Nur keinen Flächenbrand, bitte!

Keine noch so drastischen militärischen MaĂźnahmen werden die Sicherheit von Hunderttausenden Siedlern in der Westbank gewährleistet können, solange keine politische Lösung zur Beendigung der Besatzung gefunden wird”, schreibt da einer auf Qantara.de vor dem Hintergrund der jĂĽngsten EntfĂĽhrung (und wie wir jetzt wissen: Ermordung) dreier israelischer Jugendlicher durch die Hamas. War es wirklich die Hamas? Wer soll es sonst gewesen sein?

Wen der Autor des Zitats mit seiner Forderung nach einer “politischen Lösung zur Beendigung der Besatzung” meint, mag er nicht offen aussprechen, aber sein Text lässt keinen Zweifel: Gemeint ist natĂĽrlich Israel, das sich schleunigst aus der Westbank zurĂĽckziehen und endlich einen Palästinenserstaat zulassen soll. Das Klischee von der “Spirale der Gewalt”, die durchbrochen werden mĂĽsse, konnte der Autor gerade noch vermeiden. Nicht die Hamas, soll ihren Frieden mit Israel machen und das Tor öffnen fĂĽr einen eigenen Palästinenserstaat, sondern Israel soll in der Pflicht sein.

Und dann gibt es Frieden. Die Hamas entfĂĽhrt keine israelischen Jungs mehr, die Hisbollah legt die Waffen nieder und der ISIS singt Hava Nagilah.

Warum nur glauben das soviele westliche Intellektuelle? Warum glauben sie, dass der Terrorismus und Fanatismus, mit der die Region so gestraft ist, doch immer nur die Reaktion auf israelische oder westliche Politik seien? In dieser Sicht sind die arabischen und muslimischen Massen wie Billardkugeln, die einen Stoss von aussen bekommen und sich in einer Weise bewegen, die sie nicht zu verantworten haben. Was fĂĽr ein Menschenbild!

Palestine_Damaskus_Kreutz

Sicher hat es immer wieder Schikanen an Palästinensern durch Siedler gegeben, doch liegt darin nicht die Ursache fĂĽr den Nahostkonflikt, der weit älter ist als die israelische Besatzung. Was viele im Westen nicht verstehen wollen, ist, dass sich die Massen in der Arabischen Welt fĂĽr Siedlungen in der Westbank gar nicht interessieren.

Was die Massen interessiert, ist eine Welt ohne Israel. FĂĽr sie ist Israel etwas fremdartiges, kĂĽnstliches; etwas, das nicht in der Region zuhause ist; etwas, das verdammt ist unterzugehen; etwas, das frĂĽher oder später verschwinden wird. Mit Gewalt oder ohne. Juden werden als Religionsgemeinschaft zwar einigermassen akzeptiert – aber nicht als Nation. Die umfangreiche antisemitische Publizistik der Arabischen Welt spricht eine deutliche Sprache.

Wäre es anders, hätten die Palästinenser im Gazastreifen den RĂĽckzug Israels als wichtigen Schritt hin zu Friedensverhandlungen begriffen. Mag sein, dass die Hamas vor allem als Protest gegen die Korruption der Fatah gewählt wurde – Tatsache bleibt, dass Israel fĂĽr seinen Abzug keine Friedensdividende erhalten hat. Auch der im Jahr 2000 erfolgte israelische Abzug aus dem SĂĽdlibanon durch Ehud Barak hat Israel keinen Frieden mit dem Libanon gebracht.

Dabei ist es keineswegs so, dass es in der Arabischen Welt keine vernĂĽnftigen Leute gäbe. Viele, mit denen man als Westler ins Gespräch kommt, äussern sehr vernĂĽnftige Dinge. Ich selbst habe in den arabischen Ländern nie schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht, ganz im Gegenteil. Das Problem ist das Kollektiv, das jeden Fortschritt in der Arabischen Welt verhindert oder langfristig zunichte macht.

Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal hat im Interview mit der “Zeit” dafĂĽr ein Beispiel gegeben: Fragt er seine Freunde, ob ihre Frauen und Töchter in einer demokratischen Gesellschaft unabhängig sein sollen, dann bejahen sie. Als Individuen denken sie fortschrittlich, akzeptieren Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen. Aber das ĂĽbermächtige Kollektiv bremst sie aus: Keiner will bei der eigenen Familie anfangen, denn jeder fĂĽrchtet die Missbilligung durch die Gesellschaft. Also ändert sich nichts.

Was die arabisch-islamische Welt braucht, ist denn auch kein Reformislam oder eine Islamreform, sondern selbstbewusste Individuen, die den repressiven Charakter ihrer Gesellschaften (und nicht nur ihrer Regime) beenden. Solange ein ĂĽbermächtiges Kollektiv das Sagen hat, wird es keinen Frieden und kein Ende der Gewalt geben. Einer aktuellen Umfrage des Washington Institute zufolge unterstĂĽtzen weniger als 30% der Palästinenser das Projekt eines eigenen Staates an der Seite Israels.

Die Hamas zehrt davon, dass Gewalt gegen israelische Zivilisten weithin gebilligt wird: Als Israel vor mehr als zehn Jahren die UN in einem Resolutionsentwurf aufforderte, Selbstmordanschläge auf israelische Kinder zu verurteilen, waren es Länder wie Bahrain, Malaysia, Saudi-Arabien, Sudan und Ă„gypten, die den ursprĂĽngliche Sinn des Entwurfes entstellten und letztlich zunichte machten.

Von solchen Dingen wollen westliche Kommentatoren wenig wissen. Stattdessen sind sie eilends bemĂĽht zu erklären, dass Israel jetzt bloss nicht dieses oder jenes tun dĂĽrfe und dass die Aktionen der Hamas zwar verbrecherisch seien, aber … – Tatsächlich wusste die Hamas ganz genau, mit welchen Antworten sie rechnen muss, als sie drei israelische Jugendliche entfĂĽhrte.

Sie wusste genau, dass Israel immer sehr empfindlich reagiert, wenn man seine StaatsbĂĽrger entfĂĽhrt und sie ermordet. Wie sollte es auch anders ein? Das ganze Gerede vom “Flächenbrand” kann nicht darĂĽber hinwegtäuschen, dass die EntfĂĽhrung und Ermordung von Jugendlichen feige und ehrlos ist und nach einer entschlossenen Antwort verlangt.

Abb. Auslage eines Geschäftes in Damaskus (2010). Foto: Michael Kreutz.

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