Signale aus der Grauzone

In meiner Studienzeit hatte ich einen Kommilitonen, mit dem ich mich gut verstand und der eigentlich ganz anders heisst, hier aber Tayfun genannt werden soll. Tayfun war ein netter Kerl, damals, Ende der Neunziger. Weil er in seinem Wohnheim keinen Fernseher hatte, kam er häufiger zu mir, um die Nachrichten zu schauen.

Er war ein gläubiger Muslim, hielt sich an die Speisevorschriften und führte auch sonst ein recht asketisches Leben, hatte aber auch Humor. Anderen Menschen begegnete er mit der Coolness eines Sufis, der dieser Welt enthoben ist. Naja, nicht ganz enthoben, er war auch immer hinter den Frauen her. Tayfun nahm an interreligiösen Treffen teil und lebte einen Islam des Friedens und der Mitmenschlichkeit. Gewalt lehnte er ab.

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Vom rechten Umgang mit Islamisten

Eine gängige Annahme besagt, dass die Gefahr, die von Islamisten ausgeht, am besten dadurch gebannt werden könne, dass man diese in politische Strukturen einbindet (s.a. hier); dann nämlich müssten sie sich in der Tagespolitik bewähren und würden von ihrem Radikalismus ablassen. Genau das bestreitet der amerikanische Nahostfachmann Shadi Hamid, der selbst jahrelang dieser Auffassung anhing.

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Desinformation bei der “Zeit”

Ein Online-Kommentar der “Zeit” regt sich über die aktuelle Titelgeschichte des “Focus” auf, die sich der “dunklen Seite des Islam” widmet. Kann schon sein, dass der “Focus” sich damit auf das Niveau eines Revolverblattes begibt und sich manches darin findet, was kritikwürdig ist. Aber die Kritik, wie sie im “Zeit”-Kommentar geübt wird, kommt einer Desinformation gleich.

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Unser Wunschislam

Wenn es um die akademische Beschäftigung mit dem Islam geht, wird es häufig romantisch. Ein aktuelles Beispiel da für gibt ein Vertreter der “komparativen Theologie”, der im Interview mit dem “Tagesspiegel” einige recht erstaunliche Dinge verkündet. Grundtenor ist wieder einmal die Behauptung, dass der Islam nicht den Terroristen überlassen werden dürfe. So lobenswert dieses Unterfangen ist, so zweifelhaft sind einzelne Aussagen. So wird über die Steinigung behauptet:

“Tatsächlich ist dieses Recht bis zum 19./20. Jahrhundert nie angewendet worden.”

Eine solche Annahme ist gewagt. Auch der Theologe hat keine Kristallkugel, die ihm mit Sicherheit verraten kann, ob es die Steinigung vor dem 19. Jahrhundert gegeben hat oder nicht. Tatsache ist, dass die Steinigung als besonders demütigende Strafe immer nur halb-öffentlich vollstreckt wurde, d.h. unter einem Kreis ausgesuchter Zuschauer, die zugleich Steinewerfer waren. Sie wurde daher grundsätzlich nicht dokumentiert.

Bei den Osmanen waren die Arten der Todesstrafe nämlich nach ihrer Ehrenhaftigkeit abgestuft, wobei das Hängen an oberster Stufe der Hierarchie stand, das Steinigen an unterster. Deshalb auch liess man sie, anstatt von einem staatlich bestellten Henker, von Frauen oder Kindern ausführen. Verhängt wurde die Steinigung für Prostitution und Ehebruch, zuweilen wurde sie durch das Ertränken ersetzt. Möglicherweise war sie über Jahrhunderte hinweg tatsächlich nicht praktiziert worden, aber mit Sicherheit können wir das nicht sagen.

Immerhin können heutige Islamisten ins Feld führen, dass schon Muḥammad einen Ehebrecher gesteinigt haben soll. Davon erzählt z.B. ein Gedicht des mittelalterlichen Dichters al-Maʿarrī. Berichte von Steinigungen im 20. Jahrhundert stammen von westlichen Reisenden, aber das heisst, wie gesagt, nicht zwingend, dass es sie vorher nicht gegeben hat. Merkwürdig auch folgende Behauptung, ebenfalls zum Thema Steinigung:

“Es ist eine moderne Erfindung, so eine bestialische Interpretation islamischer Normen vorzunehmen. Diese Entwicklung war eine Reaktion auf die Kolonialzeit, auf Versuche einer gewaltsamen „Aufklärung von oben“.”

Wann und wo hat es in der Kolonialzeit Versuche einer gewaltsamen Aufklärung gegeben? Und welche Kolonialzeit ist hier gemeint: die osmanische oder die britisch-französische? Wahrscheinlich spielt der Theologe auf Bauers These vom “Gesetz der Asynchronizität” an, aber abgesehen davon, dass es auch in Bauers Buch von Ungereimtheiten nur so wimmelt, hat dieses Gesetz nichts mit einer “Aufklärung von oben zu tun”.

Tatsächlich waren arabische Intellektuelle des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von Westeuropa so begeistert, dass sie dessen Kultur umfassend rezipierten, während sich unter ihnen ein antitürkisches Feindbild breitmachte, dass den Osmanen die Schuld am wissenschaftlichen Rückstand der Arabischen Welt gab. Die “bestialische Interpretation islamischer Normen” lässt sich sicherlich auf einen gescheiterten Aufklärungsprozess zurückführen, aber dieser war kein von oben gesteuerter. Bestenfalls eine Halbwahrheit bedeutet auch die Aussage zum Kopftuch:

“Eine Vorschrift für Frauen, ein Kopftuch zu tragen, lässt sich aus dem Koran nicht so ohne weiteres ableiten, eine Totalverschleierung überhaupt nicht. Das ist reine Tradition.”

Sicher. Der Korankenner Rudi Paret hat diese Beobachtung gemacht und vor ihm manch anderer, auch der grosse Frauenbefreier Qāsim Amīn. Wenn wir allerdings den Islam auf den Koran reduzieren, dann müssen wir feststellen: So ganz eindeutig findet sich dort auch kein Verbot des Alkoholgenusses oder der Knabenbeschneidung. Die Frage ist also, ob man den Islam wirklich auf den Koran reduzieren kann, oder ob nicht auch viele Traditionen der islamischen Kultur islamisch genannt zu werden verdienen, sofern sie  mit der Religion begründet werden. Zweifelhaft ist auch folgende Aussage:

“Auch den sogenannten Ehrenmord gibt es weder im Koran noch in der Scharia.”

Daran ist soviel richtig, dass das Wort “Ehre” (šaraf) im Koran nicht vorkommt. Der Ehrbegriff hat indes eine vorislamische Wurzel: Das arabische murūʾa bezeichnet die äusserlich sich zeigende Ehre, wie sie im Wettkampf angestrebt wird; daneben gibt es den (ebenfalls schon in vorislamischer Zeit anzutreffenden) Begriff des ʿirḍ, der einen gesellschaftlichen Vorrang begründete und Gegenstand einer ritualisierten Schmähung, mufāḫara, werden konnte, an deren Ende mitunter Mord und Stammesfehde standen.

Andererseits gibt es die koranische Aufforderung zur Keuschheit (24,33), die zwar für beide Geschlechter gilt, doch wird bei Übertretung faktisch nur die Frau zur Rechenschaft gezogen, weil der Mann ausserhalb der Ehe auch Konkubinen haben darf (70,29-30; 23,5-6) und auch sonst über der Frau steht. Ehrenmorde werden fast immer für Überschreitungen der Sexualmoral (Koran 70,31) vollzogen und sind keine Affekttaten.

Natürlich lässt sich hier manches auch zeitgemäss interpretieren, aber das heisst nicht, dass man den Ehrenmord nicht aus dem Koran ableiten könnte. Naheliegend ist jedenfalls, ihn mit dem koranischen Prinzip des al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿan il-munkar in Verbindung zu bringen, das sich an den einzelnen Gläubigen richtet, die Durchsetzung islamischer Werte in die eigenen Hände zu nehmen. 

Auch bei der “Süddeutschen” hat man sich einen Wunschislam ausgedacht, der natürlich nichts mit dem zu tun hat, was junge Dschihadisten so antreibt: Diese nämlich, wie die Leserschaft erfährt, würden vielmehr “angefeuert von Predigern eines pervertierten Dschihad, der eigentlich der “Weg Gottes” sein soll, den diese Prediger aber als Karawane des Terrors inszenieren.” Denn Gott ist schliesslich barmherzig und der Weg Gottes muss dann der der Barmherzigkeit sein.

Eine hübsche Theorie, sie basiert aber nicht auf dem Koran, sondern auf einem Gerücht. Das koranische “fī sabīl Allāh”, auf das hier angespielt wird, heisst eben nicht “auf dem Weg Gottes”, wie ich an anderer Stelle (s.a. hier) dargelegt habe, sondern “für die Sache Gottes” oder “um Gottes willen”. In diesem Kontext bezeichnet “Gott” keine Art und Weise, sondern ein Ziel – und das ist eben auch das Ziel der Dschihadisten. Aber Fakten sind natürlich zweitrangig, wenn es um das noble Ziel geht, den Islam nicht den Terroristen zu überlassen.

Im Schaumbad des Dialogs

Paternalismus kann einem das Verständnis für Geschichte und Gesellschaft schon gründlich verhageln. Da widmet sich das “Interkulturelle Magazin” des BR der Überschreitung von Religionsgrenzen, fragt, warum die Menschen im christlich geprägten Westen sich eher für ostasiatische Religionen öffnen als für den Islam, und bittet sodann einen Religionswissenschaftler um Deutung.

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Gibt es einen islamischen Faschismus?

Vor mehr als zwanzig Jahren sorgte ein Buch unter dem Titel “Die unerbittlichen Erlöser” zunächst in Frankreich, dann auch in Deutschland, für erhebliche Furore. Sein Verfasser, der Theologe und Politikberater Jean-Claude Barreau, ging darin den Ursachen des gewalttätigen Islamismus auf den Grund, die er – und das war der Skandal – direkt auf den Koran (“ein archaisches Buch”) zurückführte. Den Islam zeichnete er als eine zerstörerische (wenngleich reformierbare) Kraft, die den Werten der Moderne entgegensteht.

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Muslimischer Fundamentalismus in Europa

Besonders kleine Kinder leiden unter dem autoritäten Erziehungsstil im Elternhaus, der auch mit körperlicher Gewalt einhergeht. Sie werden so zu unbedingtem Gehorsam erzogen, weiss die Islamkundelehrerin Lamya Kaddor in ihrem Buch „Muslimisch–Weiblich–Deutsch‟ (2010) über ihre muslimischen Schüler im Dinslakener Stadtteil Lohberg zu berichten. Und: „Die aus einer Mixtur von Religion und Tradition stammenden Regeln greifen vor allem mit Beginn der Pubertät.“

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