Dugins Welt, Putins Politik

Von Aleksandr Dugin, dem russischen Vordenker eines expliziten Antiliberalismus, heisst es zwar, er sei kein Hofideologe des Kreml, doch Putins aussenpolitische Ambitionen deuten eher auf das Gegenteil hin. Dugin nรคmlich, der publizistisch sehr aktiv ist und politisch von ganz links bis nach ganz rechts wechselte, ruft schon seit Jahren zum Krieg gegen die Ukraine auf.

โ€žTsar Nicholas II of Russiaโ€œ von Rijksmuseum/ CC0 1.0

Um ihn zu verstehen, braucht man nur zur Kenntnis zu nehmen, was Dugin in den letzten Tagen auf VK, dem russischen Facebook, von sich gegeben hat. In einem Eintrag vom 27. Februar schreibt er, dass der aktuelle Krieg nicht gegen die Ukraine gerichtet sei, sondern gegen den weltweiten Globalismus. Unter «Globalismus» verstehen Rechtsextreme alle Arten supranationaler Organisationen wie EU, NATO oder UN und eine Politik der durchlรคssigen Grenzen.

Fรผr Dugin ist der Krieg gegen die Ukraine kein Krieg eines Staates gegen einen anderen Staat, sondern einer der russischen Zivilisation gegen die anti-russische

Fรผr Dugin ist Globalismus gleichbedeutend mit der Vorherrschaft der atlantischen Mรคchte, mit Liberalismus, dem Kampf gegen die Tradition und dem «Great Reset». Die europรคischen Staatslenker sieht er allesamt als Teil einer atlantizistischen Elite, wohingegen Russland versuche, seine eigene Zivilisation zu erschaffen. Fรผr eine eigene Zivilisation bedรผrfe es jedoch eines gewaltigen Raumes, der einen ganzen Kontinent umfasst.

Fรผr Dugin ist Russland ein Staatskontinent (ะณะพััƒะดะฐั€ัั‚ะฒะพ-ะบะพะฝั‚ะธะฝะตะฝั‚) bzw. eine Staatszivilisation (ะณะพััƒะดะฐั€ัั‚ะฒะพ-ั†ะธะฒะธะปะธะทะฐั†ะธั), die darauf aus sei, ein Reich des globalen Widerstandes zu werden. Am Ende soll eine wahrhaft multipolare Welt stehen. Dugin selbst, der im Westen als Rechtsextremist gilt, ordnet dieses Projekt keiner gรคngigen politischen Richtung zu, sondern beschreibt es als eines, das Linken wie Rechten offenstehe, sofern sie sich nur dem Kampf gegen den Globalismus verschrieben.

In einem Eintrag vom 2. Mรคrz fรผhrt Dugin aus, dass Russland, indem es eine eigene Zivilisation darstelle, kein Nationalstaat sein kรถnne. Nationalismus sei Russland vollkommen fremd. Nationalismus sei etwas Kรผnstliches und nur die Kehrseite des Liberalismus. Daher sei der Angriff auf die Ukraine โ€“ Dugin spricht von «militarischer Operation» โ€“ auch kein Krieg eines Staates gegen einen anderen, sondern einer der russischen Zivilisation gegen die antirussische.

In einem weiteren Eintrag vom 3. Mรคrz spricht Dugin von Russlands Opferrolle. Fรผr ihn ist Russland eine Grossmacht, die vom Westen attackiert wird, wรคhrend die Ukraine ein Staat sei, der in der bestehenden Form seit dem Untergang der Sowjetunion nicht weiterbestehen kรถnne. Russland selbst sei nicht einfach ein weiterer europรคischer Staat, weshalb es dem Westen auch nie gelungen sei, dort ein extremistisch-liberales Nazi-Regime (ัะบัั‚ั€ะตะผะธัั‚ัะบะธะน ะปะธะฑะตั€ะฐะปัŒะฝั‹ะน ะฝะฐั†ะธัั‚ัะบะธะน ั€ะตะถะธะผ) wie in der Ukraine oder im Westen selbst zu errichten!

Nationalismus ist fรผr Dugin nur die Kehrseite des Liberalismus, der im Westen und in der Ukraine extremistisch-liberale Nazi-Regime hervorgebracht hat

Indem Russland das stark befestigte russophobe Netzwerk zerschlage, so Dugin weiter, entnazifiziere es sich gewissermassen selber. Endlich wรผrden die demรผtigenden 90er Jahre รผberwunden, in denen westliche Agenten Russland quasi besetzt haben. Dugin dankt Putin, der lange auf diesen Tag des Krieges hingewirkt habe. Der Sieg รผber die Ukraine werde dabei nicht das Ende sein, sondern der Anfang «unserer neuen Ideologie».

Schlussendlich, so ein weiterer Eintrag vom selben Tag, macht Dugin klar, dass man keinen schnellen Sieg erwarten dรผrfe, doch in einer Woche bis zehn Tagen sollte der Durchbruch geschafft sein. Dann werden alle strategisch wichtigen Stรคdte eingenommen sein, wie auch Kiew und die Westukraine. Der Rest ist dann nur noch ein Kinderspiel. Ohnehin sei der ganze Westernismus (ะทะฐะฟะฐะดะตะฝั‰ะธะฝะฐ) im Osten konzentriert, darunter im Donbass, was nach Dugin beweist, dass die ukranischen Streitkrรคfte gewillt waren anzugreifen und nicht zur Verteidigung existierten.

Halten wir also fest: Die Rhetorik von Dugin ist wie die von Putin, beide liegen ideologisch auf einer Linie. Die Ukraine gilt ihnen als Stรผtzpunkt des Westens und hat sich Russland zu unterwerfen. Die blosse Existenz der NATO ist eine Provokation fรผr Russland, weil es wie รผberhaupt alles Westliche Teile einer Gegenzivilisation ist. Wer im Westen jetzt noch glaubt, die NATO habe Russland provoziert, dem ist nicht mehr zu helfen.

Schon 2008 ist der Kreml gegen Georgien vorgegangen wie heute gegen die Ukraine โ€“ wohl einschliesslich der Diffamierung Georgiens als faschistisches Land, das von Nazis regiert werde

An dieser Stelle wollen wir noch an etwas erinnern, was sich 2008 zugetragen hat. Damals haben sich zwei Provinzen von Georgien, Sรผdossetien und Abchasien, fรผr abtrรผnnig erklรคrt. Georgien hatte sich zuvor, wie heute die Ukraine, von Russland ab- und dem Westen zugewandt. Die Reaktion des Kreml war dieselbe wie heute gegenรผber der Ukraine: Zuerst werden die abtrรผnnigen Provinzen anerkannt, dann wird einmarschiert.

Wie es heisst, sollen seinerzeit russische Fernsehsender gegen das Land Stimmung gemacht haben, indem sie es als faschistisches Land diffamierten, das von Nazis regiert werde. Das kommt einem doch bekannt vor.


Mehr zum Thema:

Sympathien fรผr ein autoritรคres Regime, ta vom 12. Mรคrz 2014.

Lektion aus Tiflis, ta vom 9. April 2014.

Von Spengler zu Putin, ta vom 13. Dezember 2021.

Russischer Sonderweg, deutscher Sonderweg, ta vom 22. Februar 2022.


Nachtrag 7. Mรคrz 2022

Die Russlandkennerin Katharina Bluhm vom Osteuropa-Institut der FU Berlin bestreitet zwar, dass Dugin heute noch grossen Einfluss auf Putin hat, beschreibt im Interview mit «Belltower News» dessen Weltsicht aber als eine, die mit Dugins kongruent ist: «Der Nationalismus hรคngt am Nationalstaat. Putin hat aber unlรคngst betont, dass die Idee des Nationalstaats fรผr Russland unpassend ist. Russland sei demnach ein multiethnischer Staat, eine Zivilisation oder eben ein Imperium. Imperien haben auch keine so feste Grenzen wie Nationalstaaten.» Bluhm konstatiert, dass die russische Fรผhrung dabei auf strikte Abgrenzung zum Westen bedacht ist.

Nachtrag 29. Mai 2022

Im Interview mit n-tv weist die Russlandforscherin Dina Khapaeva darauf hin, dass es zwischen Putin und Dugin ein Bindeglied namens Mikhail Yuryev gibt. Yuryev war Verfasser eines Romans รผber ein neues russisches Imperium, das seinen Siegeszug mit einem Krieg gegen die Ukraine beginnt. Angeblich soll das Buch, schon 2014 Lieblingsbuch des Kreml gewesen sein. Yurjev selbst war Mitglied im Vorstand der von Dugin gegrรผndeten «Eurasischen Partei».

Nachtrag 29. Juli 2023

Dugin hat wieder zugeschlagen! In einem Beitrag fรผr RIA Novosti plรคdiert er fรผr mehr Zensur und Repression in Russland: «โ€ฆ wir befinden uns im Krieg mit den Liberalen. Daher ist es definitiv an der Zeit, die Zensurrichtlinien zu korrigieren und die Grรผnde fรผr ideologische Unterdrรผckung klarer zu definieren.» Dugin vergleicht Liberale mit Dschihadisten, deren programmatische Schriften der russische Staat konfisziert und plรคdiert dafรผr, mit Schriften von Karl Popper, George Soros und Ayn Rand รคhnlich zu verfahren und ihre Anhรคnger zu kriminalisieren. Denn «die Ideologie des Feindes zu teilen, mit dem es einen echten Krieg gibt, ist bereits der erste Schritt zur Begehung eines Verbrechens.» Auch solle «der Status eines auslรคndischen Agenten vorlรคufig allen Liberalen zuerkannt werden

Nachtrag 4. Oktober 2023

Die Sicherheitsanalysten Nataliya Bugayova, Kateryna Stepanenko und Frederick W. Kagan widerlegen das Mรคrchen, Russland habe nur auf die Expansion der NATO reagiert: «Russiaโ€™s military posture during Putinโ€™s reign has demonstrated that Putin has never been primarily concerned with the risk of a NATO attack on Russia. Russian military reforms since 2000 have not prioritized creating large mechanized forces on the Russian borders with NATO to defend against invasion

Nachtrag 22. Oktober 2023

Alexander Dugin aht auch eine Meinung zum aktuellen islamistischen Terror gegen Israel: «The islamic world needs the consolidation and solidarity — not palliatives that already undermined Islamic unity. Stay strong – form a pole of new multipolar world. Let us destroy Western hegemony once and forever.» In der multipolaren Welt von Morgen steht Putins Russland an der Seite der Islamisten.

Nachtrag 13. Januar 2024

Ein Post auf dem Blog «Traditionalists» nimmt eine aktuelle Diskussion um Dugin zum Anlass, dessen Verhรคltnis zur Moderne zu bestimmen: Dugin hasst die Moderne nicht, weil sie der kulturellen Tradition entgegenstehe, sondern nur der eigenen kulturellen Tradition, die er von anderen absondert, indem er sie keineswegs fรผr gleichwertig erachtet.

Nachtrag 5. Mรคrz 2025

Dugin droht offen mit einer militรคrischen Intervention in Deutschland โ€“ wenn die Deutschen nicht die AfD wรคhlen!

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