Russlands Präsident Putin erleidet einen erheblichen Autoritätsverlust, seine Herrschaft gerät ins Wanken. Indem sich der Chef seiner wichtigsten Söldner, Jewgeni Prigoschin von der Gruppe Wagner, nicht mehr nur verbal gegen ihn stellt, sondern zeigt, dass er zu einer echten Gefahr für Putin werden kann, stellt er offen die Machtfrage.
Das hat Putin sich selber zuzuschreiben, denn sein Krieg gegen die Ukraine bedeutet nicht nur eine Tragödie für die Ukrainer, sondern auch für die Russen, die zunehmend als Kanonenfutter herhalten müssen. Die britische BBC schätzt, dass mindestens 40.000 Russen im Ukrainekrieg starben und zum Teil regelrecht verheizt wurden – für einen Krieg, der vollkommen sinnlos ist und den Russland schon längst nicht mehr gewinnen kann.
Wenn Verteidigungsminister Schoigu bekundet, Russland könne sich aus einem Pool von 25 Millionen Reservisten bedienen, dann zeugt das nicht nur von einer völligen Skrupellosigkeit der russischen Führung, sondern auch von einem erheblichen Ausmass an Realitätsverlust, denn je mehr Russen der Kreml auf dem Schlachtfeld zu opfern bereit ist, desto grösser muss der Widerstand werden. Der heutige Marsch auf Moskau durch Prigoschins Sölnder hat davon nur einen ersten Vorgeschmack gegeben.
Putins Krieg ist nicht nur eine Tragödie für die Ukraine, sondern auch für Russland
Die Gruppe Wagner selbst hat in letzter Zeit erhebliche Verluste erlitten und allen Grund zur Wut, Belarus’ Machthaber Aleksandr Lukaschenko soll Prigoschin dennoch ausgeredet haben, ein Blutbad in Moskau anzurichten. Putin freilich lässt sich nicht beirren und hält in einer öffentlichen Ansprache an seiner bekannten Diktion fest, wenn er sagt: „Russland kämpft heute hart um seine Zukunft und wehrt die Aggression der Neonazis und ihrer Herren ab.„
Damit ist Prigoschin zum Verräter gestempelt, der im Moment noch davon absieht, Putin zu stĂĽrzen, aber auch keinen Grund mehr hat, fĂĽr den Kreml die Kastanien aus dem ukrainischen Feuer zu holen. FĂĽr Moskau und die Region Woronesch, wo die Gruppe Wagner mit Einheiten der russischen Armee zusammenstiess, gilt derweil der „Antiterrorristische Operationsmodus“.Noch hat keine Seite die Machtprobe fĂĽr sich entschieden.
Sollte Putin in naher Zukunft gestürzt werden, dann von einer Person oder Gruppe, die zum Machtzirkel gehört und Blut an ihren Händen hat. Das kann angesichts der Tatsache, dass Putin seine Macht über Jahrzehnte immer stärker gesichert hat, nicht anders sein. Nicht Empathie für die Ukrainer lässt Leute wie Prigoschin gegen Putin vorgehen, sondern die Erkenntnis, dass ihre Loyalität zu letzterem sich immer weniger bezahlt macht.
Nachtrag 26. Juni 2023
Angeblich hat Jewgeni Prigoschin von Putin Straffreiheit zugesagt bekommen, doch nun heisst es seitens der russischen Nachrichtenagentur TASS, die sich auf „eine der Generalstaatsanwaltschaft nahestehende Quelle“ beruft, dass weiter gegen Prigoschin ermittelt werde. Harte Zeiten fĂĽr Prigoschin, der sich auch daran erinnern sollte, dass Putins interne Feinde häufig einer Vergiftung zum Opfer gefallen sind.