Eine Meldung von dpa macht derzeit die Runde in deutschen Medien: Ein iranischer Polizist soll eine Frau begrapscht haben, die Polizei nun in Erklärungsnot sein. Es ist nicht zu fassen, aber noch immer herrscht in den Medien reichlich Naivität vor im Umgang mit dem Teheraner Regime.
Das ganze islamistische Staatssystem Irans diskriminiert und belästigt Frauen. Es handelt sich um permanente, institutionalisierte Menschenrechtsverletzungen. Dazu gehört, dass die Sittenpolizei jederzeit Menschen auf der Strasse mitnehmen und misshandeln kann, wie auch eine Justiz, die Frauen z.B. dafür hängt, dass sie ausserehelichen Geschlechtsverkehr haben.
Das Begrapschen durch einen Polizisten ist demgegenüber wohl kaum mehr als eine Petitesse; wenn dpa den Unsinn verbreitet (z.B hier), die iranische Polizei sei nun in Erklärungsnot geraten, dann wird damit der völlig falsche Eindruck erweckt, es gebe dort einen ethischen Kodex, der nun bedauerlicherweise verletzt worden sei. Das ist blanker Unsinn.
Nicht das Fehlverhalten eines einzelnen Polizisten ist das Problem, sondern die ganze Polizei Irans, die ganze Regierung, die ganzen Institutionen. Gerechnet auf die Gesamtbevölkerung ist Iran der grösste Henkerstaat der Welt, wovon ganz besonders Frauen betroffen sind. Selbst die sich um einen gemässigten Tonfall bemühende UN spricht davon, dass in Iran Frauen und Mädchen als Bürgerinnen zweiter Klasse behandelt werden.
In diesem Zusammenhang setzt dpa aber noch einen drauf und behauptet, seit dem Tod von Mahsa Amini „demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie den Kopftuchzwang.“ Das sind Fake News – als ob es hier nur um einen anderen Kurs der Regierung ginge. Die dpa sollte die eigene Faktencheckerabteilung auf sich selbst ansetzen.
Tatsache ist, dass es den Menschen nicht um den Kurs der Regierung geht, sondern um das ganze System mitsamt seiner alltäglichen Herabwürdigung der Frau. Vielleicht wird diese Lektion eines Tages einmal gelernt.
Nachtrag 16. Oktober 2022
„Es geht nicht um das Kopftuch“, fasst Korrespondentin Natalie Amiri auf SRF (übrigens im Gespräch mit Ahmad Karimi, der sich nicht zu schade war, vor Jahren einen Preis aus den Händen des iranischen Kulturrats entgegenzunehmen!) die Motive der iranischen Bevölkerung zusammen, es geht um das ganze System (ab 32:15).
Nachtrag 23. Oktober 2022
„Eine Grundforderung der Demonstrierenden ist ein Ende der Islamischen Republik“, sagt ARD-Korrespondentin Katharina Willinger.
Nachtrag 6. Dezember 2022
Dieser Tage machte die Meldung die Runde durch die Medien, dass das iranische Regime die Sittenpolizei (gašt-e eršād) auflösen wolle. Gut, dass ARD und Deutsche Welle diesen Fake News die Fakten entgegensetzen. Tatsächlich hat lediglich ein einzelner iranischer Staatsanwalt gegenüber einem Journalisten von der Auflösung der Sittenpolizei gesprochen. Das für die Sittenpolizei zuständige Innenministerium hat nie derlei behauptet, so ARD-Korrespondentin Katharina Willinger.
In dieselbe Kerbe schlägt die Menschenrechtsaktivistin Masih Alinejad:
Nachtrag 7. Dezember 2022
Amnesty International bezeichnet die Meldung von der angeblichen Auflösung der Sittenpolizei als „irreführend“, die Iran-Korrespondentin Golineh Atai spricht von „Falschmeldung“. Da haben Medien wieder einmal allzu leichtfertig Fehlinformation aus Teheran verwendet!
Nachtrag 12. April 2023
Eine zeitlang sah es so aus, als würden die Medien vermehrt kritisch über die Islamische Republik berichten, doch nun ist zumindest das ZDF wieder in das alte Muster verfallen:
Nachtrag 19. Mai 2023
Aktuell reagiert das Regime mit einer regelrechten Hinrichtungswelle auf die anhaltenden Proteste. Werden die deutschen Medien angemessen berichten?