Es geht einmal mehr um den Islam. Den milden Spott, den der Kabarettist Dieter Nuhr über die Religion ausgegossen hat, kritisiert ein Text im „Cicero“ wie folgt: „Sein Fehler liegt darin, allen Ernstes eine Kausalität zu suggerieren, die nach folgendem Schema läuft: „Die Nazi-Denke, das liegt am Deutschsein, nicht an der NS-Ideologie.“
Das steht da in aller Unschuld, gleich so, als hätte es in Deutschland nie eine Debatte darüber gegeben, inwieweit die NS-Ideologie in der deutschen Kultur, im Deutschsein, verwurzelt ist. Vom Philosophen Helmuth Plessner über die Historiker Hans Kohn und Sebastian Haffner, den Literaturwissenschafftler Hans Mayer, den Soziologen Wolf Lepenies bis zum Germanisten Heinz Schlaffer – um nur einige Namen zu nennen – haben sich Gelehrte und Intellektuelle mit der Frage befasst, inwieweit die NS-Ideologie in der deutschen Kultur vorgeprägt worden ist. Keine der genannten Koryphäen ist je zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die NS-Ideologie etwas gewesen wäre, das man den Deutschen 1933 übergestülpt hätte!
Natürlich führt von einem Ulrich von Hutten (1488-1523), der ein deutsches Selbstverständnis im Geiste einer unversöhnlichen Feindschaft mit Frankreich und dem Westen vorantrieb, kein direkter Weg nach Auschwitz, aber Deutschland hat in der Geschichte immer, wenn es darauf ankam, die falsche Abzweigung genommen. Das alles wird heute schonungslos analysiert und publiziert und diskutiert, aber die Verfasserin des Artikels, es handelt sich um Khola Maryam Hübsch, hat von all dem nichts mitbekommen, sonst würde sie nicht diesen unsinnigen Vergleich ziehen, dass die Greueltaten des sog. Islamischen Staates mit dem Islam in Verbindung zu bringen so unredlich sei wie die „NS-Denke“ aus dem Deutschsein abzuleiten.
Die Feststellung freilich, dass man als Deutscher nicht unbedingt ein Nazi sein muss, ist genauso banal wie diejenige, dass man als Muslim kein Islamist sein muss. Falls das jedoch Hübschs Intention gewesen sein sollte, so hätte Nuhr wohl zugestimmt und alle Aufregung wäre verpufft.
Genauso abstrus und weltfremd auch folgende Behauptung:
Der Islamdiskurs hat eine neue Qualität erreicht. Was früher als klar rechts eingeordnet worden wäre, gehört heute zum guten Ton und liegt ziemlich mittig, Islamisten sei Dank.
An dieser Äusserung zeigt sich abermals die komplette Ahnungslosigkeit der Verfasserin. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. Die islamwissenschaftliche Publizistik hat noch bis mindestens Ende der 90er Jahre genügend professionelle Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand aufgebracht, um manches – keineswegs alles – am Islam kritisch zu sehen, so wie auch andere Disziplinen ihren Forschungsgegenstand mit der gebührenden Distanz behandelten.
Das ist heute nicht mehr der Fall. Eine kritische Haltung ist heute nahezu vollständig aus der akademischen Publizistik verschwunden. So gut wie alles ist auf Dialog gebürstet. Natürlich gibt es noch immer so etwas wie eine kritische Herangehensweise an den Islam, aber sie findet sich nurmehr in der populären Publizistik und im Internet, wo sie dann zum Teil auf eine sehr krawallige Weise betrieben wird.
Hübsch echauffiert sich des weiteren über „die Unkenntnis über historische und textuelle Zusammenhänge.“ Das fällt auf sie zurück. Denn leider ist die Praxis des „Islamischen Staates“ nicht neu. Als im 8. Jahrhundert der Literat Ibn al-MuqaffaÊ¿ der Ketzerei beschuldigt wurde, schlug man ihm Arme und Füsse ab. Bei lebendigem Leibe, versteht sich. Die Vorschrift dazu fand man im Koran. Natürlich kann man die entsprechende Passage auch historisieren, metaphorisieren, umdeuten – was auch immer. Aber man kann sie eben auch wörtlich nehmen und das hat man im Mittelalter ebenso getan wie das heute die Glaubenskrieger des „Islamischen Staates“ tun!
Was Frau Hübsch und viele andere, die so denken wie sie, offenbar ebenso wenig auf ihrem Radarschirm haben, ist die Tatsache, dass eine selbst rabiate Kritik am Christentum hierzulande immer zu Kontroversen führt, aber so gut wie nie skandalisiert wird. Beispiele dafür finden sich zuhauf:
Für Heine z.B. bestand die Idee des Christentums in der „Vernichtung der Sinnlichkeit‟, ähnlich argumentierte auch Nietzsche, der freilich sehr viel ätzender formulierte. In seinem „Antichristen“ nutzte er die Gelegenheit, auch noch kräftig gegen die Deutschen („Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen“) auszuteilen. Beide gelten als Klassiker der deutschen Literatur und Philosophie, in Düsseldorf hat man die Universität nach Heine benannt.
Auch dass der abendländische Antisemitismus eine Quelle im Neuen Testament habe, ist hierzulande keine These, die heftig bekämpft würde. Bei Johannes stehen die Juden für die Welt, die der Evangelist in geradezu gnostischer Manier radikal ablehnt. Spätere Judenfeinde haben sich immer gern auf Johannes berufen. Daniel Goldhagen und Micha Brumlik haben darüber Bücher verfasst, ohne dass Vorwürfe wie „Christophobie“ o.ä. laut geworden wären. Solche Thesen nimmt man ganz easy.
Karl-Heinz Deschner schliesslich hat uns mit einer mehrbändigen „Kriminalgeschichte des Christentums“ erfreut, die zwar ganz erhebliche, zum Teil erzürnte Kritik hervorgerufen hat, innerhalb und ausserhalb Deutschlands aber selbst von zahlreichen Universitätsbibliotheken einer Anschaffung für würdig befunden wurde. Deschners Thesen dürften mindestens ebenso viele Anhänger wie Gegner gefunden haben, aber in jedem Falle werden sie diskutiert.
Oder nehmen wir die Theologin Uta Ranke-Heinemann. In ihrem Buch Nein und Amen finden wir zahlreiche Attacken nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen die Bibel und sogar das ganze Christentum. „Fälschungen finden sich im Neuen Testament in vielfältigem Sinn“ heisst es da und dem Christentum selbst attestiert sie eine „Unbarmherzigkeit (…) die Wert darauf legt, dass zusätzlich unechte Leiden produziert werden.“ Im Christentum werde „Grausamkeit fälschlich als Gottes Wille betrachtet“, das Christentum sei insofern „eine Erziehung zur Grausamkeit.“ ((Uta Ranke-Heinemann: Nein und Amen: Anleitung zum Glaubenszweifel. Hamburg 1992, S. 260, 354, 355.))
Das heisst nicht, dass solche Äusserungen nur auf Zuspruch stiessen. Die Dame polarisiert, für manche ist sie auch einfach nur so etwas wie eine Ulknudel des akademischen Betriebs. Aber warum gelten weit harmlosere Äusserungen über den Islam so vielen als Skandal? Dabei ist gerade Frau Hübsch keine Vertreterin eines aufgeklärten Islam, insofern als sie an anderer Stelle die islamische Verschleierung nicht einfach mit einem religiösen Gebot begründet, sondern sie ihrer Leserschaft mit einer tiefgreifenden Kulturkritik an den westlichen Gesellschaften schmackhaft zu machen versucht.
Tatsächlich könnte die Argumentation, derzufolge wir in einer „hypersexualisierten Gesellschaft“ lebten, in der Liebe zur „Ware“ verkomme und es nur um „Quantität und eine schnelle Rendite“ gehe, genausogut aus der Feder eines Salafisten stammen. Liebe gehorche „den Gesetzen des kapitalistischen Marktes, der die Ego-Befriedigung zur Maxime des Handelns erklärt“ habe, schreibt Frau Hübsch, die den Schleier zum Angelpunkt einer ganzen Weltanschauung macht, in der es gar kein selbstbestimmtes Individuum mehr gibt, sondern nur noch durch den Markt vermeintlich fremdbestimmte Zombies. Wie emanzipiert!
Wenn es einen Grund gibt, den ein oder anderen Aspekt des Islams kritisch zu beleuchten, haben die apologetischen Texte von Frau Hübsch ihn sicherlich geliefert.
[Ãœberarbeitet]