Leere Phrasen für die Ukraine

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock reist nach Kiew und hat im Gepäck nur leere Phrasen: Man stehe ganz auf Seiten der Ukraine, nur Waffen zur Selbstverteidigung gegen eine aggressive Regierung in Moskau gibt es keine, Nordstream 2 werde nicht beendet und das alles wird mit der deutschen Geschichte begründet, die immer dann herhalten muss, wenn man sich einmal mehr aus allem heraushalten will.

Tatsache ist, dass Moskau an seiner Peripherie überall dort künstliche Territorialkonflikte geschaffen hat, wo ein Land es wagte, sich aus der russischen Einflusssphäre zu lösen und dem Westen zuzuwenden. Aus russischer Sicht ist die Ukraine ohnehin so russisch, wie Bayern deutsch ist, wie der deutsche Historiker Sebastian Haffner es einmal auf den Punkt gebracht hat.

„Ukraina“ heisst in den meisten slawischen Sprachen soviel wie „Grenzgebiet“ und bildet aus Moskauer Sicht so etwas wie einen russischen Ausläufer. Was für die Ukraine gilt, gilt übrigens auch für Belarus, das ebenfalls im Schatten Russlands steht und nur deshalb von Moskaus aggressiver Aussenpolitik verschont geblieben ist, weil es sich noch nicht aus dessen Einflusssphäre gelöst hat, deren Ausdehnung längst auch nichtmilitärische Massnahmen umfasst.

Eines Tages wird auch Lukaschenko weg vom Fenster sein und Belarus sich Europa zu- und von Moskau abwenden. Die amerikanische Historikerin Anne Applebaum hat einmal geschrieben, dass die belarusische Identität immer darin bestanden habe, was es nicht sei: Staat, König oder Adel hatte das Land nie gehabt und ihre Unabhängigkeit nie angestrebt. Aus Sicht Moskaus existieren die Ukraine und Belarus nur, solange sie sich dem grossen Nachbarn im Osten gegenüber gefügig zeigen.

Der russische Präsident Putin verdreht daher die Tatsachen, wenn er den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine als Reaktion auf dessen Annäherung an den Westen und die NATO darstellt. Hier werden Ursache und Wirkung miteinander vertauscht, während der Westen mitansieht, wie im Donbass ein weiterer Territorialkonflikt zementiert wird, der zu klein ist, als dass eine Einmischung für den Westen sich lohnte, und zu gross, um dauerhaft ignoriert zu werden.

Immerhin liefert jetzt nach den USA auch Grossbritannien Waffen zur Selbstverteidigung an die Ukraine.


Nachtrag 21. Januar 2022

Welche Sanktionsmöglichkeiten der Westen gegenüber Russland hat und warum jener am längeren Hebel sitzt, erklärt der Ökonom Julian Hinz im Gespräch mit NTV.

Ein Beitrag von „Daily Beast“ von vor fünf Jahren weist darauf hin, dass es Deutschland war, dass in Russland ein Nahkampfsimulationstrainingscenter gebaut und das russische Militär selbst dann noch unterstützt hat, als dieses die Ukraine angriff.

Mittlerweile zeigt sich Estland bereit, alte DDR-Haubitzen an die Ukraine zu liefern, wofür es allerdings der Zustimmung Deutschlands und Finnlands bedarf, denen die Waffen früher einmal gehört haben. Deutschland scheint jedoch auch weiterhin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zu sein.

Nachtrag 15. Februar 2022

Der Thinktank CEPA wundert sich über die globale Linke im Angesicht einer aggressiven russischen Aussenpolitik: „Far from showing solidarity with the past and present victims of imperialism, the self-proclaimed custodians of the planetary conscience are blaming both sides, changing the subject, or simply siding with the aggressor.

Die amerikanisch-polnische Historikerin Anne Applebaum weist auf ein grundlegendes Missverständnis des Westens im Umgang mit der russischen Regierung hin: „Tragically, the Western leaders and diplomats … think that when they go to Russia, they are talking to people whose minds can be changed by argument or debate. They think the Russian elite cares about things like its ‚reputation.‘ It does not.“ Dazu gehöre, dass Putin z.B. das Budapest-Memorandum von 1994 (PDF, mehr dazu hier) verletze, das die Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine garantiert. Die russische Regierung sei nur ihren eigenen Interessen verpflichtet, nicht denen der russischen Bevölkerung. Dabei verfügen die Mitglieder der russischen Regierungselite über umfangreichen Immobilienbesitz im Westen, wo sie auch ihre eigenen Kinder studieren lassen. Applebaum schlägt vor, ihnen diese Privilegien zu nehmen.

Schon vor acht Jahren gaben westliche Sicherheitsberater der Ukraine die Empfehlung, nicht auf Sicherheitsgarantien zu hoffen, sondern die eigene Verteidigungsfähigkeit zu verbessern, heisst es in einem Beitrag der „Deutschen Welle“ von 2014!

Nachtrag 8. April l2022

Der (eher linke) amerikanische Ökonom Paul Krugman geht in der „New York Times“ hart mit der zögerlichen deutschen Solidarität gegenüber der Ukraine ins Gericht, sieht aber immerhin Anzeichen eines Wandels: „And maybe, maybe, the realization that refusing to shut off the flow of Russian gas makes Germany de facto complicit in mass murder will finally be enough to induce real action.“

Nachtrag 21. Januar .2023

Mittlerweile hat Deutschland der Ukraine einiges an Kriegsgerät zukommen lassen, doch agiert es noch immer sehr zögerlich. Die Zurückhaltung der Bundesregierung in der Frage, Leopard-Panzer an Kiew zu liefern, kritisiert der britische, eher linke „New Statesman“ unter der Überschrift „Germany has become the roadblock at the heart of Europe“ überaus scharf: „The rest of Europe is starting to steer around Germany.  (…) This reality has not yet sunk in here in the German capital, where the notion that the rest of Europe might need to move at a pace faster than the lumbering Teutonic giant crosses influential minds all too rarely..

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