferenz in Paris”, 202 ff. und “Eine Wüste wird geteilt”, 209 ff; ebenso Efraim Karsh: “Islamic Imperialism” (2006), S. 95, 102; vom selben Autor “Empires of the Sand” (2001), dort im Kap. “The Entente’s Road to War”, S. 118 ff., bes. S. 119; s. auch hier.) Der Hass, der sich in Syrien gegen das Regime bahn bricht, ist jedenfalls nicht einfach eine Spätfolge vermeintlich willkürlicher Grenzziehungen, sondern hat andere Ursachen. Um das zu verstehen, muss man einen Blick in den syrischen Mikrokosmos werfen.

Vor allem die Ohnmacht des einzelnen angesichts eines allmächtigen Staatsapparats, der immer nur nimmt ohne zu geben, ist ein zentrales Problem. Obwohl der syrische Staat jedem Bürger einen Arbeitsplatz verspricht, war schon vor dem Bürgerkrieg die Armut grosser Teile der Bevölkerung unübersehbar. Auch muss ein Antragsteller zum Teil Jahre warten, bis ihm eine Stelle zugewiesen wird, doch wird er selbst dann nur so wenig verdienen, dass er damit über die Runden kommt – vorausgesetzt, er hat keine Miete zu zahlen.

Frustration baut sich auf, wenn die junge Generation eine Familie gründen wollen, es mangels Einkommen aber noch nicht einmal schaffen, einen eigenen Haushalt zu finanzieren. Da ohne Ehe ein Zusammenleben kaum möglich ist, müssen viele in zwei Jobs arbeiten, ohne jemals Aussicht darauf zu haben, die eigene Situation entscheidend verbessern zu können.

An dieser Stelle muss einiges zur Korruption gesagt werden. Diese besteht nicht einfach darin, dass Beamte staatliche Leistungen nur gegen Entgelt in die eigene Tasche zur Verfügung stellen. Vielmehr ist es so, dass Geheimdienstler und andere der Staatsmacht Nahestehende sich selbst zu den Läden, Hotels und Firmen begeben, um den Umsatz zu taxieren und vom Inhaber eine entsprechende, als realistisch eingeschätzte Summe zu kassieren. Mitarbeiter des Ordnungsamtes schliessen denn auch keine Restaurants oder Metzgereien, wenn diese gegen Hygienevorschriften verstossen, vielmehr diese sind das Instrument, mit denen die Ladenbesitzer erpresst werden.

In arabischen Ländern wie Syrien hat der einzelne Bürger vom Staat nichts zu erwarten. Das geht so weit, dass jemand, der beispielsweise Opfer eines Verbrechens wird, nicht darauf zählen kann, dass die Polizei ihm hilft. Es ist möglich, dass diese unter dem Vorwand, kein Benzin zu haben, gar nicht erst ausrückt. Die Polizei schreitet auch nicht in Fällen von Kinderarbeit ein, obgleich diese in Syrien omnipräsent ist. Kinder stehen dabei nicht nur häufig hinter dem Tresen, sie verrichten teilweise auch schwere Arbeiten – am hellichten Tag und in aller Öffentlichkeit, ohne dass Polizei oder Ordnungsamt eingriffen.

Auch das Justizwesen ist ein potemkinsches Dorf. Wer vor Gericht zieht, um sein Recht zu bekommen, wird rasch die Erfahrung machen, dass derjenige als Sieger aus dem Verfahren hervorgeht, der am besten zu bestechen weiss. Hierbei geht es nicht nur um die Höhe der Summe für Richter und Staatsanwälte, auch Zeugen wollen gekauft sein. Es gibt sogar professionelle Zeugen, die ihr Einkommen auf diese Weise bestreiten. Das alles sind nicht jedoch nicht spezifische Missstände eines bestimmten Regimes wie dem syrischen, sondern hat eine lange Tradition.

Willkür statt Rechtsstaatlichkeit war schon in osmanischer Zeit Normalzustand – trotz der Versuche, einen funktionierenden Verfassungsstaat zu errichten. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der britische Konsul von Aleppo, James H. Skene, mit seinem französischen Kollegen und dem Segen des Sultans versuchte, ein Handelsgericht für Streitigkeiten, in denen Euroäer involviert waren, einzurichten, musste das Vorhaben bereits nach einem Jahr für gescheitert erklärt werden. Grund war der Umstand, dass die neue Institution es nicht vermochte, sich den nötigen Respekt zu verschaffen. (Auch dies kann, wer will, detailliert in meinem Buch “Das Ende des levantinischen Zeitalters” nachlesen und zwar in den Kap. “Mit und gegen den Staat”, bzw. “Gescheiterter Rechtstaat”, S. 84 ff.)

(Forts. folgt. – Hier geht’s zum ersten Teil.)

 

Die Quellen des Historikers

Ausgehend von der Besprechung des Buches “Die Araber und der Holocaust” von Gilbert Achcar habe ich mir eimal die auf der Webseite des Verlages verfügbare Leseprobe angeschaut, wo ich über folgende Aussage im Vorwort gestolpert bin:

Wo immer mir gute Sekundärquellen nicht zugänglich waren, habe ich Primärquellen genutzt.

Nun gut, für ein endgültiges Urteil über das Buch, das ich nicht gelesen habe, reicht es nicht. Dennoch stellt sich die Frage, ob der Autor weiss, was er da tut.

[Aus dem Archiv,]

Orient mit Zuckerguss

Manche Mythen sterben nie. Denn wenn es darum geht, was Europa nicht alles dem Islam zu verdanken habe, dann wird gerne dick aufgetischt: Wie tolerant Andalusien war, wie wegweisend die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen, und wie verhängnisvoll Kreuzzüge und Kolonialismus.

Da will auch der Nahosterklärer Michael Lüders nicht zurückstehen und so darf er in der “Zeit” noch einmal all das auftischen, was trotz Wiederholung beim besten Willen nicht richtiger wird. Lüders glaubt:

Durch Übersetzungen aus dem Griechischen ins Arabische und schließlich ins Lateinische fand damals auch das Wissen der griechischen Antike wieder Eingang in die westliche Kultur. Es wäre sonst wohl zu großen Teilen verloren gegangen und in Vergessenheit geraten.

In Wirklichkeit hat sich das Wissen auch über die Römer und die lateinische Sprache, sowie über die Bewahrung der byzantinischen Handschriftenschätze, die für die Renaissance so bedeutsam wurden, nach Europa verbreitet, worauf der Gräkoarabist Gotthard Strohmaier schon vor vielen Jahren hingewiesen hat. “Wohlmeinende Europäer”, so Strohmaier weiter, stünden vielen muslimischen intellektuellen gerne in ihrem Stolz bei, zur Vermittlung des griechischen Erbes nach Europa beigetragen zu haben, wobei sie allerdings die Wirkung der mittelalterlichen Rezeption aus dem Arabischen überschätzen.

Überdies war die europäische Rezeption etwa der Aristoteleskommentare des Averroes nicht einfach nur eine blinde Übernahme, sondern musste erst auf fruchtbaren Boden fallen, um ihre Wirkung tun zu können – etwas, das in der islamischen Welt in dieser Form offenbar nicht vorhanden war. Strohmaier[1]:

Der relativ schnelle Aufstieg Westeuropas, des Landes der Franken, beruht auf politischen und sozialen Konstellationen, an denen der Islam unbeteiligt war, und in diesem Punkt verdanken wir ihm nichts.

Was den Mythos vom Gelehrtenparadies Andalusien betrifft, lassen wir einfach Hans-Rudolf Singer sprechen[2]:

“Sowohl die Übertragung arabischer Wissenschaft, die auf der Grundlage des griechischen Erbes gediehen und ausgebaut worden war, als auch die Einflüsse arabischer Literatur auf das europäische Mittelalter vollzogen sich allein an Gebieten und Orten, die der islamischen Herrschaft entrissen worden waren und christlichen Fürsten unterstanden.”

Strohmaier und Singer sind übrigens alles andere als Aussenseiter der Wissenschaft; Singers Beitrag findet sich in einem Sammelband, der zur Elementarliteratur aller Studenten der Arabistik gehört. Diese wunderbaren Geschichten von der arabischen Wissensvermittlung und dem Gelehrtenaustausch in Andalusien hat natürlich einen wahren Kern, er wurde aber vor allem im 19. Jahrhundert idealistisch erhöht. Im Falle Andalusiens ist dies nicht zuletzt einem marrokanischen Historiographen namens al-Maqqarī zu verdanken, der im 17. Jahrhundert ein enzyklopädisches Werk über Andalusien verfasst hatte, das in Vergessenheit geriet, bis Europäer es wiederentdeckten. Der arabische Text selbst wurde erstmalig zwischen 1855 und 1861 in Leiden gedruckt, später fand er mit einer türkischen Übersetzung auch von muslimischer Seite Interesse.[3]

Man könnte noch einiges hinzufügen zu Lüders Orientbild, doch wollen wir es dabei belassen. Viel interessanter ist die Frage, warum solche ollen Kamellen immer und immer wieder vorgetragen werden und das jedesmal auch noch mit dem Gestus des Aufklärers. Die Antwort liegt in einem Paradoxon: Denn obwohl der Islam grosses Modethema geworden ist, mit dem sich mittlerweile Heerscharen von Geisteswissenschaftlern und Journalisten beschäftigen, haben die wenigsten ein echtes Interesse an ihm.

Denn für viele, die heutzutage Vorträge über den Islam halten oder Aufsätze wie Lüders schreiben, geht es nicht um die Vermittlung von Erkenntnis, sondern um die eigene Rolle als Brückenbauer und Kulturvermittler. Und da eine Brücke zu bauen nur dort Sinn macht, wo eine Schlucht ist (eine Schlucht des Missverständnisses!), und Kulturen nur dort vermittelt werden können, wo Unwissenheit und Vorurteil herrschen, werden Unwissen, falsches Wissen und Vorurteil immer vorausgesetzt, um sich vor diesem Hintergrund als Aufklärer erst glaubhaft und wirkungsvoll präsentieren können. Und das ist das ganze Elend.

  1. Gotthard Strohmaier, Was Europa dem Islam verdankt, in: (ders.), Hellas im Islam, Interdisziplinäre Studien zur Ikonographie, Wissenschaft und Religionsgeschichte, Wiesbaden 2003, 1-27, hier 25-6.
  2. Hans-Rudolf Singer, Der Maghreb und Die Pyrenäenhalbinsel bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Geschichte der arabischen Welt, hgg. von Ulrich Haarman und Heinz Halm, München 2004, 265-322, hier 293.
  3. Bernard Lewis, History. Remembered, Recovered, Invented, Princeton 1975, 72-4; Ralf Elger, Selbstdarstellungen aus Bilâd ash-Shâm. Überlegungen zur Innovation in der arabischen autobiographischen Literatur im 16. und 17. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift, Beiheft 35/2003, 123-37, hier 128-9.

Erotisis, apantisis

Griechische Fragen stellt Hannes Stein auf der “Achse des Guten”. Ein paar Gedanken von mir im folgenden.

War es richtig oder falsch, dass das demokratische Großbritannien sich 1940 mit Ioannis Metaxas gegen Mussolini und Hitler verbündete?

Metaxas und der griechische König Georg hatten zwar schon 1936 verkündet, dass sie im Falle eines Konfliktes auf britischer Seite stünden, doch weder blieb dem britischen Foreign Office Metaxas’ Avancen den Deutschen gegenüber verborgen, noch billigte man seine faschistischen Anwandlungen. Auf britischer Seite jedoch sah man keine Alternative zur Diktatur, nahm dies aber hin, solange Metaxas nur Premierminister von des Königs Gnaden war und man sich der Loyalität des griechischen Königs sicher zu sein können glaubte.

Georg II. schien anfangs offen für eine britische Kritik an der repressiven Politik Metaxas’, stellte sich dann jedoch entschlossen auf dessen Seite: Da Griechenland kein westliches Land und die Griechen Orientalen seien[1], würde jeder gemässigte Kurs nur als Schwäche verstanden. Gegenüber dem Präsidenten des British Council, Lord Lloyd, machte der König deutlich, dass er Metaxas für den einzigen halte, dem er die Führung des Landes zutraue.

Grossbritannien war bereit, Griechenland vor einem italienischen Vordringen zu unterstützen, vermied es jedoch, eine Garantieerklärung abzugeben, was von italienischer Seite als Provokation hätte verstanden werden können. Im Foreign Office fürchtete man offenbar die Gefahr eines Landkriegs. Das faschistische Italien sollte besiegt, Griechenland aber nicht um jeden Preis gehalten werden. Sowohl gegenüber Griechenland als auch gegenüber Rumänien liess sich Grossbritannien daher nicht zu mehr als einer vagen Absichtserklärung hinreissen, im Falle eines Angriffs Unterstützung zu leisten.

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Truman-Statue, Athen

Das britische Verhalten lässt sich durchaus rechtfertigen, zumal es, wenngleich zaghafte, Versuche gab, die Faschisierung der griechischen Gesellschaft[2] aufzuhalten. Allein, es war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Kurswechsel: Fortgesetzte Provokationen von italienischer Seite, darunter die Torpedierung des griechischen Kreuzers “Elli”, führten dazu, dass die griechische Bevölkerung sich mit Metaxas solidarisierte.

Mussolini versuchte zwar, Griechenland zu beschwichtigen. Nur zwei Monate nach der Attacke auf die “Elli” liess er jedoch durch seinen Botschafter Grazzi dem griechischen Premier Metaxas ein Ultimatum aushändigen, Italien zu dessen Sicherheit einige Stützpunkte auf griechischem Territorium zu überlassen. Metaxas’ Nein (”Ochi”) geht in die Geschichte ein.

Wenn man Grossbritannien etwas vorwerfen kann (rückblickend lässt sich das natürlich immer leicht sagen), dann die Tatsache, dass es nicht entschlossen genug Griechenland unterstützt hat: Das italienische Vordringen bildete nämlich nur den Auftakt zur Besetzungdes Landes durch Nazideutschland (das Metaxas nicht mehr miterlebte, da er kurz zuvor verstarb). Dessen Herrschaft kostete 86% der griechischen Juden das Leben, davon 54.000 Juden aus Thessaloniki. Die Bevölkerungszahl vor der Nazizeit betrug 77.377, danach 10.226.

Weiter wird gefragt:

Was ist der Unterschied zwischen der Unterstützung für Metaxas und der Unterstützung (zumindest Duldung, Billigung) der griechischen Junta durch die Amerikaner zwischen 1967 und 1974, für die Bill Clinton später um Entschuldigung bat?

Man könnte argumentieren, dass zur Zeit der griechischen Junta Griechenlands Souveränität nicht bedroht war. Dass der Junta-Chef Papadopoulos mit dem CIA in Verbindung stand, dürfte allerdings nur die halbe Wahrheit für die Toleranzpolitik der USA gegenüber dem Regime sein. Auch das Nachwirken der Truman-Doktrin hat sicherlich eine Rolle gespielt.

Die Unterstützung für die Junta lässt sich jedoch weitaus geringer rechtfertigen als die für Metaxas. Eine kommunistische Übernahme hätte jedenfalls kaum einen neuen Holocaust zur Folge gehabt. Hinzu kommt, dass die griechische Junta mit ihrer Zypernpolitik eine türkische Invasion geradezu provoziert hatte: So liess sie durch die EOKA-B, eine faschistische Miliz, einen Anschlag auf den griechisch-zypriotischen Ministerpräsidenten Makarios verüben und versuchte dann, den Kopf der EOKA-B, Nikos Sampson, an dessen Stelle zu setzen. Auch Anschläge auf türkisch-zypriotische Zivilisten konnte die Türkei nicht hinnehmen. Es kam zur Invasion.

Wie gross die Unterstützung der USA für die Junta war, lässt sich schwer sagen. Der ehemalige, durchaus graecophile US-Botschafter in Athen, John Brady Kiesling, der wegen der Kritik an der Irakpolitik seines Landes zurücktrat, hielt die Unterstützung, soweit ich mich erinnere (Quelle gerade nicht zur Hand), wohl für eher gering. Es scheint sich im wesentlichen um einen Austausch geheimdienstlicher Informationen gehandelt zu haben. Der heutige griechische Antiamerikanismus ist jedenfalls älteren Ursprungs.

Welche Lehren lassen sich daraus für Afghanistan ziehen? Wenn die Wahl zwischen einer Militärdiktatur und einem Taliban-Staat besteht, dann spielt man beide gegeneinander aus und setzt sich in die Position des lachenden Dritten. So ähnlich hat ein anderer grosser Grieche schon einmal einen verwickelten Knoten gelöst.

Das Bild zeigt die Truman-Statue in Athen. Foto: Michael Kreutz.

 

  1. Sic! Auch das britische Foreign Office sah das so, vgl. Dan Diner, Zweierlei Osten. Europa zwischen Westen, Byzanz und Islam, in: Otto Kallscheuer, Hg., Das Europa der Religionen. Ein Kontinent zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus, Frankfurt a.M. 1996, S. 97–113.
  2. Rafailidis in seinem Buch Ιστορία (κωμικοτραγική) του νεοελληνικού κράτους, Athen 1993, S. 138, spricht davon, dass Metaxas Mussolini und Hitler nachgeahmt habe. Konzentrationslager jedenfalls gab es unter Metaxas keine.

 

[Aus dem Archiv.]

Im Irrgarten der Antiglobalisierer

Neues von der Ikone der Antiglobalisierungsbewegung, Naomi Klein: In einem Beitrag für “The Nation” schlägt sie wieder gedankliche Kapriolen der besonderen Art. Diesmal geht es um die Anschläge von London. Wer jetzt erwartet, dass Frau Klein die tiefere Ursache in der Irak-Kampagne vermutet, wird enttäuscht. So originell ist sie doch, dass sie dem Leser eine ganz besondere Erklärung bietet. Schuld am islamistisch motivierten Terrorismus ist jetzt also der britische, resp. westliche, Rassismus:

Hussain Osman, one of the men alleged to have participated in London’s failed bombings on July 21, recently told Italian investigators that they prepared for the attacks by watching “films on the war in Iraq,” La Repubblica reported. “Especially those where women and children were being killed and exterminated by British and American soldiers of widows, mothers and daughters that cry.”

Man wundert sich: Filmmaterial, das zeigt, wie britische und amerikanischer Soldaten weinende Frauen und Kinder töten, und ja: auslöschen (exterminate). Ein filmisch dokumentierter Massenmord an Zivilisten also. Warum niemand im Westen derartiges Filmmaterial zu Gesicht bekommen hat? Nun, das weiss Frau Klein sicher ebensowenig wie ihre Leser, aber da die Information von einem Terroristen stammt, hält sie sie für glaubwürdig.

Was Frau Klein offenbar nicht weiss, ist, dass mit Filmen, die Kriegsgrausamkeiten zeigen, eine regelrechte Gehirnwäsche betrieben wird, um potentielle Attentäter der islamistischen Szene aufzustacheln und für Anschläge gefügig zu machen. (Quellen hier und hier.)

Osman’s comments suggest that what propelled at least some of the bombers was rage at what they saw as extreme racism. And what else can we call the belief–so prevalent we barely notice it–that American and European lives are worth more than the lives of Arabs and Muslims, so much more that their deaths in Iraq are not even counted?

Geheuchelte Empörung. Die amerikanischen Streitkräfte mögen vielleicht die Toten im Irak nicht zählen, aber 1. dürften die meisten seit dem Sturz des Hussein-Regimes ohnehin auf das Konto der Terroristen gehen, und 2. lässt sich daraus kein allgemeines Desinteresse der westlichen Welt an den Opfern der Gewalt im Irak folgern. Wird denn nicht jeder Anschlag in den westlichen Medien gemeldet, und zwar samt Zahl der Opfer? Weiss Frau Klein das nicht auch? Wie mag sie sich dagegen wohl erklären, dass so manches ausgehobene Massengrab aus der Zeit Saddam Husseins keine Erwähnung in den westlichen Medien gefunden hat? Vielleicht, weil Todesopfer oft nur dann interessant sind, wenn die Amerikaner sie zu verschulden haben? Man fragt sich.

It’s not the first time that this kind of raw inequality has bred extremism. Sayyid Qutb, the Egyptian writer generally viewed as the intellectual architect of radical political Islam, had his ideological epiphany while studying in the United States. The puritanical scholar was shocked by Colorado’s licentious women, it’s true, but more significant was Qutb’s encounter with what he later described as America’s “evil and fanatic racial discrimination.”

Einer der von mir geschätzten Vorzüge der westlichen Welt ist es, dass sie – bei allen Fehlern – zu Selbstreflexion und Verbesserung aus eigenem Antrieb fähig ist. Auch die USA sind heute nicht mehr das, was sie noch vor einem halben Jahrhundert waren. Und wie steht es mit dem Fortschritt in grossen Teilen der islamischen Welt?

By coincidence, Qutb arrived in the United States in 1948, the year of the creation of the State of Israel. He witnessed an America blind to the thousands of Palestinians being made permanent refugees by the Zionist project. For Qutb, it wasn’t politics, it was an assault on his identity: Clearly Americans believed that Arab lives were worth far less than those of European Jews.

Flüchtlinge gibt es für die Qutbs und Kleins nämlich nur, wenn Zionisten damit zu tun haben. Dass die arabischen Nachbarstaaten Israels die eigentlichen Verursacher des palästinensischen Flüchtlingsproblems sind, interessiert Naomi Klein dagegen nicht im geringsten. Das führt Frau Klein zu einer überraschenden Schlussfolgerung:

In other words, so-called Islamist terrorism was “home grown” in the West long before the July 7 attacks–from its inception it was the quintessentially modern progeny of Colorado’s casual racism and Cairo’s concentration camps.

Naomi Kleins Irrationalismus ist ohne Mass: Die Schuld an allem trägt der Westen, auch wenn Qutb die Erfahrung der Folter, die doch sein Denken so nachhaltig beeinflussen sollte, in Ägypten gemacht hatte. Und NUR in Ägypten. Einen Bogen in die Gegenwart schlagend, konstruiert die Autorin eine gewagte Gedankenkette bis zu den islamistischen Gewalttaten der jüngsten Zeit. In einer bildreichen Sprache zeichnet sie ein wahres Armageddon auf einem globalen Schlachtfeld. Ihre Schlussfolgerung kann man nicht anders als pathetisch nennen:

As Qutb’s past and Osman’s present reveal, it’s not our tolerance for multiculturalism that fuels terrorism; it’s our tolerance for the barbarism committed in our name.

Die intellektuelle Dürftigkeit der Antiglobalisierungsbewegung ist wahrlich nichts neues. Wie sehr die Abwesenheit von folgerichtigem Denken in einen vakuumfüllenden Fanatismus zur Schau getragener Empörung mündet, die sich aus der kritiklosen Übernahme islamofaschistischer Denkfiguren speist, das zeigt Naomi Kleins Beispiel auf erschreckende Weise.

[Aus dem Archiv. Überarbeitet. Ersterscheinungsdatum genähert.]

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