Aufklärung ist möglich

Eigentlich ist das nicht schwer zu verstehen: der radikale Islam ist EINE Möglichkeit des Islam – nicht der Islam schlechthin, aber eine Möglichkeit innerhalb der Bandbreite dessen, wie man den Islam deuten und ihn leben kann. Aber genau gegen diese Einsicht sträubten sich die Verteidiger des Islam in der  Talkshow “Menschen bei Maischberger” vom vergangenen Dienstag.

Was Aiman Mazyek und Khola Hübsch dort vertraten, war die kategorische Ablehnung auch nur des leisesten Zusammenhanges zwischen dem Islam und den Greueltaten des ISIS in Syrien. Stattdessen wurde einmal mehr das eigene Islamverständnis verabsolutiert, um es dann als “den” Islam auszugeben, der mit den Vorstellungen der Salafisten und Dschihadisten nichts zu tun habe. Der Zuschauer soll das schlucken, obwohl Aussenstehende gar nicht beurteilen können, was der wahre Islam sein soll.

Der Höhepunkt der Sendung war, als der Journalist Christoph Reuter der ISIS-Truppe konstatierte, in der frühislamischen Geschichte ihr Handlungsmodell zu finden, was von Khola Hübsch bestritten wurde. Ihr Argument: Die Mehrheit der Muslime habe gelernt, dass Muhammad in Mekka seines Glaubens wegen verfolgt wurde, sodass er mit seinen Anhängern nach Medina auswich, um dort ungestört seinen Glauben leben zu können. Was habe das mit den ISIS-Terroristen zu tun?

Tatsächlich aber hat Frau Hübsch die These von Reuter, wenn auch ungewollt, bestätigt. Dieses Narrativ, das selbst schon eine Interpretation beinhaltet, entspricht nämlich ganz dem Handlungsmodell der Islamisten, die glauben, dass sie in ihren Heimatländern ihren Glauben nicht leben können, weswegen sie als gläubige Muslime dazu angehalten seien, die Hidschra (Auswanderung) zu vollziehen: So wie Muhammad nach Medina ausgewandert war, müssen die heutigen Muslime ins Herrschaftsgebiet des ISIS auswandern.

Man kann nämlich den Koran historisieren oder metaphorisch deuten, man kann ihn aber auch wörtlich nehmen. Die wörtliche Lesart ist der leichteste Zugang, den ein sakraler Text bietet. Das ist das, was die ISIS-Terroristen machen. Warum ist das so schwer zu verstehen? Aber irgendwie scheint selbst vielen Vertretern eines liberalen Islam das wichtigste zu sein, den Ruf ihrer Religion zu retten. Dabei ist Khola Hübsch noch nicht einmal der liberalen Strömung des Islam zuzurechnen.

So begründet sie das Tragen des Kopftuches nicht einfach als religöse Pflicht – womit ich gar kein Problem hätte –, sondern  verbindet es mit einer grundsätzlichen Kritik an der Diesseitsbezogenheit der modernen Welt. In ihrem Buch “Unter dem Schleier die Freiheit” verficht sie die Auffassung, dass der Verlust des Jenseitsglaubens den Menschen dazu bringe, sein Glück im Diesseits zu suchen, wo ihn die Angst vor dem Tod zum “Spielball seiner Triebe, zum Sklaven seines Körpers auf der Suche nach Glück” mache. Demgegenüber stehe das Kopftuch für eine Haltung, die diese Triebe im Zaum zu halten wisse.

Diese Kulturkritik ist reaktionär und zu einhundert Prozent mit dem Salafismus kompatibel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Frau Hübsch einen Zwang zum Kopftuch ablehnt. Denn freiwillig zugehen soll es auch nach dem Willen der Salafisten. Dass die in muslimischen Gesellschaften vorherrschende “Schamkultur”, wie man sie oft genannt hat, Frauen für sexuelle Übergriffe besonders anfällig machen könnte, kommt Frau Hübsch offenbar gar nicht erst in den Sinn.

Die kollektive Viktimisierung der Umma und die Abwertung westlicher Gesellschaften als materialistisch (=diesseitsbezogen) sind wesentliche Pfeiler auch der salafistischen Ideologie. ((Vgl. Koran 6,32: وما الحياةُ الدنيا إلّا لَعِبٌ ولَهوٌ ولَلدّارُ الاخيرةُ خَيرٌ لِلذينَ يتَّقونَ أفلا تَعْقِدون „Das diesseitige Leben ist (doch) nichts als Spiel und Zerstreuung. Die jenseitige Behausung ist für diejenigen, die gottesfürchtig sind, wahrhaftig besser. Habt ihr denn keinen Verstand?‟ und 7,50-1, wo den Ungläubigen das Höllenfeuer versprochen wird, da sie „ihre Religion als Zerstreuung betrachten und ihr Spiel mit ihr treiben, und die vom diesseitigen Leben betört sind‟ اتخذوا دينهم لهواً ولَعْباً وغرّتهم الحياةُ الدنيا Übers. nach Paret (1979).)) Das ist das Problem nicht weniger derer, die sich als moderate und liberale Vertreter ihrer Religion präsentieren: Sie merken noch nicht einmal, wie sehr sie den Radikalen in die Hände spielen.

Und was die im Namen des Islam ausgeübte Gewalt angeht: Ich glaube an die Kraft der Veränderung. Aufklärung ist möglich, immer und überall. Noch aber hat sich eine historisierende oder sonstwie mit den Erfordernissen der Moderne im Einklang stehende Lesart des Koran nicht allgemein durchgesetzt. Der kriegerische Jihad als Option ist aktuell geblieben.

Diesen Zustand zu überwinden ist die eigentliche Herausforderung. Die gebetsmühlenhaft wiederholte Beteuerung, der Terror im Namen des Islam habe mit diesem rein gar nichts zu tun, scheint da alles andere als hilfreich.

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