Ich bin ja immer für Fairplay, weswegen ich die Linkspartei als demokratische Partei verteidigt habe. Aber mittlerweile lässt sich nicht übersehen, dass Positionen nahe am Extremistischen die Partei erobert haben. Das betrifft nicht nur Leute wie Dagdelen, Höger und Wagenknecht, auch die Führungsspitze ist nicht frei davon.
Ginge es nämlich nach Katja Kipping, müsste sich der einzelne grundsätzlich für den Besitz von Eigentum rechtfertigen. Monatseinkommen über 40.000 Euro sollen nach Kipping zu 100% besteuert werden – und zwar mit der aberwitzigen Begründung, dass es ab dieser Grenze “kein Mehr an Lebensgenuss” gebe. Das ist hunderprozentiges DDR-Denken. In Wahrheit geht es Sie, liebe Frau Kipping, pardon, einen feuchten Kehricht an, ob jemand Lebensgenuss angesichts seines Einkommens empfindet oder ob die Besitzer von Stretchlimousinen etwas kompensieren wollen.
Der amerikanische (linke!) Intellektuelle Fareed Zakaria hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das, was die westliche politische Kultur ausmache, nicht einfach nur Demokratie ist, sondern der konstitutionelle Liberalismus, soll heissen: von der Verfassung garantierte Freiheit. Man nennt das auch Rechtsstaat. Nun will der Rechtsstaat, der auch den Besitz von Privateigentum garantiert, finanziert werden. Wofür und wieviel wir dafür an Steuern zahlen, wird im demokratischen Prozess immer wieder aufs Neue ausgehandelt. Das ist mit den Vorstellungen von Frau Kipping eindeutig nicht vereinbar.
Von dem zweiten Chef der Linkspartei stammt die jüngst geäusserte, nicht minder gefährliche Idee, deutschen Unternehmern, die nicht bereit sind, den vollen Steuersatz zu zahlen, gegebenenfalls die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Hierbei soll ausgerechnet Amerika – das Mutterland des Kapitalismus, natürlich – Pate gestanden haben, tatsächlich ist es aber so, dass die US-Steuerbehörde IRS auch von im Ausland lebenden Staatsbürgern Steuern erhebt, selbst wenn diese ihr Vermögen im Land, in dem sie ihren Wohnsitz haben, bereits versteuert haben. Riexinger gibt hier einen Sachverhalt falsch wieder, um zu einer Auffassung zu gelangen, die zuvor schon ausgerechnet Nicolas Sarkozy vertreten hatte – welche Ironie!
Diese Vorschläge mögen sich nicht durchsetzen, aber sie fallen in eine Zeit der Krise, in der eine Kakophonie von Stimmen (z.B. des Journalisten Robert Misik) gegen Privateigentum und Eigeninitiative laut wird und die Freiheit von Sicherheit oder Gleichheit abhängig machen will. Damit wird der Boden bereitet für Massnahmen, die den Bürger nur noch weiter entmündigen. Wie sagte doch Isaiah Berlin, der grosse Streiter für die Freiheit: “Democracy may disarm a given oligarchy, a given privileged individual or set of individuals, but it can still crush individuals as mercilessly as any previous ruler.”
Auch wenn die angelsächsische politische Philosophie nicht frei ist von Einwänden gegen das Privateigentum, gibt es doch einen deutlichen Unterschied zum hegelianisch geprägten Denken in Deutschland. In England war der Besitzindividualismus wohl schon im 17. Jahrhundert voll entwickelt und die meisten Kirchenleute rechtfertigten die Existenz von Privateigentum unter Verweis auf das Naturrecht. Mehr noch als die englische sah die schottische Aufklärung die Freiheit als Ergebnis von Handel und Recht, so bei Hume und Smith.
Im deutschen Kontext fällt mir nur ein Philosoph der Aufklärung ein, der den zentralen Zusammenhang von Freiheit und privatem Eigentum erkannt hat, nämlich August Ludwig Schlözer. Vielleicht sollte man sich in der Finanzkrise einmal auf die guten Traditionen freiheitlichen Denkens besinnen, die in Deutschland nicht allzu zahlreich sind.
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Siehe auch:
- Zweierlei Demokratieverständnis, 22.Dezember 2005,
- Die Geburt Amerikas, 1. Mai 2006,
- Vernunft, Freiheit, Verfassung und Religion in den USA, 23. April 2007,
- Vorwärts in die Nachhaltigkeit, 21. Mai 2011,
- Dienst am Volk, 9. Dezember 2011,
- Wirtschaft ohne Wachstum, 14. Februar 2012,
- Aderlass, 7. August 2012.