Das Wesen der Zensur

Dass in Diktaturen wie der iranischen Zensur herrscht, ist bekannt. Weniger bekannt dürfte sein, was Zensur eigentlich bedeutet. Und wer jetzt glaubt, Zensur heisse, dass da eine rote Grenze bestehe, die nicht übertreten dürfe, wer etwas publizieren will, der könnte sich irren. Es ist subtiler.

Die islamische Zensur verfügt seit einigen Jahren über eine Kontrollsoftware, die unzulässige und verbotene Wörter ohne Rücksicht auf den Sinnzusammenhang löscht oder durch ein erlaubtes Wort ersetzt. (…) Der Übersetzer von “Der Zauberberg” von Thomas Mann übersetzte den deutschen Ausdruck “schamrot im Gesicht” mit dem persischen Äquivalent “der Schweiß (araq) der Scham legte sich auf die Stirn”. Das persische Wort “araq” hat zwei Bedeutungen: Schweiß und Wodka. Die Software änderte den Satz kurzerhand in “der Kaffee der Scham legte sich auf die Stirn”.

schreibt der iranische Exilschriftsteller Faraj Sarkohi auf Qantara.de (s.a. hier). Was so amüsant klingt (und tatsächlich Anlass von viel Spott über die Islamische Republik war), verweist auf den Kern dessen, was Zensur eigentlich bedeutet: Einschüchterung durch Unsicherheit. Der einzelne Schriftsteller und Journalist wird im Unklaren darüber belassen, was er eigentlich schreiben darf und was nicht. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal des Iran.

Bereits 1985 schrieb der britische Historiker Timothy Garton Ash über das kommunistische Ungarn, wie der Schriftstellerverband um klare Regeln für das Veröffentlichen geradezu bettelte. Ähnliches war zuvor in Polen passiert. Da regimekritische Texte zuweilen die Zensur passierten, währende andere, völlig harmlose, verboten werden konnten, waren klare Regeln zumindest das kleinere Übel. Die zu erwarten aber stellte sich als illusorisch heraus:

„Die Zensoren verfügen über keine objektiven Kriterien, um entscheiden zu können, wo die Grenzen liegen. Auch sie irren verloren im Labyrinth. ‘Die Realitäten akzeptieren’, heisst der Slogan. Aber was sind die Realitäten der meisten Redakteure oder Verleger? Sie sind die Einschätzung dessen, was ihre Vorgesetzten akzeptabel finden. Doch deren Realitäten sind auch keine anderen als die, die ihre Vorgesetzten akzeptieren. Und so geht es immer weiter, bis hinauf zur Spitze.”[1]

Ganz ähnlich geht es im heutigen Syrien zu. Mit dem Amtsantritt von Baschar al-Asad haben sich die Zustände sogar noch verschlimmert.[2] Noch einmal zum Iran: Unter der Amtszeit Khatamis (1997-2005) konnte man in iranischen Periodika Ansätze einer Ideologiekritik lesen, während schon damals offensichtlich unpolitische und auch mit dem Islam nicht in Konflikt stehende Publikationen der Zensur zum Opfer fielen. Das hat viele Intellektuelle zu dem Glauben verführt, es gebe einen Spielraum für kritische Intellektuelle, den es nur auszutesten gelte.

Ein Irrtum. Nicht nur, weil unter Ahmadinejad die Zügel wieder angezogen wurden, sondern auch, weil diese Unsicherheit und Unberechenbarkeit der Zensur erst die Schere im Kopf entstehen lässt – während in einem letzten Winkel des Bewusstseins sich die trügerische Hoffnung hält, es könnte vielleicht doch noch einen Spielraum geben.

Siehe auch:

  1. Timothy Garton Ash, Ein Jahrhundert wird abgewählt. Aus den Zentren Mitteleuropas 1980-1990, Hamburg 1990, 150.
  2. Fouad Hamdan, Einige Illusionen über Syriens Regime. Verspielte Kompromisse: Präsident Baschar al Assad zeigt durch seine Gewaltpolitik, dass nur sein Sturz zur Stabilität im Land und in der Region führen kann. FAZ, Montag, 13. Februar 2012, Nr. 37, S. 23.
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