Fraglos ist es eine Schande, dass Flüchtlingsheime in Deutschland massenhaft abgefackelt werden – mehr als einhundert allein im vergangenen Jahr. Ist Deutschland rassistischer, der Rechtsextremismus mehrheitsfähig geworden?
Eine Studie der Uni Leipzig versucht das zu beantworten. Ein erstes Fazit lautet: „Hinsichtlich der Verbreitung der klassischen Einstellungen, die Rechtsextremismus charakterisieren, fällt die Steigerung von Vorurteilen nur geringfügig aus. … Die rechtsextrem Eingestellten werden zum politischen Subjekt, das nicht nur mit Macht die Ideologie der Ungleichwertigkeit enttabuisiert, sondern auch die gewaltvolle Durchsetzung ihrer Interessen für legitim hält.“
Das klingt irgendwie verquer. Der Rechtsextremismus hat sich kaum verbreitert, wird aber zunehmen enttabuisiert? Wie geht das zusammen? Schauen wir auf die Zahlen im zeitlichen Vergleich: Der Studie zufolge hingen 2002 noch 7,7 Prozent der Gesamtbevölkerung einer rechtsextremen Weltsicht an, 2016 ist dieser Wert auf 5 Prozent gesunken. Gesunken sind im selben Zeitraum u.a. auch die Zustimmung zum „Chauvinismus“, nämlich von 18,3 auf 16,7 Prozent, zur Ausländerfeindlichkeit (von 26,9 auf 20,4 Prozent) und zum Antisemitismus (von 9,3 auf 4,8 Prozent).
Hat auch irgendein Ressentiment zugenommen? Laut der Studie gilt das für die „Islamfeindschaft“, die hier nicht genauer definiert wird. Wenn aber 41,4 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“, dann ist das in der Tat bedenklich. Andererseits lässt dieses Ressentiment nicht zwingend die Schlussfolgerung zu, hier sei völkisches Denken auf dem Vormarsch, solange Einwanderung von der Mehrheitsbevölkerung generell nicht infrage gestellt wird.
Auch finden z.B. die islamfeindlichen Ziele von Pegida ausser bei den Anhängern der AfD in den demokratischen Parteien nur zu maximal 18,4 Zustimmung. Die Studie verortet „Islamfeindschaft“ denn auch hauptsächlich im sog. „latent antisemitisch-autoritären Milieu“, dem 2006 noch 12,8 Prozent der Bevölkerung angehörten, 2016 aber nurmehr 8,3 Prozent. In diesem geschrumpften Milieu sind es dann 91,4 Prozent, die Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen wollen. Die Studie sagt explizit: „Wir haben es also in Deutschland mit einer großen Gruppe zu tun, die die Ziele von Pegida überhaupt nicht befürwortet, und mit einer kleineren, die diese Ziele vollkommen teilt.“
Es gibt in Deutschland folglich eine starke Polarisierung in Bezug auf den Islam. Der Titel der Studie „Enthemmte Mitte“ ist jedoch offensichtlich überzeichnet.
Nachtrag 4. September 2020
Der „Populismus-Monitor“ der Bertelsmann-Stiftung attestiert der AfD, deren Wählerschaft mehrheitlich latent oder manifest rechtsextrem ist, trotz Einzugs in den Bundestag eine allgemein geringe Popularität: „Mit 71 Prozent Ablehnung unter allen deutschen Wählern liegt ihre negative Parteiidentität fast auf dem Niveau vom März 2017. Sechs Monate später gelang ihr bei der Bundestagswahl 2017 erstmals der Einzug in
den Bundestag. Dennoch führten die parlamentarische Etablierung und Präsenz der AfD nicht zu einer Verbesserung ihrer Ablehnungswerte.“ Eine Radikalisierung findet nur innerhalb der AfD-Blase statt: „… je stärker der Populismus abflaut, sowie populistische Wähler aus der Mitte zu den etablierten Parteien zurückkehren, umso dominanter werden unter den AfD Wählern die rechtsextremen Einstellungen.“ (S. 6) Zugleich seien populistische Einstellungen stark rückläufig, vieles deute auf eine Trendumkehr hin. (S. 8)
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