Dass ich nicht in einem ethnisch homogenen Land leben möchte und mir Deutschland, meine Heimat, nur als weltoffenes Land vorstellen kann, ist eine Haltung, die ich mit ziemlich vielen Landsleuten teilen dürfte und ich möchte sogar behaupten, mit den meisten.
Überfremdungsängste habe ich keine. Oft genug war ich auf Feiern oder Veranstaltungen, auf denen ich der einzige Nicht-Grieche, Nicht-Afrikaner, Nicht-Muslim oder Nicht-Iraner war. Ein Flüchtlingsheim in meiner Strasse würde mich ebensowenig stören wie Zuwanderer als Nachbarn.
Dieses Bekenntnis schliesst jedoch nicht ein, die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gutzuheissen. Es gibt eine Kritik an Merkels Politik, die nicht von Rassismus oder Nationalismus gespeist ist, sondern von Fakten, die aber von weiten Teilen der Politik wie auch der Publizistik nur zögerlich thematisiert werden.
Mittlerweile ist eine solche Kritik zu einem Markenzeichen der Rechtspopulisten geworden – und jeder, der sie artikuliert, bringt sich in den Verdacht, mit diesen zu sympathisieren. Doch selbst wenn man die Grenzöffnung durch Angela Merkel im Herbst 2015 gutheisst, so bleibt festzuhalten, dass die Zuwanderer weitgehend unkontrolliert ins Land gelassen wurden und die Grenze über Monate offen blieb.
Zu dieser Politik beitragen haben dürften linke Fake News: Dass da lauter hochqualifizierte Leute kommen und IS-Terroristen schon nicht unter den Zuwanderer sein würden, weil es für den IS leichter sei, hier lebende Sympathisanten der Terrorgruppe für Anschläge anzuwerben. Alles falsch, alles frei erfunden. Aber wer sind eigentlich die Menschen, die da zu uns kommen?
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Ungefähr vor anderthalb Jahren berichtete mir ein Freund aus Beirut, dass er schon seit einiger Zeit keine Schuhputzer mehr in der Stadt sehe und er konnte sich die Gründe dafür nicht erklären, hatte es in Beirut doch immer Schuhputzer gegeben. Als er eine Pizzeria für einen kleinen Imbiss aufsuchte, entschuldigte sich der Inhaber für die Wartezeit, da er jetzt alles alleine machen müsse, seitdem seine Gehilfen sich auf und davon gemacht haben.
Ja, ganz genau: Die Pizzabäcker und die Schuhputzer sind nach Europa gegangen, was ich kaum glauben konnte, als ich davon hörte, denn die Libanesen haben doch keine Chance, hierzulande als Kriegsflüchtlinge anerkannt zu werden. Erst durch einen Bericht in der Frankfurter Rundschau, gewiss kein AfD-nahes Blatt, erfuhr ich, dass die deutschen Behörden angewiesen sind, Flüchtlinge entsprechend der eigenen Herkunftsangaben zu behandeln: Wer zu Protokoll gibt, er sei aus Syrien, der gilt als Syrer.
Da der libanesische Dialekt praktisch mit dem syrischen identisch ist, wird diese Behauptung von Behördenseite zunächst auch nicht angezweifelt.
Die Frage ist nun: Was machen Schuhputzer und Pizzabäcker in Deutschland? Nicht, dass wir diese Leute nicht ernähren könnten, aber Kriegsflüchtlinge sind sie nicht, Beirut ist kein Kriegsgebiet und auch nicht von Dürre oder Unwetter betroffen. Doch werden diese Leute auf dem deutschen Arbeitsmarkt kaum Fuss fassen können.
Sicher, Schuhputzer und Pizzabäcker sind ziemlich miese Jobs, sodass es verständlich ist, wenn Menschen in der Ferne ihr Glück suchen. Doch einmal hier angekommen, stellen sie fest, dass sie hier noch weniger als einen miesen Job bekommen, denn zum einen können sie kein Deutsch, zum anderen werden hierzulande weder Schuhputzer noch Pizzabäcker gebraucht.
Stattdessen werden sie von den deutschen Behörden verwaltet, kommen in eine Sammelunterkunft und erhalten an Zuwendungen gerade soviel, dass es zum Leben reicht. Zurück aber können sie nicht, haben sie ihr Hab und Gut doch zu Geld gemacht, um den Schleuser zu bezahlen. Niemand, wirklich niemand kann mit dieser Situation glücklich sein, weder die Deutschen noch die Zuwanderer, aber in der Filterblase vieler linker Politiker und Journalisten wird dies komplett ausgeblendet.
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Vor ziemlich genau einem Jahr, im September 2016, war ich mit einer amerikanischen Reisegruppe im Bundestag. Die Gruppe unter der Führung eines amerikanischen Nahostexperten war in drei Ländern in einer „fact finding mission‟ zum Thema Islam in Europa unterwegs. Am letzten Tag des Aufenthalts in Berlin hatten wir einen Termin mit einem hochrangigen Grünen, der einen kurzen Vortrag über die Flüchtlingsproblematik hielt.
Nun gut, die Grünen unterstützen die Regierung Merkel in Sachen Grenzöffnung. Dennoch hätte man erwartet, dass hier Kritik an der Art und Weise geübt würde, wie die Regierung die Aufnahme der Flüchtlinge managt – doch Fehlanzeige. Der Grünen-Politiker redete die ganze Zeit so, als wäre er der Pressesprecher der Bundeskanzlerin. Alles kein Problem, für alles finden „wir‟ eine Lösung, so der Tenor.
Auf meinen Einwand, dass man doch unabhängig davon, wie man zur Politik der Kanzlerin steht, sich eingestehen müsse, dass vieles falsch läuft, setzte der Grüne eine gereizte Miene auf und wehrte jede Kritik an der Regierung ab. In diesem Augenblick zeigte sich überdeutlich, dass es zumindest in dieser Angelegenheit keine Opposition im Bundestag gibt.
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Eine Dolmetscherin für Persisch, die für Zuwanderer aus dem Iran dolmetscht – dabei handelt es sich überwiegend um Afghanen, die als Gastarbeiter dort meist auf dem Bau gearbeitet haben – berichtet, wie sie es eines Tages mit einem jungen Mann zu tun hatte, der von den deutschen Behörden verlangte, ihm Schuhe zu kaufen – nicht irgendwelche, sondern teure Markenschuhe für zweihundert Euro. Dass er mit seinem Taschengeld haushalten muss, mochte der junge Mann nicht einsehen: Sein Geld hatte er schon aufgebraucht, um sich ein neues Smartphone zu kaufen.
Besagte Dolmetscherin weiss fast jede Woche von solchen und ähnlichen Fällen zu berichten. Dazu gehört, dass sich viele Flüchtlinge als minderjährig ausgeben, aber keine Papiere haben, die ihr Geburtsjahr bestätigen. In solchen Fällen sind die Behörden gezwungen, allein aufgrund seiner Aussage den Zuwanderer in eine Unterkunft für Minderjährige zu überstellen, wo die Versorgung im allgemeinen besser ist.
Diese Regelung ist grundsätzlich sinnvoll, weil pragmatisch, aber sie wird ad absurdum geführt, wenn der Zugewanderte ganz offensichtlich viel älter ist und er einen schon leicht angegrauten Vollbart trägt. Unwahrscheinlich, dass wir es hier mit einen Sechzehnjährigen zu tun haben, aber die Vorschriften besagen, dass die Auskunft des Betreffenden darüber entscheidet, ob dieser in eine Unterkunft für Erwachsene oder für Minderjährige kommt.
So mischen sich unter die echten Flüchtlinge auch Zuwanderer, die einfach auf ein besseres Leben aus sind. Das ist menschlich verständlich, aber was wird aus diesen Menschen in Deutschland? „Fluchtursachen bekämpfen‟, fordern Politiker aller Parteien. Aber die Fluchtursachen dürften in vielen, wenn nicht gar in den meisten Fällen falsche Vorstellungen von dem sein, was die Menschen hier in Deutschland erwartet.
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Was die derzeitige Zuwanderung angeht, so gibt es hier keine einfachen Lösungen, die praktikabel sind und zugleich der Humanität verpflichtet. Aber ich frage mich, ob all die Befürworter weiterer Massenzuwanderung gleich welchen Herkunftslandes wirklich an den Menschen interessiert sind, die da von ausserhalb Europas zu und kommen, oder ob es ihnen nicht vielmehr darum geht, wie bei der Befreiung des Irak von der Herrschaft Saddam Husseins, einen Vorwand zu finden, den Westen anzuprangern.
Die Leute in meinem Umfeld, die sich für Flüchtlinge engagieren oder auf sonst eine Weise sozial aktiv sind, haben politisch meist eine eher konservative Einstellung und stehen häufig der Kirche nahe. Die Linken sitzen hinter ihren iMacs und schreiben Texte gegen den Rassismus der Gesellschaft.
Nachtrag 23.10.2017
Zur Fluchtursache namens „falsche Vorstellungen vom Leben in Deutschland“: Die „Welt“ berichtet, dass die Bundesregierung endlich etwas gegen die falschen Versprechungen der Schleuser – etwa, dass jeder ein Haus geschenkt bekommt – tun will. Dafür wurde eigens die Seite rumoursaboutgermany.info eingerichtet. Es wurde auch Zeit!
Nachtrag 18.11.2017
Manchmal steht selbst in der taz, einem linken Hassblatt, etwas gescheites und so kritisiert ein Kommentar auf treffliche Weise die verlogene Moral derer, die die deutsche Flüchtlingspolitik für human halten: Die 2015 Aufgenommenen mussten gar nicht mehr gerettet werden; die, die aktuell gerettet werden müssten, werden im Stich gelassen.
Nachtrag 30.12.2017
„Unwahrscheinlich, dass wir es hier mit einen Sechzehnjährigen zu tun haben, aber die Vorschriften besagen, dass die Auskunft des Betreffenden darüber entscheidet, ob dieser in eine Unterkunft für Erwachsene oder für Minderjährige kommt“ schrieb ich oben. Mit dem Ereignis von Kandel, als ein Zuwanderer von angeblich fünfzehn Jahren ein junges Mädchen tötete, hat sich gezeigt, wohin diese Regelung führen kann. Freilich, wer es wissen wollte, hätte längst wissen können, dass Handlungsbedarf besteht.
Nachtrag 02.04.2019
Passend zu meinem Schlusssatz „Die Linken sitzen hinter ihren iMacs und schreiben Texte gegen den Rassismus der Gesellschaft“ erscheint eine Reportage in der FAZ über eine christliche Asylantin aus Gaza, die in Deutschland denselben Sozialstrukturen und Einstellungen der Community begegnet, vor denen sie geflohen ist, und die feststellen musste, dass sie von der deutschen Gesellschaft keine Hilfe zu erwarten hat: „In Rage bringe sie die Eitelkeit eines Milieus, dass sich Vielfalt auf die Fahnen schreibt, sich für die reale Lage der Flüchtlinge aber nicht interessiert (…).“