Die prorussische Propaganda flutet die sozialen Medien. Irgendetwas bleibt immer hängen, die blosse Masse der Falschbehauptungen, Verzerrungen und Fabrikationen sorgt immer wieder für Dammbrüche in der Medienwelt. Aktuell macht ein Video die Runde, in dem der vormalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett über seine Mittlerrolle im Ukrainekrieg spricht. Sahra Wagenknecht von der Linkspartei verzerrt dessen Aussagen, um Stimmung gegen die NATO zu machen.
Der Vorstoss, einen Kontakt mit Putin herzustellen, ging nicht von einer dritten Partei, sondern von Selenskyj aus. Es war Selenskyj, der sich an Bennett wandte, der wiederum seine Mittlerrolle mit Biden (USA), Macron (Frankreich), Johnson (Grossbritannien) und Scholz absprach. Tatsächlich schaffte er es, Putin das Angebot eines Waffenstillstands abzuringen, sowie das Versprechen, Selenskyj nicht zu töten.
Mittlerweile war der Krieg seit etwa zwei Wochen im Gange. Die von Putin bis dahin geforderte „Denazifizierung“ der Ukraine, das macht Bennett deutlich, war nie mehr als eine Chiffre für die Tötung des ukrainischen Präsidenten. Selenskyj wiederum lehnte eine Entwaffnung der Ukraine zwar ab, bot jedoch im Gegenzug dafür an, auf eine NATO-Mitgliedschaft zu verzichten. Das sah nach einem grossen Fortschritt auf beiden Seiten aus.
Damit blieben nur noch zwei Hindernisse zu bewältigen, die beide jedoch immens waren: Das eine betraf die Zukunft der von Russland beanspruchten ukrainischen Territorien, das andere die Sicherheit der Ukraine. Selenskyj machte für einen Waffenstillstand mit Russland zur Voraussetzung, dass es zuvor Sicherheitsgarantien seitens der USA, Frankreichs und anderer einflussreicher Drittstaaten erhalte. Hier zeigte sich erstmals die russische Verweigerung, eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Denn die russische Seite erklärte Sicherheitsgarantien durch Drittstaaten für ein De-facto-Bündnis. Bennett jedoch war sich bewusst, dass die Bedingung schon deshalb unsinnig war (זה לא כל כך הגיוני), weil die Ukraine die angestrebten Sicherheitsgarantien kaum würde bekommen können, müssten diese doch auf unbestimmte Zeit abgegeben werden. Wer sollte sich dafür verpflichten wollen?
„Wolodymyr“, sagte Bennett, „das wird nicht geschehen. Du wirst keine Garantien bekommen, warum verhandelst du?“ (וולודימיר, זו לא יקרה, אתה לא תקבל ערבויות, אז למה אתה נושא ונותן?) Bennett schlug daher nach eigenen Angaben etwas vor, was er das „israelische Modell“ nannte: Sich nicht auf andere verlassen, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Ganz in diesem Sinne solle auch die Ukraine in den Stand versetzt werden, sich gegen einen möglichen Aggressor, also Russland, zu verteidigen.
Russland signalisierte sogar Einverständnis, obgleich dies die Aufrüstung der Ukraine bedeutet hätte. Wenn dieses Einlenken echt war, dann nur deshalb, weil Russland sich davon eine Abspaltung des Donbass und eine Legitimierung seiner Gebietsansprüche versprochen hätte. Dies war das zweite Hindernis, das es zu bewältigen galt. Doch soweit sollte es nicht kommen.
Bennett nämlich war klar, dass die Zeit gegen die Beteiligten spielt und erinnerte an Qana, das libanesische Dorf, das im 2. Libanonkrieg von 2006 von Israel beschossen wurde, womit seinerseits sämtliche Vorbereitungen für einen Waffenstillstand zunichte gemacht wurden. Sollte es im laufenden Krieg Russlands gegen die Ukraine ein ukrainisches Qana geben, dann wäre alle Verständigung dahin.
Butscha wurde das ukrainische Qana.
Bennett wusste, dass es seit Butscha mit einem Waffenstillstand vorbei war. Bis dahin hatte er dessen Chancen auf 50/50 geschätzt. Was Bennett hier schildert, ist nun genau das Gegenteil von dem, was die Politpopulistin Sahra Wagenknecht daraus macht, die sich auf Bennett bezieht, wenn sie der NATO die Schuld daran gibt, dass es zu keinem Waffenstillstand kam. Den Ausschnitt aus dem Gespräch mit Bennett bricht sie in dem Moment ab, wo dieser davon spricht, dass die USA, Deutschland und Frankreich alle weiteren Annäherungen blockiert haben.
Wagenknecht verschweigt, dass Bennett sein Urteil aber dahingehend einschränkt, sich im Nachhinein nicht sicher zu sein, ob diese Blockade richtig oder falsch war. Er betont, dass seine Rolle die israelischen Interessen nicht betreffe und er als Vermittler sich jeder Parteinahme zu enthalten habe. Vielleicht wäre ein Waffenstillstand möglich gewesen, resümiert Bennett, er wolle aber nicht behaupten, dass ein solcher das richtige gewesen wäre. (אני טוען שבסבירות לא רעה אפשר היה להגיע, אם הם לא חודלים. לא בטוח. אבל אני לא טוען שזה היא נכון.)
Im Gespräch gibt er seinem Gastgeber recht, dass ein Waffenstillstand eine falsche Botschaft an andere Länder hätte senden können. Vorher schon waren die Namen China und Taiwan gefallen, sie mussten daher nicht wiederholt werden.
Wagenknecht verkauft ihr Publikum zusätzlich für dumm, wenn sie behauptet, die Bereitschaft Russlands zu verhandeln sei daran zu erkennen, dass immer wieder Abkommen erzielt wurden, an die Russland sich gehalten habe. Gemeint sind Vereinbarungen wie die über Weizenlieferungen aus der Ukraine an Drittstaaten. Wagenknecht verschweigt, dass keines dieser Abkommen die russischen Kriegsziele auch nur im geringsten berührt.
Das „Manifest für den Frieden“, das Sahra Wagenknecht mit Alice Schwarzer initiiert hat, bedeutet die Auslieferung der Ukrainer in die Hände ihrer russischen Aggressoren zur Erleichterung des deutschen Gewissens. Einer aktuellen Umfrage zufolge wird das Manifest von einer relativen Mehrheit von 39% der Deutschen unterstützt. Die stärksten Befürworter sind mit je 67 Prozent Wähler von – Linkspartei und AfD. Deutschland ist Querfrontland.
Nachtrag 25. Februar 2023
Gegen die Wagenknecht’sche „Friedensdemo“ in Berlin hat das polnische Pilecki-Institut unter dem Titel „Falscher Frieden, echter Genozid“ eine mit starken historischen Argumenten untermauerte Stellungnahme formuliert. Darin heisst es abschliessend: „Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt würden de facto zu einem russischen Terrorregime auf weiten Teilen des ukrainischen Territoriums führen. Massengräber in den von der Ukraine zurückeroberten Städten sowie Genozidverherrlichung im russischen Staatsfernsehen und in Putins eigenen Reden lassen keinen anderen Schluss zu.“
Auf derselben Linie argumentiert auch der Publizist Michael Wolffsohn in der „Jüdischen Allgemeinen“.
Die taz berichtet von der „Friedensdemo“: „Es hat den Anschein als bildet die verschwörungsideologische „Querdenken“-Bewegung hier den Kitt zwischen Rechtsextremen, Resten der traditionellen Friedensbewegung und einer antiimperialistischen Linken auf Abwegen.“
„Heute ist der Antiamerikanismus die Klammer, die sie alle verbindet“ resümiert unter dem Titel „Die Querfront steht“ ein Kommentar von Olaf Sundermeyer auf rbb24 anlässlich der „Friedensdemo“.